Schmutziges Uran
Die Energie- und Klimawochenschau: Anti-AKW-Bewegung kündigt heißen Herbst an, die Opposition den Gang nach Karlsruhe und Merkel will einfach durchregieren. Journalisten machen derweil auf die Kehrseite des "sauberen Atomstroms" aufmerksam
Ob die Bundesregierung tatsächlich gedacht hatte, sie könne die Laufzeitverlängerung mehr oder weniger reibungslos über die Bühne bekommen? Wenn ja, dann hat sie sich gründlich verrechnet. Am vergangenen Samstag erlebte Berlin, wie in Telepolis berichtet, eine der größten Anti-AKW-Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Veranstalter hatten 100.000 Teilnehmer gezählt, die taz 50.000 plus vieler Tausend in den Nebenstraßen, 70.000 bis 80.000 dürften es wohl insgesamt auf jeden Fall gewesen sein. Ein paar hatten es auch gar nicht bis nach Berlin geschafft: In Frankfurt/Main fuhr der Sonderzug um eine ganze Stunde zu früh ab, lange bevor alle gebuchten Mitfahrer am Bahnsteig waren, wie die Veranstalter berichteten. Der Hamburger Sonderzug konnte erst ab Lüneburg fahren. Die Bahn hatte sich mal wieder, wie bei einigen ähnlichen Gelegenheiten in der Vergangenheit, nicht besonders kooperativ gezeigt.
Wenn es nach den Anti-Atom-Aktivisten geht, wird das erst der Anfang gewesen sein. "Die gestrige Demonstration war der Start in einen heißen Herbst", meinte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger am Sonntag:
Am 6. Oktober geht es in Süddeutschland mit der Umzingelung des Stuttgarter Landtags weiter, am 9. Oktober wird es in München eine Aktions- und Menschenkette gegen die Atomkraft geben und am 6. November findet im Wendland eine große Protestkundgebung gegen die geplanten Castortransporte nach Gorleben statt.
Hubert Weiger
Bayern und Baden-Württemberg beherbergen die Mehrzahl der noch aktiven AKW und die dortigen Landesregierungen gehören zu den eifrigen Befürwortern längerer Laufzeiten.
Jochen Stay von der Kampagne .ausgestrahlt findet, dass die Bundeskanzlerin "einen riesigen Fehler gemacht (hat), als sie sich bei Nacht und Nebel von den Strombossen die Atompolitik diktieren ließ. Damit kommt sie selbst bei ihren eigenen Wählerinnen und Wählern nicht durch." Und weiter: "Wir wollen diese Pläne stoppen." Schon nächste Woche, am 28. September, soll wieder vorm Bundeskanzleramt demonstriert werden, wenn dort das Bundeskabinett über das Energiekonzept berät und voraussichtlich den Gesetzentwurf beschließen wird. Einen Tag später wird in Salzgitter gegen das dort geplante Atommüll-Endlager "Schacht Konrad" protestiert, und am 2. Oktober soll voraussichtlich im niedersächsischen Wendland, im Landkreis Lüchow-Dannenberg, ein "Unruhetag" stattfinden.
Dann folgen die bereits oben erwähnten Demonstrationen in München und Stuttgart, und am 23. Oktober ein "Streckenaktionstag", an dem in verschiedenen Städten entlang der möglichen Strecken des für Anfang November erwarteten Atommülltransports aus dem französischen La Hague nach Gorleben ins Wendland protestiert werden wird. Dort, im Wendland, wird es dann vom vierten bis zum neunten November Aktionen, Demonstrationen und Blockaden geben.
Die Bundesregierung will unterdessen das neue Atomgesetz in aller Eile durch den Bundestag bringen, und den Bundesrat, wie mehrfach berichtet, dabei übergehen. Schon am ersten Oktober soll es die erste Debatte über Energiekonzept und Gesetzesnovelle geben, und in der Woche vom 25. bis 29. Oktober sollen nach Auskunft der Linksfraktion Sachverständigung und letzte Lesung in rascher Folge durchgezogen werden. Schon am ersten Januar soll das neue Gesetz mit den erhöhten Reststrommengen dann in Kraft treten.
Ob es allerdings so weit kommt, ist durchaus offen. Eventuell wird es zu einer gemeinsamen Normenkontrollklage von Grünen, SPD und Linkspartei kommen. Bei der SPD überlegt man, vor dem Bundesverfassungsgericht das Gesetz per Eilantrag aufzuhalten. In einer Analyse von dpa wird spekuliert, dass bei einem Njet in Karlsruhe die Opposition nach Neuwahlen rufen könnte. Derzeit erhält die Regierung bei der sogenannten Sonntagsfrage nur noch 35 Prozent Zustimmung und die FDP muss um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen.
