Schlechte Aussichten für Aliens?
Ein mathematisches Modell und die eigenwillige Interpretation eines englischen Forschers, wonach extraterrestrische Kulturen eine absolute kosmische Rarität sind, lädt zur Kritik ein
Außerirdisches intelligentes Leben wird es aller Wahrscheinlichkeit nicht geben. In diesem pessimistischen Denkmodell gefangen ist derweil ein Forscher namens Andrew Watson, der ein mathematisches Modell erstellte, dem zufolge selbst mikrobielles Leben auf erdähnlichen Planeten sehr rar gesät sein soll. Ausgehend von der Überlegung, dass sich auf der Erde strukturelles und komplexes Leben relativ spät ausbildete und dass dieser Prozess von einer kleinen Anzahl höchst komplizierter evolutionärer Schritte gesteuert wird, sezierten Watson und sein Team jeden dieser Schritte einzeln, setzten ihn in Relation zur Lebensspanne der Erde und berechneten die Wahrscheinlichkeit, inwieweit solche außerirdisches Leben begünstigen. Aber wie sooft gehen Wahrscheinlichkeitsrechnungen an der Realität vorbei. Zudem lehrt die Erfahrung, dass die Halbwertszeit von pessimistischen Modellen in der Astronomie und Astrobiologie viel kürzer ist, als es den Schwarzmalern lieb sein dürfte.
Gute Nachrichten sind schlechte Nachrichten, schlechte Nachrichten indes gute. In Anlehnung an dieses ungeschriebene journalistische Gesetz, das vor allem in der Regenbogenpresse tagtäglich immer wieder aufs Neue Bestätigung findet, könnte diese Maxime auch wie folgt formuliert werden: Pessimisten, die ihre warnenden Stimmen erheben, werden von der Öffentlichkeit grundsätzlich eher wahrgenommen als Optimisten, deren lancierte Zuversicht fast schon wieder Kritik heraufbeschwört und Skepsis provoziert.
Bewusst gegen den Mainstream schwimmen
Auch innerhalb der Science Community, der in puncto Theorienvielfalt sehr pluralistischen „Wissenschaftsgemeinde“, kommt diese Gesetzmäßigkeit bisweilen zum Tragen, wenngleich natürlich nicht in dem Maße, wie wir es von den Gazetten oder Boulevard-Sendungen – ob Radio oder TV bzw. Podcast – gewohnt sind. Ausdruck findet diese meist dann, wenn ein Forscher bewusst gegen den Mainstream schwimmt und eine Idee verkaufen will, die auf dem inflationären Markt der Theorien in der Regel nur wenige Interessenten findet.
Einer jener Protagonisten, der sich in Schwarzmalerei übt, ist Andrew Watson von der University of East Anglia in Norwich (England). Von Hause aus eigentlich Physiker und Umweltforscher (School of Environmental Sciences), beschäftigte sich Watson unlängst mit der astrobiologisch-philosophischen Frage, wie viele vernunftbegabte außerirdische Zivilisationen im Universum existieren.
Während heute die eindeutige Mehrheit der Astronomen und Astrobiologen davon ausgeht, dass die menschliche Spezies nicht die einzige Lebensform mit Bewusstsein und Selbstbewusstsein im All sein kann, manövriert sich Watson bewusst ins Abseits und kontert vielmehr mit einer gegenteiligen These. In einem Artikel der Fachzeitschrift Astrobiology stellt Watson ein mathematisches Modell vor, mit dem er die Wahrscheinlichkeit von intelligentem Leben im All zu bestimmen glaubt. Sein Fazit: Die Entwicklung von komplexen, intelligenten Lebensformen ist ein extrem seltenes Ereignis – und die Erde in kosmischer Perspektive eine absolute Ausnahme. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich auf einer erdähnlichen Welt binnen vier Milliarden Jahre intelligentes Leben entwickelt hat, beläuft sich auf maximal 0,01 Prozent.
Fortgeschrittenes Alter der Erde
Ausgehend von der Prämisse, dass während der vier Milliarden Jahre langen Evolution, die sich von der ersten Mikrobe bis hin zur Ausbildung von Bewusstsein erstreckte, jeder Evolutionsschritt sehr klein und komplex gewesen war, erstellte Watson ein neues mathematisches Modell, das die Wahrscheinlichkeit des Entstehens von intelligentem Leben berechnet. Diesem zufolge hängt die Evolution auf jeder Welt entscheidend von der Lebensdauer ihres Heimatgestirns ab. Schließlich sagen Sonnenforscher in ihren solaren Modellen voraus, dass unser Zentralgestirn in einigen Hundert Millionen Jahren noch weiter an Leuchtkraft gewinnt, was einen radikalen Temperaturanstieg auf der Erde nach sich ziehen wird. Die Folge: Bereits in einer Milliarde Jahre wird die Erde unbewohnbar sein. Gemessen an den vier Milliarden Jahren, in denen das Leben den Sprung von der ersten Mikrobe zum Homo sapiens sapiens bewältigte, befinde sich unser Planet, so Watson, schon in einem fortgeschrittenen Alter.
