Schaute die Polizei auf Zypern weg?

Bild: Dickelbers/CC BY-SA 3.0

Hintergründe zu den Taten des Serienkillers

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Hinsichtlich des sadistischen Serienkillers auf Zypern, dessen Fall nun zum Rücktritt von Justizminister Ionas Nikolaou geführt hat, gibt es zahlreiche Reportagen. Viele beleuchten den Aspekt des jeweiligen Tatablaufs und immer mehr aufgefundene Opfer des für seinen Militärdienst ausgezeichneten Nationalgardisten.

Den Aussagen des geständigen Täters ist zu entnehmen, dass er nicht aufgehört hätte, wenn man ihn nicht gefasst hätte. Die Öffentlichkeit in Zypern und Griechenland beschäftigt auch die Frage, ob man den unter dem Pseudonym "Orestis" im Internet nach neuen Opfern suchenden Sexualstraftäter früher hätte fassen können oder sogar hätte fassen müssen.

Militär, Fotografie und Morde

Noch ist nicht geklärt, wie viele Opfer tatsächlich auf das Konto von Nikos Metaxas, dem Mann hinter dem Pseudonym "Orestis" gehen. Metaxas selbst führte ein nach außen hin auf den ersten Blick vorbildliches Leben. Er diente als Hauptmann, ist verheirateter Familienvater und semiprofessioneller Fotograf. Dort, wo er am liebsten fotografierte, am so genannten "roten See", entledigte er sich der Leichen seiner Opfer.

Der See, ein aufgrund fehlenden ökologischen Rückbaus in einer früheren Metallmine entstandenes Gewässer ist voll mit toxischem, undurchsichtigem Wasser. Die Metalloxide bieten für Fotografen ein farbenprächtiges Motiv. Für die Ermittler, die nun im See nach von Metaxas dort abgelegten Leichen suchen, ergeben sich dagegen zahlreiche Probleme. Die Polizeitaucher konnten zwar Koffer mit Leichen bergen, sie haben aber bereits einen weiteren Koffer entdeckt, an den sie nicht ohne weiteres herankommen können. Hier, nahe der Ortschaft Mitsero, sucht die Polizei nach weiteren Opfern.

Metaxas gibt gegenüber den Fahndern freimütig zu, gemordet zu haben. Dabei klingen seine Begründungen zynisch. Die Frauen erwürgte er beim Geschlechtsverkehr, weil ihm dies nach seiner Aussage Befriedigung verschaffte. Den Mord an zwei Kindern habe er begangen, weil sie Zeugen der Tötung ihrer Mütter waren.

Der Mann wird auch mit weiteren Morden in Verbindung gebracht, darunter auch mit der Ermordung einer Frau aus Nepal im türkisch besetzten Nordteil der Insel. Sie hat mit den übrigen bekannten Opfern eines gemeinsam: Sie stammt nicht aus Zypern.

Zweifel am Mordmotiv

Das, was verwirrt, ist die Tatsache, dass der Täter, anders als viele Serientäter, nicht nach einem einheitlichen Tatablaufmuster vorging. Zwei der Opfer wurden nackt und gefesselt in ein Bettlaken gewickelt, gefunden. Ein weiteres Opfer, dessen Mord Metaxas gestanden hat, befand sich vollständig bekleidet und ohne Fesseln in einem in den See geworfenen Koffer. Den Ermittlern ist nicht klar, ob es bei allen der Opfer, wie Metaxas es behauptet, sexuellen Kontakt gegeben hat.

Die Ermittler im türkisch besetzten Nordzypern gehen davon aus, dass das bei ihnen gefundene Opfer, die Vierzigjährige aus Nepal, nicht von Metaxas ermordet wurde, weil - so heißt es in griechischen Medien - die Charakteristik der Tat zu verschieden sein soll.

Auch in Griechenland suchten die dortigen Ermittler nach Opfern. Darauf angesprochen meinte Metaxas lapidar, "ich wohnte dort in einem Militärcamp zusammen mit weiteren Offizieren. Ich hatte kein Auto und konnte nicht raus. Ohne Ortskenntnis wusste ich nicht, wo ich eine Frau begraben sollte".

Zur Unterstützung der zypriotischen Ermittler wurden britische Experten von Scotland Yard eingeflogen. Einer der Schwerpunkte ihrer Ermittlungen ist die Aufdeckung der Methode, mit der Metaxas als "Orestis" im Internet nach Opfern suchte. Die Experten von Scotland Yard haben bereits mit einer erneuten Autopsie der bekannten Opfer begonnen, weil die genauen Todesursachen bei den ersten Autopsien nicht zweifelsfrei ermittelt werden konnten.

Die bislang bekannten Opfer sind, Mary Rose Tiburkio (38), Sierra Grace (6), Arian Palanas (28) und Marikar Valdez von den Philippinen, Livia Florentina Bunuea (36) und ihre Tochter Elena Natalia Bunuea (8) aus Rumänien sowie die Nepalesinnen, Romania und Khadka Anu (30). Es gibt 22 weitere "verschwundene" Frauen, die ebenso wie die Mordopfer nach Zypern einwanderten, um dort Geld zu verdienen. Diese Frauen passen in das offensichtliche Opfermuster von Metaxas.

Rassistische Motive oder rassistisch faule Polizei?