Wo das Uran herkommt
Ein wenig unterbelichtet in der Diskussion um die Atomkraft ist derzeit der Aspekt Sicherheit und Gesundheit. Eine Sendung des Berlin-Brandenburger Rundfunks rbb hat sich mit den Folgen des Uranabbaus beschäftigt.
Eigentlich sollte das Thema den Deutschen nicht unbekannt sein, denn nirgendwo sonst auf der Welt ist bisher so viel von dem Rohmaterial für den AKW-Brennstoff aus der Erde geholt worden. Doch die Wismut AG ist inzwischen Geschichte, im ehemaligen Abbaugebiet in Sachsen und Thüringen wird zwar noch immer saniert, aber das Thema der extremen Belastung von Umwelt und Gesundheit der Mitarbeiter und Anwohner durch die Uranminen ist nie richtig in der westdeutschen und damit in der heute dominierenden Öffentlichkeit angelangt.
In anderen Ländern werden aber heute noch neue Lagerstätten, meist im Tagebau, erschlossen. Zum Beispiel im westafrikanischen Land Niger, worüber der RBB berichtete. In der Reportage kommt der nigrische Dokumentarfilmer Idrissou Mora Kpai zu Wort, der die schlimmen Bedingungen dokumentiert hat, unter denen das Uran abgebaut und konzentriert wird.
Wenn man in so einer Stadt ankommt (gemeint ist eine der Städte im Abbaugebiet), dann hat man wirklich das Gefühl, dass man auf einem anderen Planeten ist. Da war ich geschockt, die Arbeiter zu sehen. Arbeiter, die seit vielen Jahren, seit 15 oder 20 Jahren, arbeiten, die keinen Schutz haben, die keine Maske tragen, die keine Handschuhe tragen und arbeiten, wie ein normaler Straßenarbeiter.
Idrissou Mora Kpai
Auch die Anwohner sind den radioaktivem Staub der Abraumhalden schutzlos ausgeliefert. Aus einer nahe gelegenen Stadt berichten französische Wissenschaftler nach Angaben des RBB-Teams von erhöhter Radioaktivität. Nach Erzählungen der Minenarbeiter würde die Lebenserwartung dort nur 40 Jahre betragen.
Bereits 2007 hatte die Journalistin Inge Lindemann den nigrischen Umweltschützer Almoustapha Alhacen über die Bedingungen in den Uran-Regionen interviewt. Alhacen ist Mitglied des Wüstenvolks der Tuaregs:
Unser Trinkwasser ist verseucht, strahlender Staub weht über die Wüste und die Menschen werden krank. Der Uranabbau brachte zwar Arbeit, aber keine Infrastruktur und medizinische Betreuung für die Bevölkerung ... Die Arbeiter gingen in ihrer staubigen Kleidung, die sie bei der Arbeit getragen hatten, nach Hause – die Kinder spielten auf ihrem Schoß – und die Frauen wuschen die Kleidung mit der Hand. Die Arbeiter wussten nicht, was Uran ist und hatten keine Ahnung von Radioaktivität. Sie haben ihre Mahlzeiten direkt im Steinbruch auf den radioaktiven Steinbrocken sitzend eingenommen.
Almoustapha Alhacen
Inzwischen gebe es Arbeitskleidung, Staubmasken und Dosimeter. "Doch die Masken schützen vor dem Staub, aber nicht vor der Radioaktivität", so Alhacen. "Heute gibt es sogar Strahlendosimeter, doch auch die Dosimeter schützen nicht vor der Strahlung."
Die RBB-Journalisten wollten herauszufinden, ob der vermeintlich saubere deutsche Atomstrom etwa aus diesem schmutzigen Uran gewonnen wird. Die AKW-Betreiber zeigten sich jedoch auf Nachfragen zugeknöpft. Nur EnBW - Hauptanteilseigner ist mit 45,01 Prozent der große französische Atomstromer EdF – wollte ausschließen, nigrisches Uran zu verwenden. Die anderen gaben nur vage Antworten wie etwa: "Wir kaufen unser Uran auf dem Weltmarkt" (Vattenfall). Auch das Bundeswirtschaftsministerium war zu keiner Auskunft in der Lage oder bereit.
Hinweise gibt es hingegen bei den Internationalen Ärztinnen und Ärzten zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW). Diese haben recherchiert, dass 2009 45 Prozent des in Deutschland verwendeten Urans aus Frankreich bezogen wurde, das wiederum wichtigster Abnehmer des nigrischen Urans ist. Der französische Atomkonzern Areva ist dort an Minen beteiligt (siehe auch den Greenpeace-Bericht: Left in the Dust), aber nach Recherche der RBB-Journalisten war auch ein deutsches Unternehmen, die Urangesellschaft aus Frankfurt, zeitweilig mit von der Partie.
Leukämie durch Tritium?