Im Moment ist die Erde das einzige Beispiel für einen Planeten mit Leben, das wir kennen. Wenn wir uns nun eine feste Zeitspanne anschauen, in der lebensfreundliche Bedingungen herrschen und feststellen würden, dass sich intelligentes Leben am Anfang dieses Zeitabschnitts entwickelt hat, würden wir annehmen, dass die Entstehung von intelligentem Leben recht wahrscheinlich ist. Nun aber sieht es danach aus, als wenn der Mensch sich sehr spät in diesem lebensfreundlichen Zeitfenster entwickelt hat – und das macht unsere Evolution zu einem sehr unwahrscheinlichen Ereignis.
Andrew Watson
ET höchst rar gesät
Angesichts der Komplexität aller Entwicklungen und Ereignisse, die notwendig waren, damit sich auf unserer Welt intelligentes Leben und Bewusstsein ausbilden konnte und mit Blick auf das schmale Zeitfenster, das für die Heranbildung intelligenter Lebensformen vorhanden war, sind Watsons Dafürhalten nach außerirdische intelligente Lebensformen im All höchst rar gesät, möglicherweise überhaupt nicht vorhanden. “Die irdische Biosphäre hat den größten Teil ihrer Entwicklung bereits hinter sich”, so Watson. “Und das hat Konsequenzen für unsere Beurteilung der Wahrscheinlichkeit dafür, dass komplexe Lebensformen und Intelligenz auf irgendeinem anderen Planeten entstehen.”
Dass wir uns hier und heute Gedanken über unser Dasein machen können, ist auf die perfekte Abfolge von vier entscheidenden Stationen zurückzuführen. Damit Leben auf der Erde entstehen konnte, musste circa eine halbe Milliarde Jahre nach Entstehung der Erde zunächst einmal biologisches Leben in Gestalt von primitiven Einzellern Fuß fassen, um dann eineinhalb Milliarden Jahre später in Form komplexeren Vielzellern eine ökologische Nische zu besetzen, bis sich aus den komplexen dann spezialisierte Zellen herausschälten, die noch komplexere Organismen und eine Milliarde Jahre später sogar intelligentes Leben heranbildeten, deren Vertreter über sehr viele Generationen hinweg die Kommunikation optimierten und eine vokabelreiche Sprache etablierten, was wiederum auf die Kultur, Wirtschaft und das Handwerk nachhaltigen Einfluss hatte. Genau diese evolutionären Schritte hat Watson in seinem Modell unter die Lupe genommen.
Jeden dieser kritischen Phasen analysierend, berechnete er eine Obergrenze für die Wahrscheinlichkeit, dass sich auf anderen „bewohnbaren“ Planeten einer solcher Schritt ereignet hat, auf zehn Prozent. Da allerdings jeder dieser Schritte nur dann auf die Entstehung von Leben Einfluss nehmen konnte, wenn der jeweils vorangegangene diesen Prozess unterstützte, sinkt der Wahrscheinlichkeitswert über einen Zeitraum von mehr als vier Milliarden Jahren insgesamt auf weniger als 0,01 Prozent. „Schon komplexe Organismen sind von den primitiven Lebensformen durch einige sehr unwahrscheinliche Schritte getrennt und daher weitaus seltener zu finden. Intelligenz ist noch einen Schritt weiter und daher noch seltener”, erklärt Watson. Insgesamt ergebe sich somit eine Chance von 1 zu 10.000 für die Entwicklung intelligenten Lebens.
Veto von SETI
Watson Theorie in allen Ehren – die Extrapolationen und Interpretationen des beflissenen Umweltforschers erinnern ein wenig an Peter Ward und Donald Brownlee, die in ihrem im Jahr 2000 erschienenen Buch Rare Earth ebenfalls intelligenten Lebensformen deren „Daseinswahrscheinlichkeit“ absprachen und seinerzeit eine heftige Debatte auslösten, die heute gleichwohl in dieser Intensität nicht mehr geführt wird. Wohl deshalb erntet Watsons Theorie bei Seth Shostak, der als führender Radioastronom des SETI-Instituts in Mountain View (Kalifornien) berufsbedingt mit solchen pessimistischen Ideen auf Kriegsfuß steht, regen Widerspruch:
Wir kennen natürlich nur eine Form von intelligentem Leben. Dass bedeutet, dass wir nicht von diesem Wert ausgehend die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von Leben auf anderen Planeten abschätzen können – es sei denn, wir wären uns sicher, jeden evolutionären jeden Schritt vollständig zu verstehen. Watson behauptet, dass intelligentes Leben äußerst selten ist. Es gibt keinen Weg, dies zu beweisen. Wäre der umgekehrte Fall wahr und die Galaxis die Heimat vieler intelligenter Lebensformen, ließe sich dies allerdings nachweisen. Wir sollten dieses Experiment angehen.
