Schnittstelle zum Unterbewußtsein
Mark Weisers Vision vom Calm Computing
Vor gut einem Jahrzehnt hatte Mark Weiser die Vision von allgegenwärtigen Computern. Mit Jini, Java und dem Internet scheint seine Idee vom Ubiquitous Computing nun Wirklichkeit zu werden, doch nach dem plötzlichen Tod des Vordenkers bleibt ein Großteil seiner Utopie Zukunftsmusik.
Vor wenigen Monaten konnten die Vernetzungsphantasien der Forscher dem Normalnutzer höchstens ein Lächeln entlocken. Heute gehören Mikrowellen mit eingebautem Browser und Netzanschluß fast schon zur Haushaltsausstattung. Kabellose Netzwerke verbinden Computer, Stereoanlage und Fernseher miteinander, mit Suns Jini-Technologie sollen alle über einen Mikrochip verfügenden Haushaltsgeräte ihre Fähigkeiten im Netz präsentieren und dem Nutzer "andienen".
Eines der bekanntesten Forschungszentren, die an der "Befreiung" des Computers aus einer oft allzu grauen Hülle arbeiten, ist das Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort wirbt Nicholas Negropontes Media Labwww.media.mit.edu/ bereits seit Jahren für den "Geek Chic" durch Schuhe, die jeden Schritt in Musik verwandeln, oder für Kamera-Headsets mit direkter Verbindung zum Internet. Das Laboratory of Computer Science des MIT plant derweil, Computer so allgegenwärtig wie Sauerstoff zu machen: Die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), die bereits den Grundstein zum Internet gelegt hat, fördert das "Projekt Oxygen" mit 40 Millionen Dollar.
"Vater" des Ubiquitous Computing ist allerdings Mark Weiser, der bereits 1988 das Ende der PCs voraussagte und in den letzten Jahren im Xerox Palo Alto Research Center (PARC) als "Cheftechnologe" daran arbeitete, Computer vollständig in die Lebenswelt der Menschen zu integrieren. Der 46jährige starb Ende April überraschend in seinem Haus in Palo Alto - im März hatten die Ärzte ihm Leberkrebs attestiert. Stefan Krempl sprach mit dem Visionär wenige Monate vor seinem Tod über seine Arbeit im PARC und über die Zukunft der Informationstechnologie.
Im PARC haben jede Menge Erfindungen rund um den Computer und das Netz das Licht der Welt entdeckt, graphische Benutzeroberflächen oder Ethernet zum Beispiel. Vermarktet wurden viele Entwicklungen dann aber von Außenstehenden. Gehört das zur Philosophie von PARC?
Mark Weiser: Keineswegs. Unsere Philosophie ist, daß wir Geld machen sollten. Aber zu unserer Philosophie gehört auch, daß wir die Dinge vorantreiben. Unser Job ist es, zu erfinden. Vor 20 Jahren haben wir das graphische Nutzerinterface geschaffen - und aufgegriffen wurde es von Steve Jobs. Wir haben daraus gelernt, daß wir uns von vornherein stärker daran beteiligen müssen, unsere Ideen nach draußen auf den Markt zu bringen. Wir haben inzwischen über ein Dutzend "Tochterfirmen" geschaffen, die ihre eigenen Produkte basierend auf unserer Forschung entwickeln und vermarkten. Der Xerox-Geschäftsführer wurde vor einigen Monaten damit zitiert, daß er PARC für das beste halte, was Xerox je hatte. Wir sind allerdings nur ein kleiner Teil von Xerox, und wir sind kleiner als die Bell Labs oder die Forschungsstätten von IBM. Aber das sollte uns helfen, kreativer zu sein.
Trotzdem glauben viele in der Computerbranche, daß PARC ein Marketingproblem hat, daß viele Ideen hier auf ewig schlummern oder von anderen abgegriffen werden.
Mark Weiser: Ich denke nicht, daß es bei uns an der Vermarktung hapert. Natürlich haben wir hier unsere Köpfe vor allem in der Technologie stecken und es laufen nicht überall Marketingtypen herum. Aber Xerox hat eine große Marketing- und Lizenzabteilung, die wir nutzen.
So ein bißchen hat das hier etwas von einer Insel. Man kann sich PARC wohl am besten als einen Whirlpool vorstellen. Da ist Bewegung drin und immer spielt sich etwas anderes ab. Aber auch drumherum gibt es kleine Wirbel. Wenn sich also jemand mit einer Idee selbständig macht und den Gang an die Börse plant, dann hoffen wir, daß es ein glanzvoller Börsenstart wird. Es sind tatsächlich viele unternehmerisch denkende Leute hier, aber auch viele unheimlich tiefe Denker. Manche sind schon über 30 Jahre dabei, die haben überhaupt kein Interesse, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Sie wollen lieber Probleme lösen. Das ist natürlich eine ziemlich kostspielige Angelegenheit, die sich ein Startup niemals leisten könnte. Aber Xerox kann diese Wissenschaftler bezahlen. Schließlich arbeiten sie auch an bestimmten Bildformaten, die man im Netzwerk verwenden kann. Und wenn wir die richtigen Formate entwickeln, hilft das natürlich Xerox wieder, weil sich die Art und Weise ändert, wie Kopierer, Drucker und Scanner Bilder verarbeiten. Andere Leute kommen nur für einen Sommer, um an einem bestimmten Projekt zu arbeiten. PARC ist mehr ein Prozeß als ein Ort.
