Sanktionen gegen Russland: Die Top Ten des Scheiterns

Bernd Müller

Gazprom-Anlage an der Moskwa. Bild: greg westfall, CC BY 2.0

Westlichen Sanktionen gegen Russland bieten Stoff zur Diskussion. Wirken sie oder wirken sie nicht? Dazu herrscht keine Einigkeit – zu Recht, wie die Top Ten von Telepolis zeigt

Der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken meinte am Freitag, die gegen Russland verhängten Sanktionen träfen die Wirtschaft des Landes hart, auch wenn einige Auswirkungen sich noch eine Zeit lang nicht zeigen wollten. Die russische Regierung würde die Folgen bislang kaschieren.

Die Tageszeitung Die Welt zeichnete am Donnerstag ein interessantes Bild, welche Wirkungen die Sanktionen bislang in Russland zeigen:

Die Regale in den Supermärkten sind weitgehend voll, Restaurant und Cafés arbeiten im Normalbetrieb. Und auf den Straßen stauen sich die Autos wie eh und je. Aber nicht nur im Alltag herrscht Business as usual. Auch wirtschaftliche Kennziffern kommen besser daher als noch vor zwei, drei Monaten und sehen nicht mehr danach aus, dass das Land Krieg gegen die Ukraine führt und dafür mit beispiellosen Sanktionen von Westen belegt wurde.

Die Welt (23.06.2022)

Die Fastfood-Kette McDonald's ist wohl nur ein Beispiel für die westlichen Unternehmen, die Russland ganz oder teilweise verließen. McDonald’s verkaufte seine 800 Restaurant in Russland an einen ehemaligen Geschäftspartner. Nun firmieren sie unter einem neuen Markennamen – aber ansonsten hat sich nicht viel geändert, weil die Zutaten und Bestandteile der Burger lokal produziert werden.

Es verwundert deshalb auch nicht, dass es auch Länder gibt, die nicht weiter an der Sanktionsspirale drehen wollen. Ungarn zum Beispiel. Am Donnerstag, am Rande eines Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs, brachte es ein hochrangiger Berater des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban auf den Punkt:

Im Moment erleben wir, dass wir umso schlechter dran sind, je mehr Sanktionen wir akzeptieren. Und die Russen? Ja, es tut ihnen auch weh, aber sie überleben. Und was noch schlimmer ist, sie gehen in der Ukraine vor.

Reuters (23.06.2022)

Am Ende des Tages werde die Europäische Union wegen der eigenen wirtschaftlichen Probleme auf der Verliererseite des Krieges stehen, so die Befürchtung der Ungarn. Deshalb plädieren sie dafür, dass die EU aufhört, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, und stattdessen auf einen Waffenstillstand und Verhandlungen drängt.

Die Sanktionen wirken nicht wie geplant, und das liegt unter anderem daran, dass manche Länder schlicht keine Übersicht darüber haben, welche Firmen im Land direkt oder indirekt Russen gehören; dass der "Westen" aus Eigeninteresse inkonsequent ist; oder dass man sich verkalkuliert hat. Der wichtigste Grund ist aber wohl der, den die westlichen Länder nicht gern wahrhaben wollen: Sie sind nicht mehr die einzigen Akteure mit Einfluss in der Welt.

TOP 1: Kohlehandel über die Schweiz

Nach Beginn des Krieges in der Ukraine verhängte die Schweiz ein Embargo auf russische Kohle. Seit dem 27. April sind die Einfuhr, der Verkauf und die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit russischer Kohle in der Schweiz verboten. Ende August laufen dann die Übergangsbestimmungen aus.

Doch die Recherchen der Schweizer Organisation Public Eye legen nahe, dass die Behörden des Landes das Embargo nur schwer umsetzen können. Denn das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wisse bis heute noch nicht einmal, welche Firmen in der Schweiz ansässig sind und wem sie gehören.

