Schöne neue Welt des Open Access
Entgeltfreier Zugang zu wissenschaftlichen Informationen - Teil 1
Mit Aufkommen des Internet war es möglich, innerhalb von Sekunden weltweit Informationen zwischen Computern mit Internetanschluss auszutauschen. Wissenschaftler wurden sich bald schmerzhaft der Tatsache bewusst, dass für sie relevante Informationen größtenteils von diesem Austausch ausgeschlossen waren. Der technischen Möglichkeit, mit Fachkollegen nahezu ohne Verzögerung wissenschaftliche Ergebnisse auszutauschen, standen mächtige Schranken gegenüber: Die Lizenzbedingungen wissenschaftlicher Verlage, in deren Journals die Forschungsergebnisse veröffentlicht werden, verlangen, dass für das Lesen dieser Publikationen gezahlt wird - entweder vom Wissenschaftler selbst oder von der lokalen Hochschule, deren Hochschulbibliothek die Lizenzgebühren entrichtet. Da aber keine Hochschulbibliothek der Welt die Lizenzgebühren für alle wissenschaftlichen Journale entrichten kann, bleiben die Verheißungen des Internets unerfüllt und sein Potential für die wissenschaftliche Kommunikation liegt brach.
Das Spannungsfeld zwischen technischem Potential und wissenschaftlichem Alltag führte zu Unzufriedenheit bei Wissenschaftlern. Einige wollten die Barrieren nicht akzeptieren und forderten Open Access, kurz gesagt: entgeltfreien Zugang zu wissenschaftlichen Informationen über das Internet. Die unvermeidbare Nutzung des Internet wird von ihnen als die einzige Barriere zu wissenschaftlichen Informationen akzeptiert. Im wissenschaftlichen Publikationsprozess können Wissenschaftler zwei Rollen übernehmen: Sie können sowohl als Autoren wissenschaftlicher Publikationen als auch als Gutachter der Publikationen anderer Wissenschaftler fungieren. Es fällt Wissenschaftlern vor allem schwer, einen kostenpflichtigen Zugriff auf wissenschaftliche Dokumente zu akzeptieren, da sie meist weder in ihrer Funktion als Autoren, noch in der Funktion als Gutachter einen finanziellen Gegenwert erhalten.
Zahlreiche Konferenzen wurden organisiert, um die Open-Access-Bewegung voranzutreiben. Die öffentlichkeitswirksamste fand 2003 in Berlin statt und mündete in der Unterzeichnung der Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen. Die Unterzeichner bilden eine honorige Gruppe: Max-Planck-Gesellschaft, Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Hochschulrektorenkonferenz, Wissenschaftsrat, Fraunhofer-Gesellschaft und andere renommierte Institutionen bekundeten ihre Unterstützung für die Philosophie des Open Access. Die Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen definiert Open-Access-Publikationen mit den Worten:
Die Autoren und Rechteinhaber solcher Veröffentlichungen erteilen allen Benutzern das freie, unwiderrufliche und weltweite Zugangsrecht und die Erlaubnis, die Veröffentlichung für jeden verantwortlichen Zweck zu kopieren, zu benutzen, zu verteilen, zu übertragen und abzubilden unter der Bedingung der korrekten Nennung der Urheberschaft (...) sowie das Recht, eine beschränkte Anzahl gedruckter Kopien für den persönlichen Gebrauch zu machen.
Open-Access-Dokumente existieren elektronisch im Internet und sind sofort für jeden Internetnutzer, jede Suchmaschine, jeden Datenbankanbieter verfügbar. Ihre Verbreitung ist um ein Vielfaches größer als die lizenzgebunder Dokumente, denn diese sind per IP-Check und anderer Mechanismen gegen die Nutzung durch beliebige Leser gesperrt. Stevan Harnad, glühender Verfechter des Open Access, beschreibt die Vorzüge pointiert mit dem Slogan: „Maximizing research impact, by maximizing research access.“ Und wo könnte der research access größer sein als bei Open Access Dokumenten?
