Schädliche Veröffentlichungen

Die Debatte um Journalisten im Geheimdienst offenbart, dass nicht erst der Kampf gegen Terror im Ausland die rechtsstaatlichen Werte im Inneren bedroht

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In der Affäre um die Anwerbung, Bespitzelung und Bedrohung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) geht die Bundesregierung nun in die Offensive. Wie ihr Sprecher Ulrich Wilhelm am Montag mitteilte, hat das Bundeskanzleramt dem BND mit sofortiger Wirkung verboten, Journalisten zu benutzen, um Informanten in den eigenen Reihen auszumachen.

Zugleich werde es dem Dienst untersagt, „operative Maßnahmen“ gegen Pressevertreter durchzuführen, sie also systematisch zu bespitzeln. Die vermeintlich radikale Maßnahme zielt auf eine Schadensbegrenzung in einem Skandal, dessen rechtsstaatliche Ausmaße noch nicht zu erfassen sind. Und sie ist paradox zugleich. Denn gerade die Affäre belegt, dass sich der Dienst demokratisch nicht kontrollieren lässt. Geheim bleibt eben geheim. Die Schlapphüte haben in Pullach bei München einen Staat im Staat errichtet, dessen Grenzen scheinbar unantastbar sind.

Das wahre Ausmaß der Verwicklungen hatte der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, offenbart. Einen 170-seitigen Bericht hat der Jurist als Sonderermittler für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) erstellt, das für die Kontrolle des Geheimdienstes zuständig ist. Die detaillierte Untersuchung belegt anhand mehrerer Fälle, wie der BND Journalisten Geld für Informationen gezahlt hat. Dabei handelte es sich mitnichten nur um Einzelfälle.

Nach Schäfers Erkenntnissen haben die Geheimdienstler Journalisten gezielt und über Jahre hinweg auf Kollegen angesetzt. Ziel der Operationen war es, über aktuelle Recherchen führender Redaktionen frühzeitig informiert zu sein, um etwaige Informanten in den eigenen Reihen ausfindig zu machen und somit „schädliche Veröffentlichungen“ zu verhindern. Schäfer soll diese Praktik „unverhältnismäßig“ und „eindeutig rechtswidrig“ genannt haben.

Bislang muss er noch unter Vorbehalt zitiert werden. Denn ein weiteres Paradoxon besteht darin, dass der Bericht nach wie vor unter Verschluss ist und die Protagonisten unter Schweigepflicht stehen. So müssen Journalisten weiterhin auf Informationen anonymer Geheimdienstquellen zurückgreifen, um substantiell über ihre eigene Aushorchung durch den BND berichten zu können.

Enge Kooperation über Jahre hinweg

Wie im Fall von Andreas Förster. Im Herbst 2005 wurde der Redakteur der Berliner Zeitung von dem Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom kontaktiert. Schmidt-Eenboom, dessen Fall dem aktuellen Skandal zugrunde liegt, hatte als Fachautor mehrerer Bücher über den Geheimdienst jahrelang Kontakt zu BND-Mitarbeitern gehalten.

Weil er sich aber vehement weigerte, seine Informanten zu nennen, wurde die Kooperation im Herbst vergangenen Jahres aufgekündigt. Im Mai 2005 hatte er überdies bereits erfahren, dass er über die „viertel- bis halbjährlichen Gespräche“ hinaus ständig überwacht wurde. Das Verhältnis – „ein Geben und Nehmen“, wie der Betroffene es heute nennt - kühlte massiv ab.

Gut zwei Wochen nach dem letzten Kontakt, der im Streit endete, bekam der Leiter des Forschungsinstitutes für Friedenspolitik im oberbayrischen Weilheim einen anonymen Drohanruf. Sollte er seine Kontakte mit dem Geheimdienst öffentlich machen, wie er es angekündigt hatte, werde der BND ihn „schlachten“. Schmidt-Eenboom entschloss sich kurzerhand, an die Presse zu gehen. Die Wahl fiel auf Förster. Und es war eine folgenschwere Entscheidung für allen Beteiligten.

Mehrere Monate nach diesem ersten Kontakt zur Berliner Zeitung werden nun Berichte öffentlich, nach denen der BND drei Wochen vor der ersten Veröffentlichung Försters im November 2005 von dessen Recherchen wusste.

Bewahrheiten sich entsprechende Vermutungen - von denen ja noch gesprochen werden muss - würde dies gleichsam belegen, dass auch Förster systematisch überwacht wurde. Das Münchner Nachrichtenmagazin Focus meint, den dafür verantwortlichen inoffiziellen Mitarbeiter des BND ausfindig gemacht zu haben. Der Leipziger Uwe M. habe seine Auftraggeber unter dem Decknamen „Sommer“ über die Arbeit Försters unterrichtet. Von den Pullachern sei er im Frühjahr 2002 angeworben worden, um seither zahlreiche Dossiers über Medienvertreter zu erstellen.

