Schiefergas ist für die britische Regierung der neue Goldrausch
Der Abbau von Schiefergas soll für die Gaskonzerne vereinfacht werden, doch in der Bevölkerung regt sich erheblicher Widerstand dagegen
Die Zentren dieses Widerstands sind derzeit Barton Moss, Balcombe, und Fylde: Diese Orte stehen an der Speerspitze zahlreicher und fast täglich zahlreicher werdender Bürgerinitiativen gegen so genanntes "exploratory drilling", also Untersuchungsbohrungen. Diese sind notwendig, um herauszufinden, wie viel Gas überhaupt gefördert werden kann. Denn aus den Reihen der Industrie werden astronomische Zahlen genannt, die angeblich einen großen Teil für eine zukünftige Energieunabhängigkeit Großbritanniens beitragen können. Doch Klarheit über mögliche Fördermengen besteht nicht.
Unabhängige Quellen gibt es kaum. Die die britische Diskussion bestimmenden Zahlen kommen hauptsächlich aus den Blättern eines Berichts des "Institute of Directors", einem Unternehmerberband. Dieser Bericht wurde unter Mitarbeit von Beschäftigten des Cuadrilla Konzerns, einem der führenden Fracking Konzerne, verfasst. Darin werden die Vorzüge von Fracking in glühenden Farben beschrieben. 74.000 neue Jobs sollen durch die Technologie in strukturschwachen Regionen geschaffen werden.
Diese Zahlen werden von Bürgerinitiativen als inflationär bezeichnet. So geht die Bürgerinitiative gegen Fracking in Balcombe höchstens von 32.000 neuen Jobs aus, die meisten davon befristet und aus sehr spezialisierten Branchen. Deshalb würden die meisten Arbeiter auch eingeflogen und nicht etwa vor Ort ausgebildet werden. Weiterhin handele es sich überwiegend um temporäre Jobs, die mit den Bohrlöchern mitwandern würden.
Doch in Regierungskreisen ist man sich sicher: Fracking ist die Zukunft. Nicht nur soll so die Energieunabhängigkeit Großbritanniens garantiert werden. Auch die Gaskosten für den Endverbraucher sollen gesenkt werden. Man hofft, einen ähnlichen Schiefergasboom wie derzeit in den USA initiieren zu können.
Deshalb hat sich in den letzten zwei Jahren das Wirtschaftskomitee des britischen Oberhauses im Detail mit Fracking befasst. Dessen Bericht ist nun erschienen. Das zusammengefasste Ergebnis: Für eine erfolgreiche Zukunft von Fracking in Großbritannien brauche es bessere und übersichtlichere Regulierungsstrukturen als bisher. Genehmigungsverfahren dauern derzeit viel zu lang, so das Komitee.
Der Ball wird bereits von der Regierung aufgenommen. Premierminister Cameron versprach eine umfassende Reform der Regulierungsvorschriften. Finanzminister Osborne kündigte an, Großbritannien werde "all out for shale" vorangehen. Dabei ist selbst im Bericht des Economic Affairs Committees zu lesen, dass Gaspreise durch die Erschließung von Schiefergas keinesfalls sinken werden. Höchstens werden sie gleich bleiben.
Allerdings hat der Chemiekonzern INEOS ein großes Interesse an Schiefergas angemeldet. INEOS betreibt Großbritanniens größte Raffinerie im schottischen Grangemouth. Schon mehrfach hat der Konzern mit der Schließung der Anlage gedroht, weil die Produktion nicht profitabel genug sei. Doch gebe es eine heimische Schiefergasproduktion, könne die Lebensspanne von Grangemouth durchaus verlängert werden. INEOS schielt dabei auf bei der Förderung entstehende Abfallprodukte, die zur Herstellung chemischer Produkte notwendig sind.
Die Fracking-Lobby ist in der britischen Politik gut aufgestellt
Die Anhörungen des Komitees waren von Vertretern der Energiekonzerne und von selbigen bezahlten Akademikern dominiert. Bürgerinitiativen aus Balcombe und Fylde sowie die Umweltschutzorganisationen Greenpeace, WWF und Friends of the Earth durften zwar ihre Bedenken vortragen, waren aber im Anhörungsprozess marginalisiert.
Zu den Bedenken gehören die Verwendung von giftigen Chemikalien beim Fracking, drohende Grundwasserversorgung, Erdbebengefahr und die Industrialisierung der Landschaft. Anti-Fracking-Kampagnen befürchten, dass in den betroffenen Gebieten mittelfristig Tausende Bohrlöcher entstehen könnten, die auch nach Ende der Förderung regelmäßig kontrolliert werden müssten um zu verhindern, dass es zu keinen Kontaminierungen kommt.
Diese Bedenken hält das Komitee jedoch für übertrieben und unbewiesen. Daten aus den USA und Großbritannien, wonach Fracking zu teilweise großen Umweltzerstörungen geführt hat, werden zurückgewiesen. Vielmehr brauche man eine Überzeugungskampagne, um die Ängste in der Bevölkerung zu entkräften.
Die Fracking-Lobby ist in der britischen Politik gut aufgestellt. Ein Beispiel ist Lord Browne. Bis 2007 war er Chief Executive bei BP. Jetzt ist der Chairman des Konzerns Cuadrilla. Er ist eines der führenden Fracking-Unternehmen Großbritanniens. Browne ist außerdem der "lead Non Executive" in der britischen Regierung.
