Schweden: Initiativen gegen die Gangkriminalität
- Schweden: Initiativen gegen die Gangkriminalität
- "Papierkonstruktionen"
- Auf einer Seite lesen
Bandenkriege in den Vorstädten sind ein Hauptthema im Wahlkampf
Die ständigen Schießereien in den Vorstädten der großen und auch kleineren Städte und die dahinterstehenden Bandenkriege sind Thema Nummer eins für die Wahl im kommenden September.Dieser Form von Kriminalität und der damit verbundenen "Segregation", dem abgesonderten Leben der Migranten in Brennpunktvierteln, hat die sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson den Kampf angesagt.
Für Schlagzeilen sorgt immer wieder Linköping. Eine Kommune – so wird die Verwaltungseinheit in Schweden genannt – mit über 100.000 Einwohnern, einer renommierten technischen Universität und guten Jobs in der technischen Branche.
Gleichzeitig liefern sich kriminelle Gangs in den drei Brennpunkten Skäggetorp, Berga und Ryd blutige Auseinandersetzungen. Zwölf Schießereien und fünf Tote sind die Bilanz des letzten Jahres.
Auch im Januar dieses Jahres starb ein Mann im Kugelhagel. Er hatte zweimal die Seiten gewechselt – vor zehn Jahren wirkte er als Sozialarbeiter, um kriminelle Jugendliche auf den rechten Weg zu bringen, kam aber selbst vom Weg ab und stieg bei den "Bandidos" ein und in deren Hierarchie auf, vor einem Jahr nahm er dann an einem Aussteigerprogramm teil und kehrte der kriminellen Existenz den Rücken.
Die bürgerlich regierte Kommune will nun mit einem umfangreichen Programm gegen die Gewalt halten. Mehr Kameras, mehr Kontrollen, mehr Aufklärung an den Schulen, mehr Dialog mit den Bürgern, mehr Sozialarbeiter in den schlechten Vierteln, Gelder für das Aussteigerprogramm – umgerechnet knapp acht Millionen Euro sollen in diesem Jahr investiert werden.
Private Initiativen: Kampfsport als Hilfe?
Es gibt jedoch auch private Initiativen, die die Situation in den Vorstädten verbessern wollen, wo bereits Kinder im Alter von acht Jahren als Drogenkuriere angeworben werden. Eine davon ist der Club Aktivitetshuset Taekwondo, der mit vollmundigen Plakaten in dem heruntergekommenen Einkaufszentrum von Skäggetorp wirbt: "Trainiere mit den Besten, trainiere mit einem olympischen Goldmedaillengewinner."
Der gebürtige Libyer Marwan Mansoor, Träger des vierten schwarzen Gürtels in der koreanischen Kampfkunst, ist der Leiter des Clubs. Die Plakate versprechen nicht zu viel, es gibt internationale Erfolge seiner Schüler, sein zwölfjähriger Sohn Mussa, der beim Lokaltermin dabei ist, ist schwedischer Meister in seiner Altersklasse.
Der Endvierziger, der 2006 nach Schweden emigrierte, empfängt in einer Grundschule in Skäggetorp, einem typischen Flachbau, wo er gewöhnlich in Taekwondo unterrichtet. Vor acht Jahren begann er mit der Trainingsofferte in Skäggetorp, wo hauptsächlich Migranten wohnen, in einer Schule liegt der Ausländeranteil heute bei 98 Prozent.
Die Kinder müssen etwas tun. Wir können das auch nicht so klassisch aufziehen mit Anwesenheitspflicht wie in anderen Vereinen; manchmal kommen sie, manchmal nicht.
Marwan Mansoor
Taekwondo sei ein "taffer" Sport. Manchmal wäre das Training auch hart, aber das könne nicht kontinuierlich so betrieben werden, es wird auch mit Spiel und Spaß abgewechselt.
Eine wichtige Entscheidung war es, das Training kostenlos anzubieten, da viele Eltern von Sozialhilfe leben. Die Kommune bezahle nichts, vielmehr zahlt der Verein die Miete für die Nutzung der Sporthallen, auch in einem weiteren Viertel wird das Training angeboten. Die Kommune unterstützte nur einzelne besondere Veranstaltungen.
Manche Eltern würden finanziell etwas beisteuern. Wichtig sei die familiäre Verbindung und das Einbeziehen der Eltern, darum werden auch Feiern und Grillfeste abgehalten.
Seit Beginn gebe es Kritiker, die dem Verein vorwerfen, die Kinder über den Kampfsport für die Gewalt auszubilden. Die Familie habe die Verantwortung für die Erziehung der Kinder, so die Entgegnung des Kampfsportlers.
Die Kinder können ihre Energie bei uns herauslassen, aber eben mit Regeln. Es geht darum, Wettkämpfe zu gewinnen, nicht sich auf der Straße zu schlagen. Sie bekommen ein stärkeres Selbstbewusstsein durch den Sport.
Marwan Mansoor
Die "Netzwerke" (Selbstbezeichnung der kriminellen Banden) nutzten die Kinder für ihre schlechten Absichten. "Wir helfen mit dem Training, mit der Begeisterung für den Sport, dass sie nicht diesen Weg einschlagen", so Mansoor, der als Dolmetscher für Arabisch sein Geld verdient.
"Mamas" versuchen es mit Kunst und Kultur
Weit sichtbarer in der Stadt und in den Medien ist die Initiative "Mamas der Welt", der finnischstämmige Künstlerin Sira Jokinen Lisse. Jokinen Lisse, zugeschaltet via Skype, hält Kunst und Kultur für ein wichtiges Mittel gegen die Segregation.
Begonnen hat die Initiative als Kunstprojekt in der Mittelstadt Motala 2016, ihrem Wohnort. Die Finnin brachte Mütter verschiedener Kulturen zusammen, die sich oft nicht durch Sprache ausdrücken konnten, jedoch mittels verschiedener Kunsttechniken, die sie teils aus ihrem Heimatland kannten. Der Fokus ihrer Arbeite liege neben drei weiteren Städten auf dem Viertel Skäggetorp.
Der kulturelle Aspekt käme bei dem Gespräch um die Segregation zu kurz, so die ehemalige Kommunalrätin, die für die Sozialdemokraten tätig war. Sie glaubt, dass die Art und Weise, wie die Kommune in Linköping agiere, nicht funktioniere. Gegenüber dieser hat sie einige Vorbehalte.
Es gebe viele Abteilungen in den Behörden und somit ein Problem mit der Zuständigkeit. Den Politikern fehle hingegen die Kapazitäten, die Entscheidungskompetenz. Die Beamten übernähmen die Rolle, die die Politiker übernehmen sollen.