Scheuer unter Druck - und Druck durch Scheuer?
Im Maut-Untersuchungsausschuss gibt es Hinweise auf Ungereimtheiten bei der Vergabe und ein auffälliges Verhalten von Zeugen aus dem Verkehrsministerium
Im letzten Sommer entschied der Europäische Gerichtshof auf eine Klage der österreichischen Staatsführung hin, dass die von der deutschen Bundesregierung geplante PKW-Maut eine Ungleichbehandlung von EU-Ausländern mit sich bringe und damit unzulässig sei. Der deutsche Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hatte diese Entscheidung nicht abgewartet, bevor er mit einem Konsortium aus dem österreichischen Verkehrstelematikkonzern Kapsch und dem deutschen Ticketvermarkter CTS Eventim Verträge schloss.
Diese Verträge sieht dieses Konsortium mit dem Namen "autoTicket GmbH" nun als Grundlage dafür an, nicht nur eine "Kompensation der Beendigungskosten" zu fordern, sondern auch "den entgangenen Gewinn über die Vertragslaufzeit". Zusammengerechnet summieren sich diese Forderungen auf 560 Millionen Euro, die der deutsche Steuerzahler übernehmen soll, ohne dass er dafür mit Einnahmen aus einer PKW-Maut rechnen kann (vgl. Geplatzte Pkw-Maut: Betreiber verlangt 560 Millionen Euro Schadenersatz vom Bund).
Möchte das Ministerium "mit allen Mitteln schwerste Fehler vertuschen"?
Für die Oppositionsparteien im Bundestag war das ein Anlass, im letzten Jahr ihr Minderheitenrecht auf einen Untersuchungsausschuss einzufordern, der im Januar seine Arbeit aufnahm. Sehr viel hat er seitdem noch nicht herausgefunden. Dem FDP-Ausschussmitglied Oliver Luksic zufolge hängt das damit zusammen, dass "das Verkehrsministerium die Aufklärung behindert und bei der Vergabe der gescheiterten Pkw-Maut mit allen Mitteln schwerste Fehler vertuschen möchte". Dazu würden Zeugen "im Bundesverkehrsministerium nicht nur intensiv geschult, sondern wahrscheinlich auch massiv unter Druck gesetzt". Deshalb habe es der Ausschuss nicht nur mit verweigerten, sondern auch mit falschen Aussagen zu tun.
Das zeigte sich seinen Schilderungen in der Tageszeitung Die Welt nach unter anderem, als der Untersuchungsausschuss zu rekonstruieren versuchte, wie inzwischen vom Bundesrechnungshof als vergaberechtswidrig eingestufte Nachverhandlungen zwischen dem Ministerium und Kapsch-Eventim-Konsortium abliefen. Diese Verhandlungen führten dazu, dass ein Angebot des Verbunds, das beim Bewerbungseingang eigentlich ein Milliarde Euro über der vom Bundestag erlaubten Obergrenze lag, plötzlich doch noch in diesen Kostenrahmen passte.
Zweierlei Maß
Andere Bewerber, die zuvor abgesprungen waren, wurden nicht über diese Nachverhandlungen in Kenntnis gesetzt. Auch nicht darüber, dass man dabei die vorher vom Ministerium gestellten Bedingungen veränderte. Zu diesen abgesprungenen Bewerbern zählt der zum Bertelsmann-Imperium gehörige Dienstleister Arvato. Das nicht unbedingt als politikfern bekannte Unternehmen wollte seine "Anliegen" vor seinem Absprung "in einem Gespräch erörtern". Die Bitte darum lehnte das Verkehrsministerium damals jedoch mit dem Verweis darauf ab, dass "Einzelgespräche mit Bietern während eines laufenden Vergabeverfahrens unzulässig" seien.
Mit dem Kapsch-Eventim-Konsortium führte Scheuer dagegen bereits vor den Nachverhandlungen mindestens ein Einzelgespräch. Am 3. Oktober, nur zwei Wochen nachdem man die Bitte Arvatos abschlägig beschieden hatte. Das findet nicht nur das SPD-Untersuchungsausschussmitglied Kirsten Lühmann "rechtlich bedenklich".
Das, was bei den Nachverhandlungen zwischen dem Bundesverkehrsministerium und dem Konsortium konkret gesagt wurde, liegt bislang weitgehend im Dunkeln. Es steht noch nicht einmal genau fest, wie viele Nachverhandlungsgespräche es gab: sechs, sieben - oder mehr. Einer der Teilnehmer konnte, wollte oder durfte sich nicht einmal daran erinnern, dass er damals eine Notiz zur "Vorbereitung des nächsten Verhandlungsgesprächs" anfertigte. Erst als Luksic ihm daraus vorlas, räumte er dessen Existenz ein.
Digitale Zeugen gelöscht
Ein anderer Zeuge aus dem Bundesverkehrsministerium meinte auf die Frage, ob damals jemand rechtliche Bedenken vorbrachte, wenn man ihm "privat was gesagt" habe, dann werde er "das hier nicht aussagen". Eventuell muss er das aber doch noch, weil der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten kein Zeugnisverweigerungsrecht gegeben sieht, wenn der Inhalt eines privaten Gesprächs "den Gegenstand des Ausschusses betrifft". Aber wer weiß, was so ein kohlenstoffbasierter Gedächtnisspeicher bis zur Durchsetzung so einer Aussage nicht noch alles vergisst.
Speicher, die potenziell etwas genauer arbeiten und Informationen länger halten, wurden dummerweise gelöscht, bevor sie der Untersuchungsausschuss anzapfen konnte. Das betrifft sowohl die Mobiltelefondaten von Scheuer selbst als auch die seines ehemaligen Staatssekretärs Guido Beermanns und anderer Führungskräfte, die früher potenziell mit der Sache befasst waren. Dass das Scheuers Karriere schadet, muss in der politischen Kultur im Deutschland des Jahres 2020 nicht unbedingt sein, wie der Werdegang seiner ehemaligen Ministerkollegin Ursula von der Leyen zeigt (vgl. "Die Ministerin hat ihr Telefon ordentlich aufgeräumt - oder aufräumen lassen").