Schon wieder ein Bilderstreit
Bezweifelt wird von Manchen, ob die Fotos, die die Misshandlung eines Irakers durch britische Soldaten zeigen, echt sind. Die Frage ist, ob das etwas ändern würde.
Immer wenn Fotos ins Spiel kommen und etwas belegen sollen, ist die Reaktion nicht weit, falls es sich um etwas Unerwünschtes handelt, dass sie nichts beweisen, weil sie sie leicht gefälscht werden können. Aber Fotos müssten eben gar nicht gefälscht sein, sie könnten auch nur eine gespielte Szene darstellen. Dann wären sie zwar authentisch, aber es käme ganz auf den Kontext an, um beurteilen zu können, was die Bilder zeigen. Bei den Fotos, die britische Soldaten zeigen, wie sie einen Gefangenen misshandeln, werden eben diese Bedenken geäußert.
They might be real, they might be a re-creation, They could be an attempt to defraud the Daily Mirror, they could be a prank. We don't know. We have absolutely no idea.
Sprecher des britischen Verteidigungministeriums
Niemand hat bislang die Authentizität der Fotos angezweifelt, die amerikanische Soldaten bei sadistischen Spielen mit ihren wehrlosen Opfern zeigen (Sadistische KZ-Spiele). Schon vor er Veröffentlichung der Bilder lief ein Verfahren gegen sie. Jetzt wurde sie für schuldig befunden und verwarnt, aber mehr als eine Entlassung brauchen sie nicht zu befürchten. Das Pentagon fürchtet, dass der Skandal weit hinauf reichen und vor allem Soldaten abschrecken könnte, ihren Vertrag zu verlängern. Auch die "Moral" der Truppe könnte noch stärker in Leidenschaft gezogen werden, wenn man zu streng gegen Verfehlungen vorginge, zumal die gezeigten Misshandlungen sowieso nur die Spitze des Eisbergs sein dürften, was die systematische Einschüchterung und Demütigung der rechtlosen Gefangenen durch die "Befreier" betrifft, die umihr Leben fürchtend in jedem Iraker vermutlich einen undankbaren und minderwertigen Feind wittern.
Anders aber ist es bei den Bilder, die der Mirror von britischen Soldaten erhalten haben will, die an der angeblich stundenlangen Folterung eines jungen, nur des Diebstahls verdächtigten Irakers im Herbst des letzten Jahres teilgenommen haben und ihr Fehlverhalten nun durch Weitergabe der Bilder kompensieren wollen. Sie sprechen auch davon, dass unter britischen Soldaten ein richtiger Handel mit vielen Bildern abgelaufen sei, auf denen die Misshandlung von Irakern zu sehen war. Das hieße, dass womöglich Misshandlungen auch für den Zweck vorgenommen wurden, Bilder als perverses Souvenir oder als Tauschobjekt zum Angeben mit den sicherlich allseits vorhandenen digitalen Kameras zu erzeugen.
Schaut man sich die Fotos der US-Soldaten an, so sind diese ganz augenscheinlich als Erinnerungsfotos gemacht worden. Der wahrscheinlich von oben verordnete Auftrag, den Willen der Häftlinge zu brechen, wurde dabei Mittel zum Zweck der Machtdemonstration, was um so leichter zu machen ist, als die Opfer nicht zurück schauen können. Allein die Kapuzen, die den Gefangenen routinemäßig von den US-Truppen über den Kopf gezogen werden, sind bereits Folter, die Individuen zu Körpern degradieren.
Aber zurück zu den britischen Fotos, deren Authentizität angezweifelt wird. Gesagt wird, dass das Gewehr, das einmal zu sehen ist, ein SA80 Mk 1 sei, das von britischen Truppen im Irak nicht verwendet werde. Überdies sei das Gewehr zu glänzend, so dass es nicht verwendet worden wäre, und sein Lauf sei nicht geschützt, was man normalerweise mache, um sand und Dreck abzuhalten. Soldaten würden ihre Hosen auch nicht in die Stiefel stecken, im Einsatz würden sie auch nicht Mützen tragen, sondern Helme.