Was macht ein "Cheftechnologe"?
Mark Weiser: Im Prinzip bin ich für das verantwortlich, was PARC einzigartig macht. Es gibt einzelne Labors hier, zum Beispiel das für Computerwissenschaft oder das für angewandte Wissenschaft. Die sind für sich genommen führend in ihrem jeweiligen Gebiet. Was PARC aber so besonders macht, ist die Interaktion zwischen den Bereichen, zwischen ihren Projekten. Wenn ein Physiker eine Idee hat, für die er im Computerlabor arbeiten will, dann zieht er einfach für die Projektzeit dorthin. In dieser Flexibilität steckt unser Wettbewerbsvorteil gegenüber Startups, die sich in ihren Entwicklungen zu sehr einschränken müssen, und gegenüber Universitäten, die ihre eigenen Abteilungen haben und niemals die Grenzen zwischen ihnen überschreiten. Meine Aufgabe ist es, diesen Austausch voranzutreiben und kreativer zu gestalten, beispielsweise unter Einsatz des Internet. Ich versuche die Leute während ihrer Forschung an das Gesamtprojekt zu erinnern. Meistens wandere ich deshalb zwischen den einzelnen Labors umher.
Sie haben den Begriff Ubiquitous Computing geprägt. Was meinen Sie damit?
Mark Weiser: Ich versuche das Problem zu lösen, daß Computer so schwer zu bedienen sind und die Nutzer zur Weißglut treiben.
Geht es um die Entwicklung einer neuen Benutzerschnittstelle oder gar um das Ende des Interface?
Mark Weiser: Ubiquitous Computing dreht sich um beides. Es geht um das unsichtbare Interface. Es ist eine Art von Benutzerschnittstelle - aber eine, zu der man eine andere Beziehung hat, weil man eigentlich nicht weiß, daß sie da ist. Ubiquitous Computing basiert auf der Idee, daß wir uns - um die Menschen in eine vertrautere Beziehung mit der Technologie zu bringen - an den Dingen orientieren müssen, mit denen die Leute schon vertraut sind. Mit Dingen aus ihrem Leben, ihrer Umgebung, ihrer Zimmereinrichtung, ihren Bücherregalen. Also Dingen, die Nutzer normalerweise nicht mit "Computer" verbinden. Das große Problem mit dem PC ist, daß alles über diesen Tunnel, diesen engen Kanal zwischen Bildschirm, Tastatur und Maus läuft. Das ist sehr unnatürlich, und es muß nicht so sein. Man kann Informationen aus seiner ganzen Umgebung beziehen, auch digitale Informationen. Buchdeckel, Bildschirme oder Uhren - alle Gegenstände können uns aktiv mit Informationen versorgen, zum Beispiel über intelligente Software-Agenten.
Das hört sich nach den Visionen an, die Nicholas Negropontes Media Lab mit seinen "Thinks that Think" propagiert.
Mark Weiser: Ich glaube wirklich, daß sehr bald unsere Uhren über das Internet miteinander reden werden, unsere Einrichtungsgegenstände, unsere Stühle. Things that Think leitet sich von der Ubiquitous-Computing-Idee ab. Fünf Jahre nachdem ich meine Gedanken formuliert hatte, arbeitete das Media Lab an dem Projekt. Die Idee ist sehr ähnlich. Und ich finde es eigentlich toll, daß jetzt jeder Haushaltsgeräte und Alltagsgegenstände ans Netz anschließen will. Es hat ja einige Zeit gedauert, bis die Sache wirklich reif war.
Wie hat das Internet ihre Vision beeinflußt?
Mark Weiser: Als ich ein junger Computerwissenschaftler war, wußte ich nicht, wie die Rechner einmal die ganze Welt erreichen sollten. Das Internet hat eines der Grundprobleme beim Ubiquitous Computing gelöst: daß alle integrierten Nutzerschnittstellen miteinander kommunizieren können, miteinander vernetzt sein müssen. Das Internet hat dafür mit TCP, IP, mit HTTP und HTML die Standards geschaffen, die meiner Meinung nach auch für das nächste Jahrhundert gut sind. Diese Protokolle und Codes haben sich überall breitgemacht. Alles darüberhinaus - Java, Jini, Active X oder sonstige Gimmicks - werden kommen und gehen. Das soll nicht heißen, daß man damit nicht viel machen kann. Aber sie sind nicht das Gerüst des Internet. Beim Internet geht es meiner Ansicht nach weniger um Technologie als vielmehr um den Siegeszug der vier Standards, die gemäß "Metcalfe's Law" die Kosten für die Vernetzung gesenkt sowie den Wert des Netzes in die Höhe getrieben haben.