"Non Executives" sind Spezialisten, die Ministerien zuarbeiten. Als "lead Non Executive" ist Browne für die Bestellung dieser Spezialisten verantwortlich. Diesen Posten hat er genutzt um Fürsprecher der Fracking Branche in verschiedenen Ministerien unterzubringen. Eine Anfrage der Grünen Parlamentarierin Caroline Lucas auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes ergab, dass insgesamt 50 Personen der Fracking Lobby verschiedenen Ministerien zuarbeiten.
Diese Verbindungen reichen bis an die Spitze der britischen Politik. Der aus Australien stammende Chefstratege der Konservativen Partei, Lynton Crosby, ist in der Firma Dart Energy involviert. Dart Energy möchte Fracking in Nordengland etablieren. Dart Energy wurde vor kurzem von IGAS aufgekauft, ein weiterer Konzern, der in Nordengland Probebohrungen vornimmt. Gemeinsam sind sie das größte derzeit existierende Fracking Konglomerat in Großbritannien.
Finanzminister George Osborne ist über seinen Schwiegervater Lord Howell mit der Fracking-Branche verbunden. Der war bis 2012 zuständig für Energiefragen im Außenministerium. Zusätzlich ist er Mitglied einer Reihe von Lobby- und Klimawandelskeptiker-Organisationen, die alle von Shell und BP finanziert werden. Darunter das British Institute of Energy Economics und die Windsor Energy Group.
Die Verbindung Osbornes mit Howell ist pikant, weil Osborne seit Jahren innerhalb der britischen Regierung einen Krieg gegen erneuerbare Energien führt. Gleichzeitig ist Osborne ein Champion der Fracking-Technologie. So schrieb er am neunten Juli 2012 einen Brief an den Energie- und Klimaminister Ed Davey, in dem er den Ausbau von Fracking "weit über das Niveau einer Backuptechnologie für erneuerbare Energien hinaus" und keine neuen Klimaziele forderte.
Das hat sich mittlerweile in die Realpolitik ausgewirkt. So wurden Fördergelder für erneuerbare Energien zusammengestrichen. Gleichzeitig wurde die Steuerlast für Konzerne, die sich auf britischem Boden mit Fracking versuchen wollen, von 60% auf 30% gesenkt.
Streit um die Risiken
Bislang dürfen Firmen die Sicherheit ihrer Bohrlöcher selbst kontrollieren. Sie müssen nur der Umweltschutzbehörde regelmäßig berichten. Das soll sich ändern, findet das Economic Affairs Comitee. Zukünftig soll es Kontrollen durch Behörden geben. Nur, dass eben jene Behörden mit Stellenabbau im Rahmen der britischen Sparpolitik zu kämpfen haben. Tausende Inspektorenposten wurden allein bei der Arbeitsschutzbehörde abgebaut. Deshalb bezweifeln die Bürgerinitiativen auch die Ernsthaftigkeit der Vorschläge zur Sicherheit.
Ihren grundsätzlichen Segen zur Fracking Technologie hat bereits die Gesundheitsbehörde "Public Health England" gegeben. Sie hält Fracking für größtenteils unproblematisch, wenn es entsprechende Sicherheitsmaßnahmen gibt. Probleme wie in den USA seien wegen strengeren Vorschriften in Großbritannien weitgehend auszuschließen.
Diese Sichtweise wird in einem Editorial des British Medical Journal zurückgewiesen. Die Position von Public Health England, heißt es da, "ignoriert die der Industrie innewohnenden Risiken, die durch keine Form der Regulierung ausreichend behoben werden kann. Dazu gehört die Verschalung des Bohrlochs, Betonversagen und Wasserverschüttung. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass das in Großbritannien anders ist und der Report bringt wenig Beweise für das Gegenteil, trotz wiederholter Behauptungen, dass Regulierung die sichere Entwicklung von Schiefergas Abbau garantieren kann."
Kritik kommt auch von den Bürgerinitiativen gegen Fracking. Unter anderem werfen sie Public Health England vor, nie mit den Bewohnern der betroffenen Wohngegenden gesprochen zu haben. Sie führen an, dass durch Probebohrungen in der Nähe von Blackpool bereits Erdbeben verursacht wurden und widersprechen der Ansicht, dass es eine sichere Durchführung von Shale Gas Gewinnung überhaupt gibt.
Das letzte Wort in der Debatte hatte bislang einmal mehr der Fracking-Lobbyist Lord Howell. In einem offenen Brief warnt er vor Schiefergasabbau in südenglischen ländlichen Regionen. Das würde den Konservativen Tausende Stimmen bei Wahlen kosten. Außerdem seien die Voraussagen für den Erfolg der Industrie übertrieben und man müsse erst tausende Bohrlöcher etablieren. Das sei aber kein Argument gegen den Aufbau einer Fracking-Industrie. Aber: "Man soll es lieber in den desolaten Gegenden Nordenglands machen."
Die "desolaten Gegenden Nordenglands" sind jene, in denen es für die Tories keine Stimmen zu holen gibt. Den Bewohnern dieser Gegenden ist der Abbau von Schiefergas scheinbar zuzumuten. Den reichen Großgrundbesitzern im Süden aber nicht.