Schnee im Harem des Professors

Maler Jörg Immendorff outet sich als weiteres Mitglied der ehrenwerten bundesdeutschen Koks-Gesellschaft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die das Sommerloch aufwühlende Frage: Darf Jörg Immendorff Bundeskanzler Schröder zum Ende seiner Amtszeit noch für die Kanzler-Ahnengalerie porträtieren? Immendorff ist der Maler und Bildhauer nationaler Themen, seitdem er etwa "Naht (Brandenburger Tor-Weltfrage)" geschaffen hat.

Der Bundes-Schröder wäre also das Sahnehäubchen auf Immendorffs neunzehnteiligem Café Deutschland Zyklus. Doch nun könnte der salonfähige Hardcore-Maler als Hofporträtist ausfallen, seitdem er mit reichlich Koks und leichten Mädchen im noblen Steigenberger von den Schnüfflern der anderen Art erwischt wurde. Die übliche Geschichte: Die mit der Kohle können sich den Koks leisten, um sich die Welt so rund zu schnüffeln, wie sie nüchtern betrachtet leider nicht werden will. Seltsam mögen die recht bourgeoisen Lüste im Fall des seinerzeit kapitalismuskritischen, Kunst und Alltag verschweißenden "Lidl"-Malers und Beuys-Schülers indes schon anmuten.

Aber nach Immendorffs Einzug in die großen Museen und Galerien der Welt ist das wohl Schnee von gestern. Der Schnee von heute könnte ernsthaftere Konsequenzen zeitigen. Immerhin reicht der Wirkstoff im gefundenen Stoff, um eine Haftstrafe zu legitimieren.

Immendorff ohne Kippe ist ein Bild mit Seltenheitswert. Aber auch der härtere Stoff war wohl zeitweise unentbehrlich, um die Schöpfungskraft des Altmeisters aufs Höchste anzukitzeln. Neun Musen im Boudoir, zwei kamen zu spät, sind fast so unübersichtlich wie einige ImmendorffŽsche Gemälde, auf denen sich Figuren und Figurinen in schrägen Perspektiven tummeln. Doch wer wollte hier kleinlich nachzählen, wenn es um heftig berserkernde Kunst geht, die ihre Lustmotive da findet, wo andere nicht mal zu suchen wagen? "Maler und Modell" ist nicht erst seit Renoir oder Picasso ein bürgerliches Fantasiethema par exellence und ein Gesetz, dass erst gepinselt und dann "gepimpert" wird, gibt es noch nicht.

Sollte gar Immendorffs Koks-Performance den Schutz der Kunstfreiheit genießen? Immerhin dürfen auch den künstlerischen "Akt" vorbereitende Handlungen den Schutz des Grundgesetzes für sich beanspruchen. Für "Bild" dagegen war es die "schlimmste Sexorgie des Jahres", was ein ums andere Mal beweist, dass Pinup-Lüsternheit zum alltäglichen Sofortverzehr und moralische Scheinbetroffenheit sich kongenial ergänzen. Im TV der Nobelabsteige liefen Pornos! Und eine Schöne der Nacht bekannte sogar: "Ich musste seine Brustwarzen küssen." Oh je, wie verrucht das alles ist. Hätten wir doch so voreilig wie lasziv projiziert, dass sich der Professor durch harte SM-Partys kokst, um seinen grellen, scharfkonturierten Stil erst im Leben und dann in der Kunst zu finden.

Dabei ging es wohl weniger um eine Potenznummer als ein augenlustvolles Berührungsambiente, das Bösgläubige zu Rückschlüssen auf des Malers Virilität verleiten mag. Angeblich soll sich der Maler nun aber selbst schämen, als perverser Sexbesessener zu gelten.

Anders als für Michel Friedman (vgl. Paolo Pinkel - oder: Ab wann ist ein Name kein Deckname mehr?) dürften die Sexkursionen für Immendorff, der seit je mit dem Kiez, den harten, ausgeflippten Typen, den Träumen aus Lack und Leder kokettierte, aber kaum rufschädigend sein. Die Leinwände von Jörg Immendorff boomen nach dem Skandal angeblich wie nie zuvor. Im Gegensatz zu Friedman war Immendorff gegenüber den Ermittlungsbeamten auch höchst gesprächig. Er outete sich vermutlich zur Freude seines Verteidigers freiwillig als mehrjähriger Koks-Konsument. Mag er darob Professur nebst Beamtenstatus verlieren und angeblich seine Ehe kriseln. Künstlern sieht man es nach alter Väter Sitte nach, wenn sie eigenwillige Wege gehen, um in Stimmung zu kommen. Dass Künstler härteren Stoff brauchen, um ihr Genie anzukurbeln, ist so gut Teil der Drogen- wie Kunstgeschichte - eine innige Liaison, die sich in Fluten von Alkohol und Laudanum, Tabak und Absinth, LSD und eben Schnee feiert und erleidet. Der Prozess, der unausweichlich scheint, sollte zum Gegenstand haben, ob es legitim ist, die wilde, wilde Kunst als Fetisch für den Musentempel zu fordern, ohne den Herstellern den Stoff und die Musen zu gönnen. Nur so bliebe die Posse auch eine. Auf den Prozess im Übrigen sollte man verzichten können.

Gebeutelt ist der Künstler nämlich ohnehin, da er eigenen Mitteilungen nach an einer amyothrophen Lateralsklerose, einer tödlich verlaufenden Nervenlähmung, leidet. Sollte Immendorff aus politisch bigotten Gründen als Kanzlermaler ausscheiden, bliebe noch Georg Baselitz. Doch der hängt den Kanzler schließlich kopfunter, was vielleicht die bessere Allegorie der Schröder-Politik sein könnte, als etwa einen Latex-Kanzler im grellen Licht auf die Leinwand zu bannen. Ohnedies war der Kanzler doch vorgewarnt, als er noch vor drei Monaten im Russischen Museum in St. Petersburg mit dem Meister höchstselbst dessen Skulptur "Nase" einweihte. Da geht es schließlich um ein Körperteil, dem man etliche Konnotationen unterschieben mag, die im hier verhandelten Fall allesamt einschlägig wären.