Schlupflöcher für Folter
Nach einem geheimen Dokument haben britische Dienste durch Folter erzwungene Informationen verwenden oder mit Diensten aus Folterregimen zusammenarbeiten können
Am 11. Februar 2010 sah sich Jonathan Evans, der damalige Chef des britischen Geheimdienstes MI5, zu dem Aufsehen erregenden Schritt gezwungen, seinen Dienst in einem Kommentar für den Daily Telegraph zu verteidigen. Damals war gerade viel in den Medien über die Mitwisser- beziehungsweise Täterschaft der britischen Geheimdienste bei der Anwendung von Foltermethoden bei des Terrorismus verdächtigten britischen Staatsbürgern zu lesen und zu hören. "Wir haben weder damals noch heute Folter oder Misshandlungen ausgeübt", so der Geheimdienstchef, "und wir beteiligen uns weder an Folter noch ermuntern wir andere, für uns zu foltern."
Am 4. August, dem vergangenen Donnerstag, veröffentlichte der Guardian ein Dokument, welches die Richtlinien "für britische Dienste im Umgang mit ausländischen Sicherheits- und Geheimdiensten im Zusammenhang mit Internierten, die das Subjekt von Misshandlungen werden könnten", beschreibt. Dieses eigentlich geheime Dokument birgt einiges an Sprengkraft, zeigt es doch erstmals, dass es offizielle Richtlinien gab, die es britischen Agenten ermöglichten, durch Folter erzwungene Informationen zu verwenden, beziehungsweise mit Diensten aus Folterregimen zusammenzuarbeiten. Bislang haben Politiker und Offizielle die Existenz solcher Richtlinien bestritten.
Laut Guardian existierte das Dokument in der einen oder anderen Form seit 2002 bis 2010. Seitdem arbeitet die konservativ/liberaldemokratische Koalitionsregierung an einer Neufassung. Der erste Absatz ähnelt sehr dem Statement des ehemaligen Geheimdienstchefs Jonathan Evans: "Die Sicherheits- und Geheimdienste ("die Dienste") beteiligen sich nicht, geben nicht in Auftrag, ermuntern oder billigen nicht die Verwendung von Folter oder demütigender Behandlungsweisen", die in diesem Papier generell als "Misshandlungen" beschrieben werden. Laut Guardian wurde letztere Formulierung von der Labour-Regierung eingeführt, man mochte den Begriff "Folter" nicht verwenden.
Bevor das Dokument Schlupflöcher zur Verwendung von Foltermethoden vermittelt, gibt es für die Agenten der Dienste im 9.Absatz eine Warnung auf den Weg. Würde herauskommen, dass bestimmte Informationen durch Misshandlungen von Internierten gewonnen wurden, könne dies die innere Sicherheit des gefährden. Solche Enthüllungen könnten zu weiterer Radikalisierung führen, heißt es in dem Papier.
Das Papier weist in den folgenden Seiten auf die verschiedenen Menschenrechtsgesetze und Konventionen hin, die Großbritannien unterschrieben hat. Deshalb, so steht im finalen Absatz 45, könnten durch Folter erlangte Informationen nicht in Gerichtsverfahren verwendet werden. Eine operative Verwendung sei aber möglich.
In den Absätzen 2 und 38 wird Agenten empfohlen, sich bei Unsicherheiten an Vorgesetzte zu wenden. Notfalls müssten zuständige Minister zu Rate gezogen werden. Würden diese ein Verhör oder die Verwendung von Informationen sanktionieren, dürfte ein Agent dies tun, selbst wenn ein Agent sich absolut sicher sei, dass zur Informationsgewinnung Foltermethoden angewendet würden.
Der Absatz 44 schließlich ruft dazu auf, nicht allzu viele dumme Fragen zu stellen. Zwar sei es notwendig, den Kontext der Informationsgewinnung zu kennen, um die Glaubwürdigkeit einer Information ermitteln zu können. Dies habe jedoch Grenzen, nicht immer könne man die genaue Herkunft einer Information ermitteln, um die notwendige Kooperation mit anderen Diensten nicht zu gefährden.
Geheimdienstchef Evans sang in seinem Artikel für den Daily Telegraph dasselbe Lied. "Die Vereinigten Staaten müssen ihre Informationen nicht mit uns teilen, andere Länder auch nicht." Deshalb hoffe er, dass Enthüllungen über Geheimdienstmethoden nicht dazu führen würden, dass andere Dienste nicht mehr mit Großbritannien zusammenarbeiten.
Mit ministerieller Anweisung
Über das Verhältnis britischer Geheimdienste zur Folter soll es in naher Zukunft einen öffentlichen Untersuchungsausschuss geben. Doch dieser wird von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen, sowie den Anwälten von britischen Folteropfern nicht unterstützt. Die Kritik richtet sich gegen die Verfahrensweise des Ausschusses, die teilweise geheime Anhörungen vorsieht. Außerdem lege das letzte Wort darüber, ob Informationen offengelegt werden oder nicht, beim obersten staatlichen Beamten, dem Cabinet Minister, nicht bei dem Richter, der dem Ausschuss vorstehen soll. Dies erklärte die Menschenrechtsorganisation Liberty in einem Statement. Auch die Person des Vorsitzenden Richters ist eine Streitfrage. David Cameron hat dazu Sir Peter Gibson aus dem Ruhestand geholt. Von 2006 bis 2010 war er der "Intelligence Services Commissioner", ein hoher Aufsichtsposten im britischen Geheimdienstapparat.
Das Verhältnis britischer Politiker zur Folter war in den vergangenen Jahren bestenfalls ambivalent. In einem Bericht des gemeinsamen Menschenrechtskomitees des Unter- und Oberhauses aus dem Jahr 2009 sind neben 21 Fallstudien, in denen britische Einwohner Foltererfahrungen unter Mitwirkung britischer Dienste beschreiben, auch das Protokoll einer Einlassung des ehemaligen britischen Botschafters in Usbekistan, Craig Murray, zu lesen. In Absatz 14 behauptet Murray, nach den 9/11-Anschlägen habe sich die Einstellung zu durch Foltermethoden erlangten Methoden geändert. Thatcher sei noch gegen Folter gewesen, der Außenminister der Labour-Regierung Jack Straw habe aber definitiv davon gewusst, dass Geheimdienstinformationen mit Foltermethoden beschafft wurden. In seinem eigenen Blog geht Murray noch weiter. Er behauptet, dass Geheimdienste niemals unabhängig, sondern immer mit ministerieller Anweisung operierten. Jack Straw habe nicht nur von den Foltermethoden gewusst, er habe explizit angeordnet, dass britische Dienste auch mit Foltermethoden gewonnene Informationen verwenden dürften.
Das schrieb Murray im Mai 2009. Im selben Beitrag warf er dem Guardian vor, in seiner Berichterstattung führende Labour-Politiker, unter anderem den ehemaligen Außenminister Jack Straw, zu decken. Ironischerweise scheinen nun die vom Guardian enthüllten geheimdienstlichen Richtlinien seiner Version recht zu geben. Wollten britische Geheimdienste mit Folterstaaten zusammenarbeiten, mussten sie erst beim zuständigen Minister nachfragen. Der Verdacht erhärtet sich, dass diese solchen Anfragen gerne nachkamen. Noch hat dieser Skandal nicht die Größe der Murdoch-Affäre erreicht, das Potential dazu besteht aber.