Das Seco verfügt jedoch nicht über eine offizielle Zählung der Anzahl russischer Handelsunternehmen mit Sitz in der Schweiz. Auf Grundlage eines Berichts des Bundesamts für Statistik schätzt es die Zahl solcher "russisch kontrollierten" Unternehmen jedoch auf 14, wie es un bestätigte.

Public Eye

Die Recherchen von Public Eye zeigten allerdings, dass eine deutlich größere Zahl an Firmen in der Schweiz ihren Sitz haben. Im Handelsregister seien 240 Firmen eingetragen, "die mit Kohle, Koks oder festen fossilen Brennstoffen handeln, diese transportieren oder damit verbundene Finanzdienstleistungen anbieten". Und viele davon seien im Besitz russischer Oligarchen oder von reichen Geschäftsleuten aus Russland.

Die Schweizer Regierung hatte zwar die Sanktionen gegen Russland beschlossen, wollte aber die Oligarchen nicht verschrecken, wie der Fall der Sibirischen Kohleenergiegesellschaft (Suek) zeigt. Deren Handelssitz wurde seit 2004 im Kanton Zug domiziliert und sie gehört dem russischen Oligarchen Andrei Melnitschenko.

Am Tag, bevor die Sanktionen gegen ihn in Kraft traten, machte er kurzerhand seine Ehefrau zur Eigentümerin – mit Genehmigung der Seco und dem Verweis auf den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Schweiz. Inzwischen wurde Melnitschenkos Ehefrau auch sanktioniert, was die Seco von der Verlegenheit befreite, zu überwachen, dass sie ihrem Ehemann kein Geld zukommen lässt.

Über die Schweiz verkaufen die russischen Bergbaukonzerne jedes Jahr über 225 Millionen Tonnen Kohle in die gesamte Welt. Knapp 68 Prozent des europäischen Kohlebedarfs werden demnach durch russische Lieferanten gedeckt.

TOP 2: Indien liefert Öl nach Europa

Mit dem Verzicht auf russische Energieträger wollten westlichen Länder vor allem eines erreichen: Den russischen Staatshaushalt auf lange Frist trockenlegen. Denn ein Großteil der benötigten Finanzen stammen aus dem Verkauf von Erdöl und -gas und deren Folgeprodukten. Diese Einnahmen machen etwa 40 Prozent des russischen Staatshaushaltes aus.

Eine besondere Bedeutung hat dabei das Erdöl; allein sein Verkauf trägt ungefähr zur Hälfte dieser Einnahmen bei. Was lag also näher, als Sanktionen auf russisches Erdöl einzuführen?

Der Bedarf der westlichen Nationen, der wegen des beschlossenen Embargos nicht mehr direkt aus Russland gedeckt werden kann, wird künftig wohl indirekt immer noch mit russischem Erdöl gedeckt werden.

Inzwischen ist Indien zu einem der bedeutendsten Importeure von russischem Rohöl aufgestiegen. Vor dem Krieg in der Ukraine importierte es gerade einmal ein Prozent seines Bedarfs aus Russland. Nun kommt ungefähr ein Fünftel von dort.

Doch Indien behält den Rohstoff nicht für sich, sondern raffiniert ihn und verschifft ihn dann sanktionsfrei in die ganze Welt. Das zeigten die Recherchen des Wall Street Journals.

Demnach beliefern private indische Ölraffinerien die USA – und vermutlich auch Europa – mit Benzin und Diesel, die teilweise aus russischem Rohöl gewonnen wurden, ohne die Herkunft des Rohöls preiszugeben.

Die indischen Exporte von Kraftstoffen sind demnach in den letzten fünf Monaten um etwa 15 Prozent gestiegen. Die täglichen Lieferungen in die EU sollen sich im Quartalsvergleich um ein Drittel erhöht haben, jene in die USA um 43 Prozent. Und sie sollen keineswegs günstig sein, was die Inflation in den westlichen Staaten weiter anheize.

