SPD: Panzer für den Koalitionsfrieden
Grüne wie FDP hätten wohl auch mit der Union als Seniorpartner leben können. Doch die Frage stellt sich nicht mehr. Denn die SPD ist nicht die antimilitaristische Kraft, als die sie wochenlang verfemt wurde.
"Meine Damen und Herren, fragen Sie doch einmal. Wie soll Moskau angesichts dieser Haltung der stärksten Regierungspartei noch an die Verteidigungsbereitschaft und der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland glauben?" Diese rhetorische Frage stelle der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Rechtsaußen seiner Fraktion, Alfred Dregger bei der 216. Sitzung des Bundestags am 13. Mai 1980.
Wenige Monate zuvor war die Rote Armee in Afghanistan einmarschiert, der Kalte Krieg drohte in einen Dritten Weltkrieg umzuschlagen. Das stand in vielen Aufrufen gegen ein öffentliches Bundeswehr-Gelöbnis im Bremer Weserstadion am 6. Mai 1980. Die Proteste waren so stark, dass die Bundeswehr-Zeremonie zum Desaster wurde. Die Proteste der damals starken außerparlamentarischen Linken in Bremen werden auch als Geburtsstunde der autonomen Bewegung interpretiert.
30 Jahre später, im Mai 2010 haben linke Gruppen sich an diese Ereignisse erinnert und eine Broschüre herausgegeben, in der auch die erwähnte Parlamentsdebatte dokumentiert ist. Dort wird auch das wochenlange rechte Trommelfeuer gegen die SPD nachgezeichnet, weil sich einige ihrer Ortsgruppen und auch die Jusos an friedlichen Protesten gegen das Militärspektakel in Bremen beteiligt hatten.
Der Bremer Rundfunk wurde massiv angegangen, weil er in einer Musiksendung, die parallel zur Truppenvereidigung 1980 lief, tatsächlich Songs mit antimilitaristischem Inhalt unter anderem von der satirischen Gruppe "Die drei Tornados" gespielt hatte.
FDP und Grüne klingen heute wie 1980 CDU-Rechtsaußen Dregger
43 Jahre später schien sich die Geschichte zu wiederholen. Nur dieses Mal mit erfolgreicherem Ausgang für die Militaristen. Wieder wurde ein Trommelfeuer gegen die stärkste Regierungspartei SPD entfacht; und natürlich war ein Teil von Dreggers politischen Erben, die weiter in den Unionsparteien aktiv sind, mit dabei.
An vorderster Front aber standen Personen aus den Reihen der Koalitionspartner, wie die FDP-Wehrpolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Grüne wie Anton Hofreiter. Die zeitweilige Zurückhaltung des Bundeskanzlers in der Frage der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine hat aus Hofreiters Sicht viel internationales Ansehen "zerdeppert", wie der Grüne am Montag dem Fernsehsender Phoenix sagte.
Die Union hat Grüne und FDP bereits zum Koalitionswechsel aufgefordert. Eine atlantische Koalition mit Strack-Zimmermann als Verteidigungsministerin war dennoch nicht wahrscheinlich.
Das Prozedere eines konstruktiven Misstrauensvotums, durch den ein solcher Regierungswechsel zu erreichen wäre, ist komplex. An der FDP wäre er bestimmt nicht gescheitert. Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte ja als FDP-Mann immer deutlich gemacht, dass er in egal welcher Koalition die Interessen der Konzerne verteidigen wird.
Das geht in einer Koalition mit der Union mindestens genauso gut wie mit der SPD. Fraglich ist nur, ob bei den Grünen alle zu einem solchen Koalitionswechsel bereit gewesen wären, da manche gesellschaftspolitischen Reformen, beispielsweise bei der Stärkung der Rechte von Transpersonen, in einer Koalition mit den Unionsparteien erschwert würden. Prinzipiell unmöglich wäre allerdings auch ein solcher Koalitionswechsel nicht gewesen.
Schließlich regieren die Grünen in mehreren Bundesländern mit als rechts geltenden Unionsverbänden und sind stolz darauf, dass dort Räumungen von Wäldern und Dörfern für Kohleabbau und Autoverkehr sogar leichter durchgesetzt werden können, wie sich nicht nur in Lützerath, sondern auch im Fechenheimer Wald in Frankfurt am Main gezeigt hat.
Für die Grünen muss es beruhigend sein, dass trotz aller Kritik der Klimabewegung kein einziger Mandatsträger die Partei wegen der Räumungen verlassen hat. Auch nicht die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger, die schließlich über viele Jahre eine Sprecherin der Klimabewegung Ende Gelände war. Für sie müsste die Räumung in Lützerath eigentlich eine rote Linie sein.