Da das Hindernis im Zugang zu wissenschaftlichen Informationen in den Lizenzkosten für wissenschaftliche Journale gesehen wird, die sich Hochschulen in Zeiten sinkender Etats (bei meist steigenden Lizenzkosten) nicht mehr leisten können, rückt bei der Rechtfertigung des Open Access auch der monetäre Faktor in den Vordergrund. Diese Argumentation findet heftige Zustimmung bei denjenigen, die trotz fehlender Mittel Wissenschaftlern Zugang zu Informationen erkaufen müssen: den Hochschulbibliotheken. Nicht zufällig finden sich einige der stärksten Open-Access-Advokaten unter Vertretern wissenschaftlicher Bibliotheken, die auch äußerst aktiv darin sind, Open-Access-Angebote zu entwickeln.
Soziale Begründungen: Digital Divide und Demokratie
Neben wissenschaftslogischen und monetären Argumenten finden sich am Rande der Diskussion auch Argumente, die sich von Open Access eine Verringerung des Digital Divide versprechen. Damit verbunden sind demokratietheoretische Implikationen. Das Konzept des Digital Divide besagt, dass der Zugang zu relevanten Informationen ungleich verteilt und stark von sozialen Faktoren abhängig ist. Diese Ungleichverteilung hat wiederum soziale Auswirkungen: Wer Zugang zu Informationen hat, hat bessere Lebenschancen. Wenn Informationen im Open Access (unter der in diesem Zusammenhang nicht unwichtigen Bedingung der Internetverbindung) entgeltfrei zugänglich sind, profitieren die von kostenpflichtigen Informationen Abgeschnittenen.
Ähnlich kann man die Forderung nach Open Access mit verschiedenen Demokratiekonzepten untermauern: Wenn Demokratie kein in Verwaltungsrichtlinien geronnenes Konzept sein soll, benötigt sie praktische Realisierung: In einer offenen Demokratie verläuft die politische Willensbildung von unten nach oben, dazu ist Öffentlichkeit notwendig, die pluralistische Meinungsbildung ermöglicht. Pluralistische Meinungsbildung fußt aber auf der möglichst uneingeschränkten Zugänglichkeit und Öffentlichkeit der Informationen. Derartige Demokratieprinzipien gehen davon aus, dass nur intensive Beteiligung und Informiertheit praktische Demokratie ermöglichen. Zentral ist ein offener Diskurs möglichst aller Bürger über möglichst alle politischen Themen, um rationale Entscheidungen und Regieren durch Mitwirken zu erreichen. Zudem brächte die entgeltfreie Zugänglichkeit wissenschaftlicher Information geradezu einen Transparenzschub in einem Staat, dessen Entscheidungen den Anspruch erheben, unter wissenschaftlicher Beratung getroffen zu werden.
Information als gesellschaftliche Ressource: Reduktion von Ungleichheiten
Ein weiterer Effekt des offenen Zugangs zu Informationen existiert in der Reduktion sozialer Ungleichheiten und Benachteiligungen. Wenn westliche Gesellschaften wirklich die behaupteten Informationsgesellschaften sind, dann ist Information die zentrale Ressource dieser Gesellschaften. Die Möglichkeit der Teilhabe an Konsumption und Produktion von Informationen müsste dann die Gesellschaft strukturieren, d. h. Beziehungen zwischen nahezu allen Akteuren begründen, die sich etwa in Form von Austausch, Handel, Abhängigkeiten, Asymmetrien, Macht, Herrschaft, Ungleichheiten niederschlagen. Der Begriff der Informationsgesellschaft ist zwar feuilletonistisch, denn die Regulation der Verteilung von Information sicherte schon immer Macht, aber dennoch kann Open Access ad hoc durchaus beanspruchen, zu einer Verringerung von Ungleichheiten beizutragen: Schließlich kann jeder die Informationen nutzen. Ist Information die zentrale Ressource in unserer Gesellschaft, dann gewährt Information - genauso wie etwa Bildung oder medizinische Versorgung - den Zugang zu Lebenschancen.