Das Internet ist ja letztlich nichts anderes als eine Vereinbarung, wie Computer miteinander reden. Und diese Vereinbarung ist das eigentlich Wichtige. Wenn man in die Historie blickt, so waren immer die Vereinbarungen die grundlegendsten Entwicklungen. Die Vereinbarung etwa, daß Lateinisch früher in der alten Welt gesprochen wurde. Oder die Magna Charta als eine Verabredung, an die sich ein Volk gehalten hat.
Ubiquitous Computing geht aber über das Internet hinaus, indem es ein neues Benutzerinterface zur Verfügung stellt, über das man an Informationen genau dann herankommt, wenn man sie braucht, und in der Form, wie man sie braucht. Die Informationen kommen nicht mehr über den Bildschirm, der ein eher unkommunikativer Ort ist.
Was bedeutet die allgegenwärtige Informationsverarbeitung für den Menschen? Überfordert sie nicht auch?
Mark Weiser: Ich nenne die nächste Entwicklungsstufe Calm Computing. Dabei geht es um Technologie, mit der man sich beim Gebrauch vollkommen vertraut fühlt, die uns wirklich selbstverständlich vorkommt. In den nächsten Jahren werden viele Geräte auf den Markt kommen, die Ubiquitous Computing Realität werden lassen. Aber im großen und ganzen wird dem Problem kaum Aufmerksamkeit geschenkt, wie wir mit dem Exzeß an Informationen, der auf uns zukommt, umgehen. Dabei könnte uns die Entwicklung, die durch Ubiquitous Computing bei manchen von uns noch unterstützt wird, wahnsinnig machen. Wir würden dann ja eventuell Computer, die uns ständig Dinge einflüstern, immer an unseren Gürteln mit uns herumtragen.
Ich habe inzwischen eine viel entspanntere Vorstellung von meiner Utopie. Ich mag es oft ruhig, ich kann es nicht haben, wenn ständig jemand auf mich einredet, schon gar nicht mein Computer. Deswegen arbeite ich an der Realisierung des Calm Computing. Computer können in meiner Vision Teil eines beruhigenden Interface werden, Teil eines beruhigenden Lebensstils, einer Szenerie wie in einem schönen Park, einem trauten Heim. Das beinhaltet aber eine Art unbewußtes Interface, eine Schnittstelle zu unserem Unterbewußtsein, nicht zu unserem normalen Bewußtsein. Ich denke, daß uns die Entwicklung in diese Richtung führen wird.
Wie soll diese Schnittstelle zum Unterbewußtsein aussehen?
Mark Weiser: Es ist schwierig, sich das heute vorzustellen. Die besten Beispiele findet man sicher noch in der Kunst, im Design-Bereich: Etwa wenn ein Autodesigner ein Fahrzeug entwickelt, um eine bestimmte Botschaft zu vermitteln - ein teures Aussehen, einen billigen Look oder die Geschwindigkeit des Wagens. Alle diese Botschaften werden von uns weitgehend unbewußt aufgenommen. Keiner würde auf die Idee kommen, "schnell" auf die Türen des Autos zu schreiben, damit würde er alles zunichte machen.
Botschaften ans Unterbewußtsein - da denkt man sofort an Manipulation, an Fremdsteuerung, an die "geheimen Verführer". Was wird aus der Privatsphäre?
Mark Weiser: Ist es eine Manipulation, wenn man in ein Museum geht, um ein wundervolles Bild zu betrachten, und man sich dann wie in einer höheren Sphäre fühlt? Meiner Meinung nach war die Nutzung von Technologien immer mit Gefahren verbunden. Das Internet kann dazu benutzt werden, Leute über Ohr zu hauen; Strom wird dazu verwendet, Leute zu exekutieren. Auch Metall ist ein zweischneidiges Schwert: Man kann es dazu verwenden, einen Pflug herzustellen, oder damit Menschen töten. Natürlich liegt auch im Calm Computing eine Gefahr: Wenn etwas in unser Bewußtsein eindringt, ohne daß wir es merken. Das ist auch bei der unterschwelligen Werbung der Fall, wo eine geheime Botschaft durchdringen soll. Und das ist ziemlich übel, keine Frage.
Man muß sich die Verbindung zwischen Botschaft und Träger wirklich wie beim Autodesign vorstellen: die Botschaft will keinen Trennstrich einfügen, sondern sich in ihre Umgebung möglichst gut einfügen. Technologie soll genauso unaufdringlich sein. Ich will die Gefahren nicht herunterspielen. Unsere Aufgabe als Entwickler ist es, zuerst die Mißbrauchsmöglichkeiten einer Technologie ausfindig zu machen. Aber das kann kein Grund sein, nichts mehr zu erfinden. Es bedeutet, daß ein Erfinder Verantwortung übernehmen muß.