Zahlreiche Fälle aufgedeckt - keiner bestätigt

Auch dies ist kein Einzelfall. Nach und nach decken führende deutsche Redaktionen die Überwachung der eigenen Kollegen oder anderer Medien auf. Nach Angaben des Nachrichtenmagazins Der Spiegel ist der Focus in den neunziger Jahren von zwei BND-Informanten ausgespäht worden, deren Personalakten in Pullach unter den Pseudonymen „Dali“ und „Kempinski“ geführt wurden. Tatsächlich wurde der Focus-Redakteur Josef Hufelschulte vom BND bis in sein Hotel verfolgt, nachdem er Schmidt-Eenbooms Büro besucht hatte.

Auch der Stern-Journalist Wolfgang Krach wurde nach unbestätigten Angaben aus dem Schäfer-Papier langfristig überwacht, weil er zu dem Weilheimer Experten Kontakt hatte. Im Auge des Orkans stand aber Schmidt-Eenboom selbst. Der Eingangsbereich seines Büros wurde über Jahre hinweg observiert, seit er 1993 erstmals Insider-Informationen über den Pullacher Dienst in einem seiner Bücher veröffentlichte. Der BND schweigt solchen Berichten ungeachtet zu all diesen Fällen. Immerhin: Den Weilheimer Friedensforscher bat man inzwischen um Entschuldigung.

Schmidt-Eenboom: „Kerndaten des Schäfer-Berichtes veröffentlichen“

Das Ausmaß der Verwicklungen erstaunt Beobachter und erschreckt Journalisten, weil der Bundesnachrichtendienst normalerweise nur im Ausland tätig sein sollte. Eine Ausnahme ist die so genannte Eigensicherung. Nur im Interesse der Arbeitsfähigkeit, heißt es da, seien Operationen im Inneren zulässig, um die nicht genehmigte Weitergabe von Informationen zu unterbinden.

Schmidt-Eenboom, dessen Observation am Anfang der Affäre stand, vertrat daher auch im Gespräch mit Telepolis eine derzeit zentrale Forderung:

Die Kerndaten des Berichtes von Gerhard Schäfer sollten veröffentlicht werden.

Zudem sollten die Mitglieder das Parlamentarischen Kontrollgremiums zumindest in die Lage versetzt werden, ein eigenes Urteil über den Bericht und die ihnen vorliegenden Informationen öffentlich zu machen. Diese Forderung war schon im Rahmen der jüngsten Debatte um die Beteiligung deutscher Geheimdienstler am „Krieg gegen den Terrorismus“ (vgl. "Es gibt sehr wohl noch offene Fragen") erhoben worden. Auch dabei mussten die PKG-Mitglieder über den Bericht der Bundesregierung Schweigen bewahren. Schwer denkbar, wie die Öffentlichkeit in Anbetracht einer solchen Geheimhaltungspolitik je über die Verfehlungen des Dienstes erfahren soll.

In der Debatte um eine Reform von Geheimdienst und parlamentarischer Kontrolle ist Schmidt-Eenboom jedoch zurückhaltend. Auch ein reformiertes Kontrollgremium würde von Grenzfällen wie der derzeit diskutierten Observation von Journalisten nichts erfahren. Statt dessen schlägt der Weilheimer Experte vor, die Hintermänner über rechtsstaatliche Mittel zur Verantwortung zu ziehen:

Nach derzeitigem Erkenntnisstand sind Hunderttausende D-Mark für illegale Aktionen verwandt worden. Alle diese Ausgaben wurden akribisch erfasst. Der Bundesrechnungshof sollte also die Buchführung des Bundesnachrichtendienstes prüfen und ehemals leitende BND-Funktionäre gegebenenfalls persönlich zur Verantwortung ziehen. Wenn von dem einen oder anderen amtierenden oder pensionierten Geheimdienstler Hab und Gut zur Kompensation des entstandenen Schadens gepfändet wird, dann hätte das wohl auch eine abschreckende Wirkung.

Auf politischer Ebene sind solche Maßnahmen nicht im Gespräch. „Journalisten wie auch die gesamte Gesellschaft haben ein Recht auf die Wahrheit“, meint etwa der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken.

Noch kürzer greifen die Positionen der großen Koalition. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach erkennt zwar an, dass die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes „offenbar deutlich überschritten wurden“, verlangt aber nur personelle Konsequenzen.

Ähnlich äußerte sich SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen, der immerhin noch eine „politische Auseinandersetzung über so ungeheuerliche Vorwürfe“ einfordert. Eine radikale Reform des bundesdeutschen Geheimdienstapparates will an dieser Stelle niemand. So besteht die Gefahr, dass, wenn sich die Wogen einmal geglättet haben, alles so weiterläuft wie bisher.