Die Argumente für Open Access stammen aus unterschiedlichen Kontexten. Aus wissenschaftslogischer Perspektive verspricht man sich vom freien Zugang zu Informationsressourcen eine Erleichterung wissenschaftlicher Forschung. Aus finanzieller Perspektive erhofft man sich trotz sinkender Bibliotheksetats eine effizientere Informationsversorgung. In sozial-politischer Hinsicht werden mit Open Access Effekte wie die Nivellierung von Ungleichheiten beim Zugang zu wissenschaftlicher Information, Demokratisierung sowie die Verringerung des Digital Divide assoziiert. Es wäre demnach nahe liegend, wenn Open Access breite Akzeptanz fände. Dem ist aber nicht so: Open Access ist Wissenschaftlern überraschend wenig bekannt und stößt auf wenig Resonanz. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Abhängigkeiten, Karrierewünsche, Machtmechanismen. Zum Teil wird Open Access die Erwartungen nicht erfüllen können: Es ist fraglich, ob Open Access - wie teils behauptet - eine wissenschaftliche Revolution auslöst. Besonders in der Digital-Divide-Thematik kann sich Open Access als ambivalent erweisen, da er potenziell zur Fortschreibung althergebrachter Kartografierungen der Wissenschaftswelt beiträgt. Was der Diskussion um Open Access fehlt, ist die Berücksichtigung nicht nur technischer oder finanzieller Elemente, sondern sozialer Beziehungen und Faktoren. Was behindert den entgeltfreien Zugang zu Information? Welche Interessen stehen hinter der Forderung nach Open Access und welche Interessen stehen gegen diese Forderung?
Ansätze, Open Access in der Wissenschaftslandschaft zu etablieren, haben meist die Form technischer Optimierungsversuche. Es existieren Studien, die belegen, dass Open-Access-Veröffentlichungen häufiger zitiert werden als Nicht-Open-Access-Veröffentlichungen. Man bemüht sich, alternative Qualitätskriterien für elektronische Publikationen zu entwickeln, um Anreize zum Open-Access-Publizieren zu schaffen. Dennoch sind Wissenschaftler über Open Access erstaunlich schlecht informiert und nutzen Open-Access-Publikationsangebote ausgesprochen wenig, wie unter anderem eine Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) belegt. Dabei existieren zahlreiche dieser Angebote, die auf zwei unterschiedlichen Modellen zu Open-Access-Publizieren basieren.
Die Wege zum Open Access und der Journal Impact Factor
Zur Erreichung von Open Access werden zwei Strategien genutzt: Der goldene Weg (Self-Publishing) bezeichnet das Publizieren in einem wissenschaftlichen Journal, das per se als entgeltfrei nutzbares Onlinejournal existiert. Solche Journale finanzieren sich meist über Gebühren (sogenannte author fees oder institutional fees), die Autoren oder deren Einrichtungen für das Publizieren in diesen Journalen zahlen.
Der grüne Weg (Self-Archiving) wird genutzt, wenn Autoren wissenschaftliche Publikationen zusätzlich zur formalen Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Nicht-Open-Access-Journal auf dem Open-Access-Server ihrer lokalen Einrichtung (Institutional Repository) oder einer Einrichtung ihres Faches (Disciplinary Repository) zur entgeltfreien Nutzung zugänglich machen. Diese Server werden meist ohne anfallende Nutzungsgebühren von Infrastruktureinrichtungen (Hochschulbibliotheken, Hochschulrechenzentren) angeboten. Der entgeltfreien Zugänglichmachung von Publikationen, die in einem Nicht-Open-Access-Verlag erschienen sind, auf einem Open-Access-Server stehen selten Hinderungsgründe entgegen: circa 90% der Verlage erlauben diese zusätzliche Zugänglichmachung der Inhalte, darunter auch die big player im Verlagsgeschäft.
Reed Elsevier, Springer und andere haben erkannt, dass eine zusätzliche Bereitstellung der Dokumente Werbung für ihre Journals ist. Grund dafür ist der in der Welt des wissenschaftlichen Publizierens nahezu allgegenwärtige und allmächtige Journal Impact Factor (JIF). Der JIF wird durch das Institute for Scientific Information (ISI) erhoben und ist der wesentliche Faktor für die Bedeutung und Qualität eines Journals. Zentral für den JIF ist die Häufigkeit, mit der Artikel eines Journals zitiert werden. Da vieles daraufhin deutet, dass die zusätzliche Veröffentlichung auf einem Open-Access-Server die Zitationshäufigkeit der Artikel steigert, steigt auch der JIF des Journals. Die Kritik am JIF ist genauso umfangreich wie zutreffend: Willkürliche Auswahl der Journals, Ausschluss kompletter Dokumentgattungen, Berechnung für das gesamte Journal – nicht für den einzelnen Artikel etc. Dennoch erscheint der JIF als das unhinterfragte Qualitätsmerkmal wissenschaftlicher Publikationen.