Schwarm, Shitstorm und Communities

Seite 2: Die Struktur der Community

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Schauen wir uns die Struktur der Community genauer an. In einer Community kann ein jeder Mitglied werden, schlicht und einfach, indem er sich beteiligt. Beteiligen bedeutet: man nimmt am Gespräch teil. Eine Community ist nichts anderes als ein Pausengespräch auf dem Schulhof, oder ein Kantinengespräch im Unternehmen. Manche reden ständig, andere hören nur zu, diese nicken beifällig, jene geben Antworten, und machen selbst Bemerkungen.

Häufig haben Communities ein Thema, einen hauptsächlichen Gegenstand der Kommunikation, etwa Fußball oder das Sammeln von Briefmarken. Aber das ist zum Verständnis des Funktionierens einer Community nicht nötig. Sache der Community ist es, ein Wir zu erzeugen, und dieses Wir kann sich verschiedener Themen bedienen. Wichtig ist, das sie problemlos zustimmungsfähig sind, denn das Wir lebt von der Zustimmung. Themen, die Streit hervorrufen, sind immer auch problematisch, sie können eine Community auch gefährden, indem sie sie spalten.

Das beste Material für die Bildung und Stabilisierung von Communities sind deshalb einfache moralische oder ästhetische Urteile, die sich auf alle Bereiche des Lebens erstrecken können, auf das Fernsehprogramm ebenso wie auf die Politik, auf aktuelle Sportnachrichten genauso wie auf Bauvorhaben der Gemeinde.

Eine Community entsteht nicht durch Streit oder Diskussion, nicht durch Debatte und Konflikt, sondern durch Zustimmung. Deshalb benötigt die Community nicht etwa Werkzeuge zum Austausch und zum Abwägen von Argumenten, sondern einfache Verfahren, klar und deutlich eine Zustimmung zum Ausdruck zu bringen. Im Alltag sind dies das Kopfnicken und das Lachen. Manchmal treffen sich Community-Mitglieder zu Veranstaltungen wie Fußballspielen, Konzerten oder Vorträgen, dann brauchen wir den Applaus.

Eine Community braucht also vor allem eine Kultur der Zustimmung. Durch Zustimmung entsteht das Wir. Und auch eine Ablehnung wird paradoxerweise in der Community zur Zustimmung: In der gemeinsamen Ablehnung eines äußeren Gegners versichert sich die Community der Übereinstimmung, der Gemeinsamkeit, der gemeinsamen Werte.

Eine Community macht nach außen hin zunächst einen offenen, einladenden Eindruck. Denken Sie sich eine Gruppe von Kollegen, oder von Schülern auf dem Pausenhof. Für einen, der wirklich außen steht, sind sie kaum voneinander zu unterscheiden. Bei flüchtiger Beobachtung scheinen sie sich auch alle gleich zu verhalten: Sie sprechen kurze Sätze in die Runde, die offenbar an alle gerichtet sind. Auch Antworten sind Nachrichten an alle. Sie nicken zustimmend, sie lachen im Chor.

Man kann sich zu einer Community auf einfache Weise dazugesellen, zuhören, mitreden. Wenn Sie dazu gehören wollen, sollten Sie nicht zu viel reden, nicht zu laut lachen, nicht zu heftig nicken. Vor allem sollten Sie nicht streiten. Wenn alle beifällig nicken, sollten Sie nicht widersprechen.

Solche Communities prägen unseren Alltag, und zwar schon seit langem. Es gab sie im Wiener Caféhaus in den 1920ern. Aber die Community ist nicht die naturgegebene Form des Zusammenlebens der Menschen. In der Familie, in der Sippe, im Stamm oder in der Dorfgemeinschaft gibt es keine Communities. Was diesen Gemeinschaften fehlt, ist zum einen die Ungebundenheit, die formale Freiwilligkeit des Beitritts und des Austritts, zum anderen auch die formelle Gleichheit der Mitglieder.

Aus dem gleichen Grunde sind Communities auch von Organisationen wie Unternehmen, Kirchen und Parteien abzugrenzen. Allerdings haben fast alle modernen Organisationsformen heute einen Hang zur Community. Parteien und Vereine werden zu Mitmach-Organisationen, in denen sich jeder so einbringt, wie er es mag, und auch in Familienverbänden kommt und geht jeder nach Belieben.

An dieser Stelle möchte ich dem Eindruck entgegentreten, dass ich die Community in irgendeiner Weise für eine defizitäre Form des Zusammenlebens von Menschen halten würde. Keineswegs möchte ich das Bild einer heilen früheren Welt beschwören, in der die Beziehungen zwischen den Menschen womöglich noch intakt gewesen wären. Jede typische Weise des Zusammenlebens von Menschen hat, aus einer gewissen Perspektive betrachtet, ihre fragwürdigen Aspekte. Mir geht es darum, die Funktionsweise einer bestimmten Form, die ich hier als Community bezeichne, zu verstehen. Es ist nicht das Ziel, sie zu bewerten, schon gar nicht gegenüber anderen Gemeinschaftsformen.

Die typische Form des Gesprächs in einer Community ist der Small Talk. Auch wenn der Small Talk ein Thema hat, ist dieses eigentlich sekundär, denn das entscheidende in der Community ist nicht das Thema, sondern die Gemeinschaft. Der Small Talk ist der Kitt, der die Community zusammenhält, er tritt an die Stelle der Familienbande, an die Stelle des religiösen Glaubens, der Wertegemeinschaft.

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