Gazprom drosselt erneut Gas-Lieferung, Experte warnt vor "Schockwellen"

Über Nord Stream 1 zeigten sich Politiker bei der Eröffnung 2011 erfreut. Heute droht die Pipeline zu versiegen. Bild: Kremlin.ru, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Deutschland sieht politisches Kalkül, die russische Seite verweist auf westliche Sanktionen. Wieso es wahrscheinlich ist, dass im Winter Wohnungen kalt bleiben.

Die Versorgung Deutschland mit Erdgas entwickelt sich immer mehr zum Krimi. Ob die Gasspeicher vor dem Winter den vorgeschriebenen Füllstand erreichen werden, wird zunehmend ungewiss.

Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 ist zuletzt zu einer der zentralen Leitungen geworden, über die Deutschland versorgt wird. Ein Tagesvolumen von 167 Millionen Kubikmetern war geplant, doch die russische Seite kürzte die Liefermenge, zunächst auf 100 Millionen Kubikmeter – und ab Donnerstag sollen nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter pro Tag durch sie hindurch strömen.

Besorgt äußerte sich der Chef der Bundesnetzagentur, er nannte das Vorgehen der russischen Seite "technisch nicht zu begründen". Die Drosselung der Lieferungen durch Nord Stream 1 nun auf etwa 40 Prozent senkt, sei, so Klaus Müller, ein Warnsignal. "Russland schürt damit leider Verunsicherung und treibt die Gaspreise hoch", sagte er im Gespräch mit der "Rheinischen Post". Der Präsident der Netzagentur erwartet weiter steigende Gaspreise und kräftige Nachzahlungen:

Schon jetzt haben sich die Gaspreise für private Haushalte gegenüber der Vorkriegs-Zeit vervielfacht. Für Mieter kann es eine böse Überraschung geben, wenn hohe Nachzahlungen fällig werden. Das können schnell mehr als tausend Euro sein, da werden Schockwellen durch das Land gehen. Banken werden ihre Geschäfte mit Ratenkrediten hochfahren, angeschlagenen Firmen droht die Insolvenz.

Der russische Energieriese Gazprom begründete diesen Schritt mit Reparaturarbeiten, die sich durch Siemens Energy verzögern würden. Deshalb müsse nun eine weitere Gasverdichtungsanlage abgestellt werden.

Siemens Energy hatte am Dienstag bestätigt, Gasturbinen nicht an Gazprom ausliefern zu können. Diese werden benötigt, um den Gasdruck in der Leitung aufrechterhalten zu können. Siemens Energy hatte sie zwar schon im Jahr 2009 geliefert, aber um den weiteren Betrieb gewährleisten zu können, müssen sie regelmäßig gewartet werden.

Kanadische Sanktionen beeinträchtigen Nord Stream 1

Aus technischen Gründen könne das aber nur in Montreal gemacht werden, hatte Siemens Energy am Dienstag erklärt. Doch die kanadischen Sanktionen lassen es nicht zu, dass sie wieder an Russland geliefert werden können.

"Vor diesem Hintergrund hatten wir die kanadische und deutsche Regierung informiert und arbeiten an einer tragfähigen Lösung", sagte eine Firmensprecherin gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Und Spiegel Online hatte am Dienstag berichtet, die deutsche Bundesregierung bemühe sich bei der kanadischen Regierung um eine Ausnahmegenehmigung von den Sanktionen.

Gazprom kündigte seinerseits am Mittwoch an, den Einsatz von Siemens-Anlagen in der Kompressorstation Portovaya in der Nähe von St. Petersburg weiter zu reduzieren. Und das hat eine weitere Drosselung zur Folge: Nur noch etwa 40 Prozent der geplanten Liefermenge wird auf den Weg nach Deutschland geschickt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht in dem Schritt politisches Kalkül. Bei ihm entstehe der Eindruck, dass es "eine politische Entscheidung ist, keine technisch begründbare Entscheidung", sagte er am Mittwoch in Berlin. Das Argument der russischen Seite sei nur ein Vorwand und habe das Ziel, Unruhe zu stiften. "Es ist offensichtlich eine Strategie, um die Preise zu verunsichern und in die Höhe zu treiben."

Die technischen Probleme sehen auch einige deutsche Experten als "vorgeschobenes Argument" an. Zum Beispiel die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Gegenüber dem WDR sagte sie, Russland könnte schließlich auch andere Transportrouten wählen, wenn es gewollt wäre.

Welche das ihrer Meinung nach sein könnten, sagte sie nicht. Und es dürfte auch schwer werden, eine andere Leitung zu finden. Die Jamal-Pipeline fällt aus, nachdem Polen den Gasliefervertrag mit Russland gekündigt hat und damit auch der Gastransit in Richtung Deutschland unmöglich wird. Aber auch der Gastransit über die Ukraine läuft nur noch eingeschränkt.

Habeck rief deshalb erneut zum Energiesparen auf, das sei das Gebot der Stunde, sagte er. Zwar könnten aktuell die benötigten Mengen am Markt beschafft werden, "wenn auch zu hohen Preisen". Die Versorgungssicherheit sei gewährleistet, betonte er.

Staatliche Finanzspritze für Gazprom Germania

Die hohen Gaspreise sind allerdings auch eine Ursache für die finanzielle Schieflage von Gazprom Germania. Die Bundesregierung hatte das Unternehmen erst im April unter Treuhänderschaft der Bundesnetzagentur gestellt. Nun muss es mit einer Summe von neun bis zehn Milliarden Euro durch die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gestützt werden. Mit dem Geld soll die Liquidität des Unternehmens gesichert werden, erklärte die Bundesregierung am Dienstag.

Gazprom Germania betreibt nicht nur einen großen Gasspeicher in Rehden, die Tochtergesellschaft Wingas beliefert unter anderem auch Stadtwerke mit Erdgas und ist deshalb zentral für die Versorgungssicherheit in Deutschland.

Angesichts des Krieges in der Ukraine befürchtete die Bundesregierung allerdings, Russland könnte seinen Einfluss über Gazprom Germania nutzen, um die deutsche Regierung unter Druck zu setzen. Deswegen übernahm der deutsche Staat kurzerhand die Kontrolle über das Unternehmen.

"Mit diesem Vorgehen behält die Bundesregierung den Einfluss auf diesen Teil der kritischen Energieinfrastruktur und verhindert eine Gefährdung der Energiesicherheit", hatte die Bundesregierung erklärt.

Die russische Regierung reagierte allerdings mit Sanktionen gegen Gazprom Germania, so dass das Unternehmen nicht mehr mit billigem Gas aus Russland beliefert werden konnte, sondern Erdgas zu deutlich höheren Preisen auf dem Markt einkaufen musste. Das Ergebnis war die finanzielle Schieflage, die nun mit staatlichen Geldern aufgefangen werden muss.