Die EU-Sanktionen verfehlten ihr Ziel deutlich, schrieb Żaklin Nastic, Bundestagsabgeordnete der Linken, auf Facebook. Eine solche Politik, die die Lebensverhältnisse verschlechtere, sei kaum noch vermittelbar. "Der Westen muss seine Politik der Sanktionen endlich revidieren und schnellstmöglich merken, dass er seine Ziele verfehlt und zur Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung führt", schrieb sie weiter.

TOP 3: Abwertung des Rubels

"Das wird Russland ruinieren", waren die Worte der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, nachdem die Europäische Union Ende Februar ihr Wirtschafts- und Finanzsanktionspaket gegen Russland beschlossen hatte. Ein Indikator für den Ruin der russischen Wirtschaft sollte ein schwächelnder Rubel sein.

Am Anfang sah es auch ganz danach aus, dass dieser Plan aufgeht: Der Rubel fiel auf ein Rekordtief. Zeitweise mussten 150 Rubel für einen Dollar berappt werden. Doch inzwischen hat sich der Trend umgekehrt. Aktuell müssen knapp 56 Rubel für einen Dollar bezahlt werden.

Devisen-Experten führten die Stärke der russischen Währung unter anderem auf die westlichen Sanktionen zurück. "Wenn Güter sanktioniert sind, konzentriert sich ein Teil der russischen Nachfrage auf heimische Güter", sagte Anja Praefcke gegenüber tagesschau.de, die eine Devisenexpertin der Commerzbank ist.

Der Rubelkurs wurde aber auch durch zahlreiche Maßnahmen der russischen Zentralbank und der Regierung gestützt. Dass "unfreundliche" Staaten die russischen Energielieferungen nur noch in Rubel begleichen durften, überraschte Ökonomen, Politiker und Unternehmen gleichermaßen – und entfaltete seine Wirkung.

Für Praefcke hatte die Debatte, ob die Europäer nun in Rubel bezahlen sollten oder nicht, vor allem eine psychologische Wirkung. Denn mit Blick auf den Zahlungsverkehr hätte sich nämlich gar nicht viel geändert. Aber es sei suggeriert worden, dass nun mehr Rubel gebraucht würden, auch wenn das faktisch nicht der Fall gewesen wäre.

Ein weiterer Beleg dafür, dass die russische Wirtschaft weniger geschwächt aus dem Konflikt hervorgeht, als erhofft wurde, ist die Senkung des Leitzinses. Anfang Juni hatte die russische Zentralbank den Leitzins überraschend auf 9,5 Prozent abgesenkt. Damit erreichte er wieder das Vorkriegsniveau.

In der Begründung dieses Schritts hieß es, die Wirtschaftsaktivitäten seien im zweiten Quartal weniger stark zurückgegangen als erwartet wurde. Ebenso habe sich die Inflation stärker abgeschwächt, als zu erwarten gewesen sei.

TOP 4: Gasversorgung Deutschlands

Die Versorgung Europas mit russischem Erdgas wird knapp. Die Bundesrepublik bezieht aktuell weniger Gas aus Russland als erhofft; Gazprom hatte in dieser Woche den Durchfluss durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 in mehreren Schritten gedrosselt.

Der Hintergrund sind die westlichen Sanktionen gegen den russischen Energiesektor. Siemens Energy war damit beauftragt, gelieferte Gasturbinen zu warten, was aus technischen Gründen nur in Kanada vorgenommen werden kann. Doch die kanadischen Sanktionen verhindern nun, dass die Turbinen wieder nach Russland zurückgebracht werden können.

Gazprom hatte deshalb am Mittwoch angekündigt, den Einsatz von Siemens-Anlagen in der Kompressorstation Portovaya in der Nähe von St. Petersburg weiter zu reduzieren. Und das hat eine weitere Drosselung zur Folge: Nur noch etwa 40 Prozent der geplanten Liefermenge wird auf den Weg nach Deutschland geschickt.