Sie hätte mit einem Wechsel zur Linken im politischen Geschäft bleiben und den Grünen damit nicht nur einen Denkzettel, sondern auch der Linken wieder eine Perspektive gegen können. Solche Parteiübertritte hat es in der Vergangenheit bei solchen Entscheidungen durchaus gegeben. Da sich die Linke in allen Strömungen auch klar gegen die Räumung von Lützerath ausgesprochen hat, wäre ein solcher Wechsel politisch zu vermitteln gewesen, jedenfalls besser als ihr Weg, als ehemals exponierte Klimaaktivistin nach der Räumung weiterhin bei den Grünen bleiben.
Das gilt neben Henneberger auch für die langjährige Kämpferin für den Hambacher Forst, Antje Grothus. Die aktuelle Landtagsabgeordnete der Grünen in NRW hätte mit einem Wechsel zu den Linken zumindest dafür sorgen können, dass eine linksreformerische Opposition wieder im Landtag gewesen wäre.
Dass diese Politikerinnen mit klimapolitischer Vergangenheit ihrer grünen Partei die Treue gehalten haben, ist für die Grünen natürlich ein Signal. Sie können mit ihrer ultramilitaristischen Politik fortfahren, denn die beiden, die sich immer als bewegungsorientiert präsentiert haben, zeigen damit, dass sie keine grundsätzlichen Einwände haben gegen die Grünen als Speerspitze des neuen deutschen Militarismus. Hätten sie diese Einwände, wäre ja ein Wechsel der Partei oder Fraktion erst recht angebracht.
So war nicht unwahrscheinlich, dass die Bundestagsfraktion auch einen Regierungswechsel zur Union mitgemacht hätte, bei allen Gegrummel in einigen Fragen. Einen linken Flügel gibt es bei den Grünen schon lange nicht mehr, es gibt aber Kämpfe um Macht und Einfuss zwischen unterschiedlichen bürgerlichen Fraktionen. Links sind keine, einige wollen mit der SPD den Kapitalismus modernisieren, andere liebäugeln für ein Bündnis mit der Union.
Bedingungslose Waffenhilfe für die Ukraine
Das Bündnis mit der SPD dürfte nun vorerst Bestand haben, weil die SPD auch in der Frage der Waffen für die Ukraine nicht die antimilitaristische Kraft ist, zu der sie in den letzten Wochen von alten und neuen Bellizisten hochgeschrieben wurde. Es wurden seit Monaten immer mehr Waffen auch aus Deutschland an die Ukraine geliefert – und daran will die SPD auch nichts ändern.
Diese Waffen trugen dazu bei, dass die Ukraine ihr Territorium verteidigen konnte und die russische Armee kaum Erfolge hatte. Doch längst wird in der ukrainischen Regierung und auch bei der Nato die Rückeroberung sämtlicher Gebiete in russischer Hand einschließlich der Krim gefordert.
Deshalb werden immer mehr Offensivwaffen gefordert und deshalb sind die Warnungen der Kritiker nicht unberechtigt, dass hier tatsächlich eine Konfliktausbreitung drohen könnte. Man muss dabei nicht gleich vom Dritten Weltkrieg sprechen, es kann auch um weitere begrenzte militärische Konflikte weltweit gehen.
Mit der Drohung eines Koalitionsbruchs sollte der Druck auf die SPD erhöht werden. Denn die hat immer schnell nachgegeben. Ein 21-seitiges Positionspapier unter der Überschrift "Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch" geht genau in diese Richtung. Dort wird auch gefordert, die Sicherheit vor Russland in Europa zu organisieren und die Bedenken der ost- und mitteleuropäischen Staaten, gemeint sind ihre aktuellen rechtsoffenen Regierungen, ernst zu nehmen.
Da musste klar sein, dass die so heiß eingeforderten Offensivwaffen an die Ukraine geliefert werden, auch mit Hilfe der SPD. Stefan Reinecke kommentierte bereits in der taz:
Bei Lieferungen der Leopard-Panzer geht es offenbar nicht mehr um das Ob, sondern nur um das Wann und Wie – mit oder ohne US-Panzer.
Stefan Reinecke, taz
Und nach den Leopard-Panzern werden Flugzeuge und vielleicht irgendwann auch mal Truppen gefordert. Dass sie Logik der nationalistischen Kriege mit auswärtiger Beteiligung, wie der Ukraine-Konflikt interpretiert werden kann.
Was fehlt, und das ist der größte Unterschied zur Situation am Bremer Stadion am 6. Mai 1980, sind starke antimilitaristische Proteste. Dabei wäre schon der Umsturz in der Ukraine von 2014 mit Beteiligung von extremen Rechten und deren anschließende Integration in militärische Strukturen ein Argument gegen bedingungslose Solidarität bis hin zur Lieferung von Offensivwaffen.