Seth Shostak
Fantasie ist gefragt
Bei alledem drängt sich auch berechtigte Frage auf, ob Watsons anthropozentrischer Ansatz, der intelligentes Leben praktisch mit biologischem Leben gleichsetzt, überhaupt noch zeitgemäß ist. Sollte in der Astrobiologie nicht endlich die Zeit dafür reif sein, den bis auf den heutigen Tag an den Tag gelegten und gepflegten Kohlenstoffchauvinismus zu überwinden und stattdessen den exobiologischen Horizont zu erweitern und den Blick für Lebensformen jenseits von DNA zu schärfen? Und wo steht zu guter Letzt geschrieben, dass biologisches Leben dieselben evolutionären Stationen durchlaufen muss wie auf unserem Planeten? Nicht Zahlen, sondern Fantasie und Kreativität sind gefragt, also jene Tugenden, die sich in keine mathematischen Formeln quetschen lassen, die kein Faktor einer Gleichung jemals angemessen definieren könnte.
Ohnehin lehrt die wissenschaftshistorische Erfahrung, dass schwarzmalerische Wissenschaftler in der Vergangenheit zu Genüge die fantasiereiche Kreativität dieses Universums unterschätzt und fehlinterpretiert haben. Schließlich wartet unser Kosmos tagtäglich mit immer neueren Überraschungen und kleineren, bisweilen sogar größeren Sensationen auf, die ihm keiner zuvor zugetraut hätte: Dunkle Energie, Gammastrahlenblitze, supermassive Schwarze Löcher, Zeitschleifen, Extradimensionen, Super-Strings, Zeitreisen, Wurmlöcher, Multiversen – all diese, scheinbar allesamt aus dem Science-Fiction-Kosmos entsprungene Fantasiewörter, die vor wenigen Dekaden kaum ein Astronom – ohne zu Erröten – in den Mund genommen hätte, sind heute fast schon Mainstream, ja sogar salon- und zitierfähig geworden.
Lieber auf die Suche gehen!
Was einst undenkbar war, ist derweil Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen und könnte morgen schon Realität sein. Warum sollte dieses ungeschriebene Gesetz für die Astrobiologie nicht gelten? Waren es nicht gestandene Astronomen, die noch vor zwei Dekaden die Existenz von Planeten außerhalb des Sonnensystems glattweg negierten? Da draußen, so lautete deren unerschütterliches Dogma, erfüllen bestenfalls Asteroiden, Sterne und Galaxien den Raum mit "materiellem" Leben. Von lunaren, geschweige denn planetaren Sterntrabanten seien mitnichten irgendwelche Spuren erkennbar. Mussten diese inzwischen nicht allesamt zurückrudern und kleinlaut zugeben, dass in unserer Milchstraße – und damit auch in all den anderen 100 bis 500 Milliarden Galaxien "unseres" Universums – Planeten allerorts den funkelnden Sternen längst den Rang abgelaufen haben?
Ja, wir wissen heute, dass erdähnliche Exoplaneten im Universum die Regel sind. Und wir müssen davon ausgehen, dass auf viele ferne Welten Kulturen – ob sie nun biologisch oder nichtbiologischer Natur sein mögen – existieren oder bereits existiert haben (oder noch existieren werden). Sofern diese mit Bewusstsein und Intelligenz gesegnet sind und eine Sensibilität für das Universum mitsamt seinen Sternen und Galaxien sowie Bewohnern aufbringen, werden sie pessimistisch gestrickten mathematischen Astrobiologie-Modellen à la Watson keinen Raum und keine Zeit schenken. Nein, sie werden stattdessen vielmehr nach ihren Brüdern in Raum und Zeit suchen, so wie dies die irdischen SETI-Forscher in weiser Voraussicht seit knapp 50 Jahren in die Tat umsetzen.
Es bleibt zu hoffen, dass einige der im Universum zahlreich vorhandenen extraterrestrischen Zivilisationen auch aktiv Licht- und Funksignale emittieren (METI) und ein nicht allzu kryptisches Kosmogramm entsenden. Denn wenn alle nur horchen und keiner sendet, gibt im kosmischen Äther das große Schweigen den Ton an.
Watsons Aufsatz ist zu finden in: Astrobiology, Vol. 8(1), pp 175-85, DOI 10.1089/ast.2006.0115