Damit die Versorgung über den Winter gesichert ist, müssen die Gasspeicher aufgefüllt werden. Momentan sind sie mit knapp 57 Prozent nur moderat gefüllt.

Vor diesem Hintergrund hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Gasnotstand ausgerufen. Industrie und Bürger sind aufgerufen, sparsam zu sein.

Der Bundestag berät momentan auch über ein Gesetz, dass auch Kohlekraftwerke bei Bedarf wieder ans Netz kommen sollen. Christdemokraten, Liberale und AfD fordern sogar den zeitweiligen Ausstieg aus dem Atomausstieg.

Mit dem neuen Gesetz dürfte es aber auch für die Verbraucher in Deutschland teuer werden. Denn es erlaubt Energiekonzernen und Stadtwerken, die bestehenden Vertragsbedingungen außer Kraft zu setzen und die hohen Gaspreise direkt an die Kunden weiterzureichen.

Schon jetzt sind die Gaspreise hoch: Nach Angaben des Vergleichsportals Check24 bezahlt ein Musterhaushalt beim aktuellen Preisniveau 2.752 Euro pro Jahr. Dem Wert liegt ein angenommener Verbrauch von 20.000 kWh zugrunde. Im Vergleich zum Juni im letzten Jahr stellt das allerdings schon einen Anstieg von 113 Prozent dar.

Es ist schon jetzt davon auszugehen, dass die Kosten noch weiter in die Höhe schnellen werden.

TOP 5: Rohstoffe für die Autoindustrie

Die Autoindustrie in Europa ist noch einmal am schlimmsten vorbeigeschrammt. Denn sie benötigt große Mengen Aluminium, Nickel, Kobalt und anderer Metalle – die zu einem großen Teil an Russland importiert werden.

Sowohl Inflation als auch die chinesische Null-Covid-Politik haben einen wohltuenden Einfluss auf die Preise. Denn noch ist die Nachfrage relativ niedrig und das Angebot nimmt kurzfristig etwas zu, schrieb das Manager Magazin kürzlich. Die Branche geht davon aus, dass die Rohstoffe erst in einigen Jahren wieder knapp werden könnten.

Ein anderer Grund liegt in den Sanktionen gegen Russland, die eigentlich die Vertrauten des russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen sollten, aber dabei nicht mit gleichem Maß messen. Denn manche Putin-Vertraute sind von den Sanktionen nicht betroffen – weil man sie braucht. Zum Beispiel Wladimir Potanin. Ihm gehört das Unternehmen Norilsk Nickel, das ein bedeutendes Bergbauunternehmen ist.

Etwa fünf Prozent des weltweit hergestellten Nickels wird von ihm produziert. Bei Palladium deckt es einen Marktanteil von rund 40 Prozent ab. Auch Kobalt, Gold und Kupfer baut das Unternehmen ab. Würde Potanin ebenfalls sanktioniert, dürften die Preise der Metalle auf dem Weltmarkt durch die Decke gehen.

Russland ist bei Metallen auch einer der großen Player. Etwa ein Fünftel von hochwertigem Nickel, das zur Veredelung von Stahlprodukten benötigt wird oder in der Herstellung von Batterien – etwa für Elektroautos – eingesetzt wird, stammt aus Russland. Bei Aluminium, das vor allem für die Karosserie zum Einsatz kommt, sind es sechs Prozent der weltweiten Produktion.

Sollte sich der Krieg in der Ukraine in die Länge ziehen und würden die westlichen Sanktionen ausgeweitet, dann dürfte auch Palladium knapp werden. Der globale Bedarf wird etwa zur Hälfte aus Russland und der Ukraine gedeckt – und rund 70 Prozent gehen davon in die Autobranche. Es wird für Katalysatoren benötigt und kommt in der Produktion von Batterien und Brennstoffzellen zum Einsatz.

Die Metalle sind eine Schwäche der westlichen Industrieländer, weshalb sie bislang bereit waren, Ausnahmen bei den Sanktionen vorzunehmen. Die russische Regierung könnte sie aber ihrerseits als Hebel benutzen; sie könnte zum Beispiel ihrerseits Sanktionen aussprechen.