Der griechische Sexologe und Psychiater Thanos Askitis fasste das Opfermuster mit einer mindestens als unglücklich zu bezeichnenden Formulierung zusammen. Askitis, der politisch für die sozialdemokratische KinAl (PASOK) tätig ist, meinte, dass die meisten der Frauen, die Metaxas zum Opfer fielen, als "Frauen dieser Rasse von Geburt an die Charaktereigenschaft der Unterwerfung und des Dienen haben". Was Askitis damit hinsichtlich des Profils des Täters andeuten wollte, ist klar. Es klingt im Griechischen jedoch so, als würde er sich die Einstellung des Täters zu eigen machen.

Askitis löste damit einen Shitstorm aus. Dagegen blieb eine Äußerung von Polizeibeamten aus Zypern bislang noch ohne ernste Konsequenzen. Diese hatten nämlich vor dem Bekanntwerden der Morde einem misstrauischen Zyprioten gegenüber geäußert, sie hätten "Besseres zu tun als nach 'schwarzen Frauen' zu suchen".

Damit liefen die Nachfragen von Louis Koutroukides, dem Chef der Vereinigung der Gebäudereiniger, ins Leere. Koutrougides fand das Verschwinden von so vielen Frauen, die sich als Dienstmädchen und Reinigungskraft verdingten, verdächtig. Später kam heraus, dass Metaxas per Internet auch bei ihm nach Reinigungsfrauen fragte.

Koutroukides ließ nicht locker. Er schrieb einen offenen Brief an den Minister der Justiz, welcher am 19. April 2019 veröffentlicht wurde. In diesem Brief prangerte er die Untätigkeit der Polizei an und beschrieb, warum seiner Ansicht nach ein Serienkiller hinter dem Verschwinden der Frauen stecken müsse und warum er kaum noch glauben könne, dass alle Frauen, wie die Polizei es behauptete, schlicht weggelaufen wären. Koutroukides postulierte rassistische Motive - sowohl beim von ihm vermuteten Täter als auch bei der Untätigkeit der Polizei.

Die gleichen Befürchtungen gab es in den Kreisen der Immigrantinnen. Allerdings traute sich keine der Frauen, ebenso wie Koutroukides zur Polizei zu gehen. Nicht nur, dass sie ahnten, dass auch ihre Anzeigen ohne Erfolg sein würden, sie befürchteten zudem repressive Maßnahmen bis hin zur Ausweisung. Heute kramt die Polizei all die achtlos beiseitegelegten Vermisstenanzeigen vor. Der Minister für Justiz und Öffentliche Ordnung, Ionas Nicolaou, sah zunächst keinen Grund, Konsequenzen zu ziehen.

Tatsächlich kam der Fall nicht durch die Polizei ins Rollen. Es waren Touristen, welche die erste Leiche fanden, die dann von der Polizei nicht mehr wegdiskutiert werden konnte.

Plötzlich entdeckte auch die Polizei, dass "Orestis" über das soziale Netzwerk badoo Kontakt mit einigen der nun als Opfer identifizierten, vorher "Verschwundenen" hatte. Sie ermittelte, dass er auch über YouTube seine Tätigkeit als "Modellfotograf" anbot.

Schließlich fand sie durch einfaches Nachfragen heraus, dass Metaxas, aka "Orestis" zu den Orten ging, an denen sich Immigranten trafen, und dort nach Reinigungsfrauen für einen Stundenlohn von 20 Euro suchte, während die gleiche Tätigkeit in Zypern normalerweise mit 5 Euro pro Stunde entlohnt wird. Er versuchte, gegenüber den Immigrantinnen betont freundlich aufzutreten. Im Internet postete "Orestis" dagegen eher fremdenfeindliche Parolen.

Schließlich wurde bekannt, dass sich die getrennt lebende Ehefrau von Metaxas bereits im vergangenen Jahr, am 19. Juni 2018, an die Polizei wandte. Sie meldete einen heftigen Familienstreit und Drohungen ihres Gatten, die sie um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder fürchten ließ, der keine Scheidung akzeptieren wollte. Von einer Anzeige gegen ihn sah sie, aus welchem Grund auch immer, ab.

Metaxas selbst war zu einem anderen Zeitpunkt selbst zur Polizei gegangen. Er hatte eine Frau aus den Philippinen angezeigt, weil diese ihm nachstellen würde. Er wünschte gegenüber der Polizei keine Anzeige, sondern nur die Aufnahme des Vorfalls ins Protokoll der Wache.

Der Serienmörder gab an, dass die Immigrantin ihn erpressen würde und drohen würde, ihn wegen einer Vergewaltigung anzuzeigen. Die Frau wurde von der Presse Zyperns ausfindig gemacht. Sie bedauerte, dass sie ihre Anzeige nicht gemacht hatte, weil, wie sie glaubt, dann einige Opfer vielleicht noch leben würden.

Die Presse in Zypern und Griechenland biss sich über Wochen am Thema fest und deckte täglich neue Verfehlungen der Polizei auf. Am 1. Mai kündigte der Ionas Nicolaou, als verantwortlicher Minister schließlich seinen Rücktritt an, den er am 2. Mai vollzog. Er gab Gewissensgründe als Motiv für den Rücktritt an. Offenbar soll es auch bei der Polizei umfangreiche personelle Konsequenzen geben. Mittlerweile wurde auch der Polizeichef entlassen.