Schutz der Privatsphäre oder der Gesundheit?
- Schutz der Privatsphäre oder der Gesundheit?
- UN-Experte warnt vor bleibender Überwachung
- Auf einer Seite lesen
Europa will die Ausbreitung der Pandemie per App eindämmen, große Akzeptanz bei Deutschen. UN-Sonderberichterstatter warnt vor Normalisierung der Überwachung
In einem warnenden Essay über die globale Handhabung der Coronavirus-Pandemie und ihrer Auswirkung auf das künftige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, schreibt Historiker Yuval Harari: "Wenn die Menschen die Wahl zwischen Privatsphäre und Gesundheit haben, werden sie sich in der Regel für die Gesundheit entscheiden." Die erfolgreichen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 in Ländern wie Singapur, Taiwan oder Südkorea würden daher vorschnell auf den Gebrauch von Überwachungstechnologien zurückgeführt. Dass dagegen "umfangreiche Tests, eine ehrliche Berichterstattung und die bereitwillige Kooperation einer gut informierten Öffentlichkeit" sich als ebenso wirksam herausstellen, interessiere laut Harari kaum jemanden.
Hararis Analyse passt derzeit zu den Maßnahmen in Europa. Auch Europa versucht nun das Problem der Pandemie digital zu lösen, statt etwa durch flächendeckende, kostenaufwändige Tests. Die EU-Kommission schlug etwa vor durch die Auswertung anonymisierter Handy-Daten Bewegungsprofile zu erstellen, die bei der Bekämpfung des Coronavirus helfen sollen.
"Die Idee ist, Bewegungsmuster zu analysieren auf die Auswirkungen der Beschränkungsmaßnahmen, auf die Intensität der sozialen Kontakte - und damit auf das Ansteckungsrisiko", so die Kommission. Die Analyse soll dabei helfen, die gegenwärtigen Maßnahmen in der Pandemie zu prüfen und bestmögliche Strategien zu entwickeln, "um unsere Gesellschaften wieder zu öffnen." Es gehe nicht darum, einzelne Menschen zu tracken.
In vielen asiatischen Ländern sind schließlich Corona-Tracking-Apps schon flächendeckend im Einsatz. In Südkorea veröffentlichte die Regierung Informationen zu bestätigten Fällen, einschließlich Alter, Geschlecht und Tagesrouten, damit Webentwickler detaillierte Karten erstellen konnten, die die Bewegungen von Patienten verfolgen. In Taiwan werden per Handy-Ortung etwa 55.000 Menschen überwacht, die derzeit unter obligatorischer Hausquarantäne stehen.
Datenschutzfreundliche EU-Alternative
Doch Europa arbeitet gerade auch an einer datenschutzfreundlichen Lösung ohne lästige Standortverfolgung: Am Mittwoch präsentierte das "Pan European Privacy Protecting Proximity Tracing" (PEPP-PT), eine Initiative aus 130 europäischen Wissenschaftlerinnen und Unternehmern, eine Smartphone-Technologie, die es Menschen mit Smartphones ermöglichen soll, per App herauszufinden, ob man mit einem Corona-Infizierten Kontakt hatte. An dem Projekt beteiligen sich unter anderem das Fraunhofer Institut für Nachrichtentechnik (Heinrich-Hertz-Institut), das Robert-Koch-Institut beteiligt und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).
Die Funktionsweise soll datenschutzfreundlich gestaltet sein und Anonymität gewähren. Eine App, die auf dem PEPP-PT-Standard basiert, generiert alle paar Minuten eine neue temporäre ID und sendet diese an Bluetooth-fähige Smartphones in der Umgebung aus. Dadurch können Verbindungen zwischen Smartphones auf den jeweiligen Geräten protokolliert werden, ohne persönliche Informationen zur Person oder der Device-ID zu speichern. So kann aufgezeichnet werden, dass zum Beispiel zwei Geräte mehr als eine Stunde weniger als 1,5 Meter voneinander entfernt waren. Diese Information wird zwei Wochen lang in der App gespeichert.
Wird eine Person später positiv auf das Corona-Virus getestet, kann sie freiwillig ihre lokal gespeicherten Daten an einen Server hochladen. Dann kann der Server mittels der IDs die jeweiligen Smartphone-Nutzer, die innerhalb der letzten zwei Wochen einander nah waren, per App benachrichtigen. Etwa: "Bitte begeben sie sich in Quarantäne und melden sie sich bei ihrem Gesundheitsamt."
Der PEPP-PT-Standard sei ein anonymer und die Privatsphäre schützender digitaler Ansatz zur Kontaktverfolgung, der in voller Übereinstimmung mit der DSGVO sei. Die Entwicklung könnte bis zum 7. April abgeschlossen sein, schon nach Ostern könnten Apps in Deutschland die Technologie verwenden, sagt Hans-Christian Boos, Gründer des deutschen Technologie-Startups Arago und Mitglied des digitalen Beirats von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Im Gegensatz zur TraceTogether-App in Singapur werde die Angabe der Telefonnummer nicht verlangt, sagt Thomas Wiegand, Leiter des Fraunhofer HHI. Außerdem könne sie durch die Verwendung von Ländercodes grenzüberschreitend in ganz Europa funktionieren. Getestet wird die Technologie derzeit mit rund 100 Soldaten auf dem Gelände der Julius-Leber-Kaserne.
Oxford-Studie: Große Akzeptanz für Corona-Warn-App
Laut Netzpolitik heißt es: Damit die Warnung per App gelingt, müssten Studien zufolge mindestens rund 60 Prozent der Bevölkerung eine solche App nutzen. In Deutschland hieße das: 50 Millionen Menschen. Eine unwahrscheinlich große Zahl, doch laut einer Studie der Universität Oxford könnte eine derartige Warn-App in Deutschland ganz gute Chancen haben.
Eine repräsentative Umfrage für die Studie "Akzeptanz App-basierter Kontaktnachverfolgung von COVID-19", die Ende März mit 1033 Teilnehmern durchgeführt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass 70 Prozent der Befragten in Deutschland, unabhängig vom Alter oder Geschlecht, bereit wären, eine solche App "auf jeden Fall" oder "wahrscheinlich" zu installieren.
Als Hauptgründe für eine Installation der App wurden "der Wunsch, Familie und Freunde zu schützen" sowie aus "Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit" genannt. Gegen eine Installation der App sprachen bei einigen Teilnehmern: Die Befürchtung, dass die Regierung dies als Vorwand für mehr Überwachung nach Ende der Epidemie nutzen könnte, die Sorge, dass das Handy könnte leichter gehackt werden sowie "Möchte kein Bluetooth aktivieren".
Neun von zehn Personen wären sogar bereit der Aufforderung der App nachzukommen, sich selbst in die häusliche Quarantäne zu begeben. Diese Bereitschaft steigt noch weiter, wenn das Robert-Koch-Institut sich verpflichten würde, Betroffene möglichst schnell zu testen. Außerdem steige die Akzeptanz für eine App-basierte Kontaktnachverfolgung im Verlauf der Epidemie und wäre insbesondere als Exit-Strategie aus dem aktuellen Lockdown attraktiv für die Bevölkerung, heißt es in der Studie.
Zudem geben zwei von drei Befragten an, dass die Bundesregierung im Ansehen steigen würde, falls sie eine solche App einführen und die Installation jedem selbst überlassen würde.