TOP 6: Holz, Paletten und Kabeltrommeln

Paletten sind unabdingbar für eine flüssige und schnelle Logistik. Sie werden in Deutschland vor allem von mittelständischen Firmen hergestellt. Rund 180 von ihnen gibt es in der Bundesrepublik und im Schnitt beschäftigt jeder von ihnen 35 Menschen.

Sie haben durch die Sanktionen auf russischen Stahl ein Problem: Denn die Nägel für die Paletten werden zu 90 Prozent aus Stahl hergestellt, der in der benötigten Qualität fast nur aus Russland bezogen wird.

Wie der Bundesverband Holzpackmittel, Paletten und Exportverpackung (HPE) im April mitteilte, gibt es keine kurzfristigen Alternativen. Es würde bis zu acht Monate dauern, bis der richtige Stahl aus anderen Märkten ankommen könne.

Ein weiteres Problem: Die deutschen Fertigungsmaschinen lassen sich auch nicht auf andere Nägel umrüsten. Was dazu führen könnte, dass in der Bundesrepublik demnächst Millionen von Paletten fehlen.

Selbst wenn man die Nägel aus Fernost beziehen wollte, dann stünde man vor dem nächsten Problem: Auf dieser Strecke gibt es nicht genug Frachtkapazitäten.

Neben der Fehlmenge an Paletten aus deutscher Produktion werden jetzt auch Palettenimporte aus Russland, Belarus und der Ukraine ausbleiben. 2021 wurden gut 10 Millionen Paletten von dort importiert. Das waren 14,5 Prozent der Gesamtmenge deutscher Palettenimporte.

Hinzu kamen im Vorjahr 9,55 Millionen Paletten aus Polen und dem Baltikum, deren Hersteller eine große Abhängigkeit von russischen Holzimporten aufweisen. Und russische Holzimporte fallen inzwischen auch unter die EU-Sanktionen. Somit addieren sich die Fehlmengen auf rund 20 Millionen Paletten. Andere Bezugsquellen für Paletten gibt es in der EU nicht, da wohl alle europäischen Länder das gleiche Versorgungsproblem mit Nägeln haben wie Deutschland.

Betroffen von den Sanktionen ist nicht nur die Palettenproduktion, sondern auch die Verfügbarkeit von Transportkisten und Kabeltrommeln. Der Mangel bei Kabeltrommeln könnten den Glasfaserausbau, der derzeit überall vorangetrieben wird, bald ausbremsen, weil die Glasfasern in Leerrohren verlegt werden, die auf großen Trommeln angeliefert werden.

TOP 7: Düngemittel

Düngemittel sind inzwischen knapp und teuer. Das liegt unter anderem an dem Embargo der Europäischen Union für Mineraldünger aus Weißrussland.

Man wollte das Land bestrafen. Man warf ihm vor, den russischen Krieg gegen die Ukraine unterstützt zu haben. Doch ein Drittel der Kali-Importe der Europäischen Union kamen bislang aus Weißrussland. Massive Preissteigerungen waren zu erwarten.

Die Preise für Düngemittel steigen schon seit zwei Jahren, doch durch den Krieg in der Ukraine und die westlichen Sanktionen haben sie sich vervielfacht. Inzwischen bezahle man das Vier- bis Fünffache dessen, was man noch vor zwei Jahren zahlen musste, sagte ein Landwirt aus dem Raum Hannover dem Deutschlandfunk.

Russland war anfangs nicht selbst betroffen von den westlichen Sanktionen auf Düngemittel, sondern verhängte selbst ein Exportstopp. Genauso wie China. Beide Länder reagierten auf steigende Getreidepreise mit einer Stütze der eigenen Landwirtschaft; Düngemittel sollten zuerst der Versorgung der eigenen Bevölkerung zugutekommen. Im April wurden allerdings russische Düngemittel ebenfalls sanktioniert.