Aber auch der Normalbetrieb der AKW ist nicht so harmlos, wie die Propaganda der Atomlobby den Menschen gerne weis machen möchte. Aus Deutschland und aus anderen Ländern ist eine Häufung von Leukämiefällen bei Kindern in der Nachbarschaft der Atomanlagen bekannt. Die Ursachen sind seit langem umstritten.
Über neue Indizien, die auf das Wasserstoffisotop Tritium hinweisen, berichtete letzte Woche die Schweizer Wochenzeitung WoZ. Tritium hat einen instabilen Atomkern und setzt daher bei dessen Zerfall radioaktive Strahlung frei. Wegen deren geringer Reichweite wird der Stoff vor allem gefährlich, wenn er durch die Atemluft oder mit der Nahrung aufgenommen wurde, was relativ einfach ist. Tritium setzt sich nämlich gerne in Wassermolekülen an Stelle des herkömmlichen Wasserstoffs, von dem es sich chemisch kaum unterscheidet. Es kann daher auch problemlos vom Körper in Zellen eingebaut werden.
Einige Reaktortypen erzeugen Tritium und geben es zum Beispiel mit dem Kühlwasser ab. Besonders viel Tritium entweicht jedoch bei der Revision und dem Auswechseln der Brennstäbe, wenn der Reaktordruckbehälter geöffnet werden muss, meint der Nuklearexperte Ian Fairlie aus London, den die Schweizer Zeitung interviewt hat. In der Zeit der Revision könnten in der Nachbarschaft der Anlagen an einigen Stellen je nach Windrichtung millionenfach erhöhte Tritiumkonzentrationen auftreten. Nach Fairlies Ansicht sind die insbesondere für Frauen in einem frühen Schwangerschaftsstadium gefährlich. Wegen der zu dieser Zeit sehr hohen Zellteilungsrate der Embryonen sei die Gefahr besonders groß, dass Tritium in deren Gewebe eingebaut werde. Daraus könne dann später bei den Kindern Leukämie entstehen.
Anderswo geht es
Ein Grund mehr also, möglichst schnell auf Wind&Co. umzusteigen. In Großbritannien tut sich diesbezüglich inzwischen einiges, auch wenn auf den Dörfern der Widerstand meist groß ist. Auf der Insel, so schreibt der Nachrichtendienst REVE - man mag es kaum glauben -, ist E.on einer der größten Anbieter von "grünem" Strom. Eine Million Haushalte könnten dort mit dem Strom aus E.on-Windparks und einem Biomassekraftwerk versorgt werden. Gerade wurde ein neuer Offshore-Windpark mit 180 Megawatt (MW) eingeweiht. Ein noch größeres Rad dreht Vattenfall bei den Briten. In diesen Tagen wird der Konzern dort, der hierzulande für seine Landschaftsverwüstungen im Tagebau und für seine maroden Atomkraftwerke bekannt ist, einen Windpark mit 300 MW einweihen. Nach Unternehmensangaben wird das der bisher weltweit größte seiner Art sein.
Schon komisch, dass es jenseits des Kanals mit der Erschließung des Meeres derart vorangeht, aber in Deutschland trotz diverser genehmigter Projekte viel geredet, doch herzlich wenig gebaut wird. Ob das vielleicht daran liegt, dass die kapitalkräftigen Energiekonzerne, die sich viele der Claims gesichert haben, nicht wollen, dass zu viel Strom aus Erneuerbaren ihren Kohle- und Atomkraftwerken Konkurrenz macht?
Wie dem auch sei, die Windenergie findet in immer mehr Ländern ihre Freunde. In Ägypten macht sie zum Beispiel derzeit einen kräftigen Sprung nach vorne. Von dort berichtet der gleiche Nachrichtendienst vom geplanten Baustart für den ersten privaten Windpark des Landes. Am Golf von Suez, einer außerordentlich windreichen Region, sollen bis 2014 Anlagen mit einer Leistung von 2.500 MW entstehen. Durchschnittliche Windgeschwindigkeiten von neun bis zehn Metern pro Sekunde versprechen eine hervorragende Auslastung der Anlagen. Offensichtlich ein lohnendes Geschäft auch für Privatfirmen, die etwas mehr als die Hälfte der Windräder errichten wollen. Werden die Vorhaben tatsächlich umgesetzt, würde sich die bisherige Leistung der ägyptischen Windkraftanlagen versechsfachen. Ägypten plant bis 2020 einen Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion von 20 Prozent. Zwölf Prozentpunkte davon soll die Windenergie beitragen.
Was zum Schmunzeln
Und zum Schluss ein kleiner Lesetipp für all jene, denen es hier zu bierernst ist. Georg Hoffmann hat die deutsche Skeptikergemeinde ein wenig belauscht und bietet auf seinem Blog mit Climategate reloaded - Ein Käfig voller Narren ein Best-of des Kampfes zwischen der Judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa.