Schwarze Katerstimmung
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wurde in Österreich eine klare Absage erteilt
Was auf einem Feuerzeug, das von der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) als Wahlgeschenk verteilt wurde, gefordert wurde – die Österreichische Volkspartei (ÖVP) abzuwählen – ist eingetroffen. Die SPÖ wurde bei den Nationalratswahlen am Sonntag zur Überraschung aller wieder stimmenstärkste Partei. Die Partei steckte nämlich in einer Krise und an der Kanzlertauglichkeit von Parteichef Alfred Gusenbauer hatte manch einer seine Zweifel, auch parteiintern. Was dieser historische Wahlsonntag für Österreich bringen wird, wird sich allerdings erst entscheiden, wenn alle Wahlkarten ausgezählt sind und die Koalitionsverhandlungen laufen.
Der letzte Würfel ist noch nicht gefallen, doch eines steht bereits fest: Die Mitte-Rechts-Regierung wurde in Österreich abgewählt. Die Überraschung war groß, denn das haben die wenigsten erwartet. Wahlforscher, Politikwissenschafter, ja selbst die Partei-Chefs der Oppositionsparteien sind davon ausgegangen, dass die Volkspartei (ÖVP) unter „Ex“-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wieder Erster im Land sein wird. Mit nur 34,2 Prozent der Stimmen und einem Minus von 8,1 Prozent gegenüber den Nationalratswahlen 2002 ist sich allerdings nur ein Platz zwei ausgegangen.
Österreich wird rot
Bis zum vergangenen Sonntag war 2006 kein gutes Jahr für die österreichischen Sozialdemokraten. Im März wurde der größte Banken- und Gewerkschaftsskandal der zweiten Republik aufgedeckt – tief darin verstrickt: die SPÖ. Da diese Affäre nicht restlos geklärt ist und besonders während des Wahlkampfs laufend neue Wahrheiten ans Licht gekommen sind, ist man davon ausgegangen, dass sich das auch am Wahlergebnis widerspiegeln würde. Zu Lasten der SPÖ natürlich.
Die ÖVP lehnte sich siegessicher zurück und blickte hochmütig auf Alfred Gusenbauer herab, der im Jahr 2000 Parteichef der SPÖ geworden ist und 2002 das erste Mal parteiintern zu kämpfen hatte. 2002 hat die ÖVP mit 42,3 Prozent ihr bestes Wahlergebnis seit Jahrzehnten erzielt. Die ersten Folgen für Alfred Gusenbauer und seine SPÖ: eine kurz aufflammende Obmann-Debatte, die vor allem von den Medien ausgelöst wurde. Diese Debatte hat sich zwar gelegt, als SPÖ-Kandidat Heinz Fischer 2004 zum Bundespräsident gewählt wurde. Zweifel an der Person Alfred Gusenbauers bestanden jedoch bis zuletzt. Ob ausgerechnet er die SPÖ aus ihrer Krise führen würde, wie tauglich er als Spitzenkandidat und Bundeskanzler ist – das waren Fragen, die man vor der Wahl offen und auch parteiintern gestellt hat.
Dass die SPÖ mit 35,7 Prozent der Stimmen wieder stärkste Partei in Österreich ist, freut daher vor allem einen ganz besonders: den Parteichef selbst. Alfred Gusenbauer hat schon als Kind davon geträumt, Bundeskanzler zu werden und steht jetzt kurz vor der Erfüllung dieses Traums. Bundespräsident Heinz Fischer wird ihn in den nächsten Tagen mit der Regierungsbildung beauftragen.
Wie die Koalitionsverhandlungen verlaufen werden, wie lange sie andauern, was nicht noch alles passieren wird – das ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch höchst ungewiss.
Historische Wahl
Historisch ist das Wahlergebnis nicht nur wegen der Wende in Österreichs Innenpolitik, die damit eingeleitet werden dürfte. Historisch ist das Wahlergebnis auch aus zwei anderen Gründen.
Zum einen hat es noch nie so viele Nichtwähler gegeben. 1.657.222 Menschen, mehr als 25 Prozent also, sind am Sonntag nicht zur Wahlurne geschritten. Das entspricht quasi der Einwohnerzahl Wiens. Sie bilden die größte Gruppe bei dieser Nationalratswahl.
Zum anderen ist das Zittern der Parteien noch nicht vorbei. Zwischen 240.000 und 290.000 Wahlkarten sind im Umlauf. Sie gelten als die große Unbekannte, da sie noch das eine oder andere entscheidende Mandat im Nationalrat verrücken könnten.
Das von Jörg Haider initiierte Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) hat nach momentanem Stand mit 4,2 Prozent der Stimmen den Einzug in das Parlament geschafft. Zu verdanken ist das in erster Linie Haiders Heimat-Bundesland Kärnten, wo das BZÖ auf 25,4 Prozent der Stimmen kam. Um den Einzug ins Parlament wirklich zu sichern, sind jedoch noch knapp 1.000 Stimmen aus den Wahlkarten erforderlich. Dass dass BZÖ den Einzug schafft, gilt als wahrscheinlich. Gewissheit darüber gibt es jedoch erst, wenn alle Wählerstimmen ausgezählt sind. Am kommenden Montag also.
Auch bei den Grünen ist nicht alles entschieden. Das Wahlziel, mehr als zehn Prozent der Stimmen zu bekommen, wurde erreicht. Derzeit liegen sie bei 10,5 Prozent, was das beste Ergebnis seit Bestehen der Partei bedeutet. Das Wahlziel, drittstärkste Kraft im Land zu werden, haben sie noch nicht erreicht – es besteht allerdings Hoffnung. Das grüne Punkten bei den Wahlkarten-Wählern besitzt gewissermaßen Tradition. Bei der Nationalratswahl im Jahr 2002 haben die Grünen nach der Wahlkartenauszählung ein Mandat dazu gewinnen können und auch diesmal rechnen die Grünen mit einem Wahlkarten-Mandat – möglich wären sogar zwei. Die parteiinternen Berechnungen des Wahlergebnisses gehen Richtung 11,2 bis 11,22 Prozent. Da die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unter Heinz Christian Strache im Moment bei 11,2 Prozent der Stimmen steht, ist das Rennen um Platz drei also noch nicht geklärt.
Vor der SPÖ liegen schwierige Koalitionsverhandlungen
Da die SPÖ allein nicht regierungsfähig ist und eine Koalition mit den politisch sehr rechts stehenden Parteien FPÖ und BZÖ ausschließt, lässt sich die für die Regierungsarbeit notwendige Parlaments-Mehrheit im Moment nur in Koalition mit der ÖVP erreichen.
Die Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP dürften aber schwierig werden. Die Programme sind unterschiedlicher, wie sie nicht unterschiedlicher sein könnten – und Wolfgang Schüssel hat schon im Jahr 2000 gezeigt, dass er nicht sehr kompromiss- und verhandlungsbereit ist, wenn es um die Macht im Staat geht. Obwohl die ÖVP damals nur drittstärkste Partei war, hat er sich als Kanzler an die Spitze geschlichen. Ähnliches wäre auch diesmal denkbar. Rechnerisch ginge sich eine Ampelkoalition bestehend aus ÖVP, FPÖ und BZÖ aus. Wolfgang Schüssel hat zwar vor den Wahlen gemeint, dass er mit Heinz Christian Strache und seiner FPÖ keine Regierung bilden würde – und hat sogar eine große Koalition in Betracht gezogen. Allerdings als Verhandlungsführer und Parteichef der stimmenstärksten Partei. Möglicherweise kommt ab Montag vielleicht doch eine rot-grüne Koalition in Betracht, was zumindest programmatisch eine Regierungsbildung vor Weihnachten am realistischsten machen würde. In Fragen der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik stimmen SPÖ und Grüne in vielen Punkten überein. Das käme aber einem zweiten Wahlwunder gleich – zudem wäre eine rot-grüne Regierung nur mit einer knappen Mehrheit ausgestattet und nicht sehr stabil, was Gusenbauer jedoch in Kauf nehmen würde. In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Standard meint er heute: „Mehrheit ist Mehrheit.“
Wahrscheinlich werden sich die Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP bis 2007 ziehen – und Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Eine Ursache für das Scheitern der ÖVP sieht man intern in der mangelnden Mobilisierung der Bevölkerung und der geringen Wahlbeteiligung. Wäre daher gut möglich, dass es Schüssel noch ein letztes Mal wissen will.