Davon ist nicht nur Kali betroffen, sondern auch Phosphor-Dünger. Für dessen Herstellung ist man auf natürliche Vorkommen angewiesen, die zum Teil in Russland liegen. Inzwischen beklagen sich Landwirte in Deutschland, dass sie den vier- bis fünffachen Preis wie im letzten Jahr berappen mussten und noch ungewiss ist, ob im nächsten Jahr überhaupt ausreichende Mengen zur Verfügung stehen.

Stickstoff-Dünger kann synthetisch hergestellt werden, doch dafür ist eine ausreichende Versorgung mit Erdgas notwendig. Steigt dessen Preis, steigt zwangsläufig auch der Preis des Düngers – und damit auch der Lebensmittel.

TOP 8: Die griechischen Reeder

Als die Europäische Union über ein mögliches Embargo gegen den Import russischen Erdöls diskutierte, war auch im Gespräch, dass Schifffahrtsunternehmen aus der EU kein russisches Öl mehr transportieren sollten. Das ist nun vom Tisch; Reeder aus Griechenland, Zypern und Malta haben sich durchgesetzt.

Sie kippten die die Pläne der Kommission, die Versicherung von europäischen Tankschiffen für den Transport russischen Öls zu unterbinden. Die Reedereien führen an, dass sie auch durch Charter-Verträge gebunden sind und bei einem Embargo in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht seien.

Die Argumente der Reeder scheinen begründet; denn in den ersten vier Monaten dieses Jahres haben sie rund zwei Milliarden US-Dollar in 105 neue Schiffe investiert. 46 davon sind Tanker, teilweise waren es vormals russische Tanker.

Nach ihrem Steueraufkommen betrachtet, sind die griechischen Reeder kein großer Faktor der griechischen Wirtschaft. Doch mit SKAI-TV, ANT1-TV, STAR-TV, MEGA-TV und ALPHA TV befinden sich fünf der sechs landesweit lizensierten Privatsender in der Hand von Reedern. Dazu kommen Radiostationen und Zeitungen. Keine Regierung in Athen kann es sich erlauben, gegen die Interessen der Reeder zu regieren.

Zur Akzeptanz der Sanktionen trägt das nicht viel bei, denn für die Menschen muss es paradox wirken, wenn in den TV-Stationen gegen Russland gewettert wird, währen die Inhaber der Sender weiterhin gute Geschäfte mit Russland machen. Und davon profitieren, dass mehr verflüssigtes Erdgas (LNG) nach Europa transportiert werden soll.

Die eigentliche Aufgabe der Regierung nehmen inzwischen Umweltorganisationen wie Greenpeace ein – wenn auch nur als moralische Instanz.

Greenpeace veröffentlicht zum Beispiel Daten, wenn ein Öltanker einen russischen Hafen verlässt. Leser erfahren so den Namen des Tankers, die Ladung und den Zielhafen.

Die griechische Gruppe investigativer Journalisten Reporters United hat sowohl die Greenpeace und MarineTraffic Daten, als auch Daten von Equasis ausgewertet und eine Liste griechischer Reeder erstellt, die vom 9. März bis zum 30. April russisches Erdöl transportierten.

TOP 9: Indien zertifiziert russische Tanker, Versicherer versichern

Der Westen hat Sanktionen gegen Russland ausgesprochen – und manche Länder wollen sich nicht daran halten. Indien ist ein Beispiel dafür: Es hilft Russland, notwendige Zertifizierungen für seiner Öltanker zu bekommen.

Wie der Spiegel nun berichtete, hat Indien Dutzende von Tankern zertifiziert, die von einer in Dubai ansässigen Tochtergesellschaft des führenden russischen Schifffahrtskonzerns Sovomflot betrieben werden.

Westliche Firmen, die ebenfalls die notwendigen Zertifizierungen ausstellen, hatten ihre Dienste für Russland eingestellt, wegen der westlichen Sanktionen. Eigentlich, so der Plan, sollte der Entzug der Zertifizierungen Russlands Haupteinnahmequellen versiegen lassen. Man hatte es für ein effektives Mittel gehalten – und sieht sich jetzt vor einem Scherbenhaufen.

Die Zertifizierung ist notwendig – neben dem Versicherungsschutz –, um eine Tankerflotte betreiben zu können. Wie der Spiegel nun herausgefunden haben will, hat das Indian Register of Shipping (IRClass) mehr als 80 Schiffe des russischen Staatsunternehmens Sovcomflot zertifiziert. IRClass ist eines der weltweit führenden Gesellschaft in dem Bereich.

Es war auch eine große Hoffnung, dass mit den Sanktionen kein russischer Tanker mehr versichert werden würde. Schließlich sitzen die meisten Schifffahrtsversicherer in Europa, und 97 Prozent aller Tanker, die russisches Öl transportieren, waren bislang in Großbritannien, Norwegen und Schweden versichert.

Doch auch hier ist es nicht so einfach, denn es muss nachgewiesen werden, dass tatsächlich russisches Öl transportiert wird. Doch Indien verarbeitet russisches Öl und transportiert indisches Benzin nach Europa. Somit ist die Sachlage nicht mehr so einfach. Dann können Tanker auch auf hoher See ihr GPS-Signal ausschalten und das Öl auf ein anderes Schiff verladen. So umgehen bereits der Iran, Nordkorea und Venezuela seit Jahren westliche Sanktionen.

Die Hoffnung des Westens sind dann wohl die Recherchen von Greenpeace und anderen Organisationen, die Tankerladungen aus Russland nachverfolgen.

TOP 10: Russische Oligarchen

Ein Ziel der westlichen Sanktionen waren die russischen Oligarchen, vor allem jene, die dem Präsidenten Wladimir Putin nahestehen sollen. Ihre Vermögenswerte innerhalb der EU sollten eingefroren werden.

Laut österreichischem Standard sollen mindestens dreizehn russische Yachten in den Häfen von Frankreich bis Fiji eingezogen worden sein. Gesamtwert: rund zwei Milliarden Euro.

Und das waren nur die, die auch gefunden wurden. Denn nach Ausrufung der Sanktionen waren plötzlich viele dieser Protz-Yachten vom Radar verschwunden. Dem Bericht zufolge hat das Abschalten des automatischen Identifikationssystems (AIS) gereicht.

Unter den "Vermissten" befinden sich prominente Superyachten wie die 140 Meter lange Ocean Victory von Wiktor Raschnikow, die zuletzt am 1. März in der Nähe der Malediven gesichtet wurde. Wie viele andere Oligarchen wurde der Unternehmer und Politiker, der zu den reichsten Russen gehört, Anfang März auf die Sanktionsliste der EU gesetzt. Teile seines Vermögens wurden damit eingefroren, auch die Einreise in die EU ist Raschnikow derzeit nicht gestattet.

Doch selbst wenn die Oligarchen mit ihren Yachten erwischt wurden – ihr Verlust ist für sie nicht das Problem, sondern die unausgeglichenen Ehefrauen. So berichtete es Business Insider.

Demnach kratzen die EU-Sanktionen keine russischen Oligarchen wirklich. Was ihnen wirklich schmerzt, ist die Ehefrau, die einem auf die Nerven geht, die man aber nicht für ein paar Wochen auf die Yacht schicken kann.

Diese Probleme sind im wahrsten Sinne des Wortes: Luxusprobleme. Aber sie zeigen einmal mehr, dass Sanktionen nur die ernsthaft treffen, die nicht im Luxus schwelgen. Und die Oligarchen zeigen nun ihr wahres Gesicht: Erst profitierten sie vom russischen System, nun kokettieren sie mit dem Westen und verleugnen ihre Nähe zur russischen Regierung. Business as usual, eben.