Dann, so weitere, schon etwas seltsamere Einwände, zeigen die Bilder einen Bedford-Lastwagen, der auch nicht im Irak eingesetzt worden sei. Das Opfer sei erstaunlich sauber und zeige keinen Schweiß, auch Verletzungen sieht man an seinen Beinen nicht, obwohl er stundenlang geschlagen worden sei. Die Hände eines Soldaten, die man auf einem Foto sieht, würden für einen Infanteristen zu weich sein, seine Arme eher denen eines Armeeangestellten gleichen. Auf dem T-Shirt der ehemaligen irakischen Fußball-Nationalmannschaft des Irakers sei die irakische Flagge vor 1988 zu sehen, aber dafür sei es zu gut erhalten (als ob es keine neuen mit diesem Motiv geben könnte). Und auf einem Bild, auf dem der Fuß eines Soldaten gegen das Gesichts des Opfers gerichtet ist, der sich auf seinen Armen aufstützt, gebe es keine Bewegung. Die Uniform des Soldaten sei hier zu sauber, das Opfer, das allerdings wegen der Kapuze nichts sehen kann, würde keine Anstalten machen, dem möglichen Schlag mit dem Fuß auszuweichen. Und bei dem Foto, auf dem ein Soldat das Opfer anzupissen scheint, soll es sich eher um Wassertropfen aus einer Flasche als um einen Urinstrahl handeln.
Tatsächlich sehen die Fotos auf dem Hintergrund dieser Einwände eher gestellt aus. Da das Gesicht des Opfers nicht zu sehen ist, lässt sich auch nicht sagen, was er empfunden haben könnte. Möglicherweise wurden die Fotos am Anfang der Tortur gemacht. Möglicherweise waren sie auch für die Aufnahmen gestellt, so dass die Misshandlung trotzdem stattgefunden haben kann. Verschwörungstheorien können also auch hier wieder gedeihen. Wie auch immer, auszuschließen ist nicht, dass die Fotos mit Darstellern" gemacht wurden, um politisch Stimmung gegen die Besatzung zu machen, was auch geleistet worden wäre. Mirror betont allerdings, dass die Fotos "echt" seien und dass die Zeitung den britischen Soldaten glaube.
Noch schwieriger zu beurteilen für einen Außenstehenden, wie wir es alle sind, sind weitere Bilder, die im Netz zirkulieren. Sie zeigen amerikanische Soldaten, die angeblich irakische Frauen misshandeln und vergewaltigen. Manche sagen, das seien Szenen aus Porno-Filmen, andere nehmen die Fotos vermutlich für bare Münze. Entscheiden lässt sich dies aus der Ferne und nur durch Analyse der Bilder wohl nicht zweifelsfrei. Bilder sind eben keine Beweismittel, sie belegen nichts, außer für denjenigen, der bereits eine vorgefasste Meinung besitzt.
Das freilich ist nicht gerade eine neue Erkenntnis. Bilder werden erst "wahr", wenn der Kontext für sie bürgt und sie erklärt. Und das sind zunächst die Medien, die vorgelagerten Aufmerksamkeitssysteme der Gesellschaft, nachdem die politischen und militärischen Instanzen durch den Irak-Krieg jede Glaubwürdigkeit verloren haben. Aber auch den Medien, die von Aufmerksamkeit leben, also beispielsweise Bilder verkaufen, schenken die Menschen nicht mehr wirklich Vertrauen. Die traditionellen Autoritäten, die Wirklichkeit für ein Kollektiv versichern, sind nur noch ein Moment des Ganzen. Die Glaubwürdigkeit wird nun nicht mehr nur in Form von Gesprächen und Gerüchten, sondern auch in Form von Diskussionen im Internet ausgehandelt - und jeder kann gut demokratisch, deswegen aber keineswegs unbedingt objektiv und sachlich seine Schlussfolgerung ziehen.
Sind die Bilder nun gefälscht oder nicht? Der "Schaden" ist bereits angerichtet, große Auswirkungen dürfte also auch nicht ein eventuell erbrachter Nachweis haben, dass es sich tatsächlich um Fälschungen zur Meinungsmanipulation handelt. Aber eigentlich ist die Frage auch sinnlos, denn die Fotografien machen in erster Linie deutlich, dass bei dem humanistischen Befeiungskrieg etwas grundlegend falsch gelaufen ist. Und das erzählen die Bilder unabhängig davon, ob sie gefälscht oder wahr sind. Ähnlich unerheblich könnte sein, ob Bin Ladins Videos und Tonbandreden Zeugnis dafür sind, dass er noch lebt. Wir leben schließlich im Zeitalter der Simulation.