Schweiz: Umfragemehrheit für Ende der Rundfunkgebühren
Zeigt die Eidgenossenschaft, dass es ohne zwangsfinanzierte Sender geht, könnte dies auch Auswirkungen auf die Nachbarländer haben
Am 4. März dürfen die Schweizer über die No-Billag-Initiative abstimmen. Sie sieht eine Änderung des Artikels 93 der schweizerischen Bundesverfassung vor. Dort soll verboten werden, dass "der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte […] in Friedenszeiten" Radio- und Fernsehstationen betreiben, subventionieren" oder "Empfangsgebühren erheben".
Die Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) dürfte danach zwar weiter produzieren und senden, müsste dabei aber auf 1,2 Milliarden Franken verzichten, die sie derzeit an Gebühren kassiert. Die debattierten Einnahmealternativen reichen von einer Umstellung auf die von Sendern wie Netflix oder HBO erfolgreich etablierten Abo-Modelle bis hin zur Subvention durch die Kantone.
Unter ihrem aktuellen Chef Gilles Marchand beharrt die SRG aber offiziell darauf, dass man mit einer Ablehnung der Volksinitiative rechne und keinen "Plan B" für einen anderen Ausgang habe. Eine erste Umfrage, die für die No-Billag-Initiative eine klare Mehrheit ermittelte, wischte die SRG mit dem Einwand beiseite, dass dabei weder die italienischsprachigen Tessiner noch die Rentner ausreichend berücksichtigt wurden. Bei einer zum Jahreswechsel veröffentlichten Erhebung, die eidgenossenschaftsweit eine Mehrheit von 57 Prozent unter den wahlberechtigten Schweizern zwischen achtzehn und 75 Jahren ermittelte, ist das nicht mehr so leicht möglich.
"Ständemehr" unsicher
Der Zürcher Juraprofessor David Dürr, der nächste Woche auf Usedom unter anderem über die No-Billag-Initiative sprechen wird, sieht angesichts der Umfragen "gute Chancen" auf eine Volksmehrheit, meint aber, dass "hinsichtlich des Ständemehrs noch gewisse Zweifel bestehen" und dass "diese Hürde noch schwierig werden" könnte.
Dieses "Ständemehr", das die schweizerische Verfassung in Artikel 140 Absatz 1 für ihre Änderung zusätzlich zum Volksmehr verlangt, bezeichnet einer Mehrheit der Kantone von denen 20 eine ganze und weitere sechs jeweils eine halbe Stimme haben. Trotz dieser halben Stimmen sorgt die Regelung wegen der sehr unterschiedlichen Einwohnerzahl der Kantone dafür, dass Stimmen beim Ständemehr ein sehr unterschiedliches Gewicht haben: Eine aus dem Kanton Appenzell Innerrhoden wiegt beispielsweise knapp 51 Mal mehr als eine aus Zürich.
Dass ein Volks-, aber kein Ständemehr erreicht wird, kam in der Vergangenheit durchaus vor: zum Beispiel beim obligatorischen Referendum über eine erleichterte Einbürgerung 1994. Die Volksinitiative "Gegen Asylrechtsmissbrauch" scheiterte dagegen 2002 trotz eines Ständemehrs von zwölfeinhalb zu zehneinhalb Stimmen an einer knapp fehlenden Volksmehrheit. Wegen der halben Stimmen ist bei den Kantonen auch ein Gleichstand von jeweils elfeinhalb Stimmen möglich, der dann als Ablehnung zählt.
Dass kleine Kantone die Initiative vielleicht ablehnen, könnte Dürr zufolge daran liegen, dass
eines der Hauptargumente der Befürworter des Staatsfernsehens dahin geht, die Vielfältigkeit der Schweiz mit ihren vielen Sprach-, Religions- und Kulturregionen sowie ihren großen und vor allem auch kleinen Gemeinwesen medial gut zu versorgen. Dass diese Versorgung im Internetzeitalter so gut wie nichts mehr mit Informationsbedarf, dafür umso mehr mit seichter Unterhaltung zu tun hat, wird entweder verschwiegen, bisweilen bestritten und manchmal gar gerechtfertigt.
(Professor David Dürr)
"Doch anderseits", so Dürr gegenüber Telepolis, "hat die No-Billag-Initiative vielleicht auch das Überraschungspotenzial, eine vom Establishment als Lebensnotwendigkeit der Schweiz beschworene 'heilige Kuh' bedrohlich wanken zu lassen; so wie es zum großen Erstaunen der offiziellen Politik bereits einmal der [Alters- und Hinterlassenenversicherung] AHV, der Wehrpflicht und sogar der Armee selbst ergangen ist. Und wer weiß, ob bei der SRG aus dem Wanken sogar ein Sturz wird."
Mögliche Auswirkungen über die Eidgenossenschaft hinaus
Kommt die Schweiz ohne einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus (den unter anderem der NZZ-Chefredakteur Eric Gujer für ein Relikt aus einer vom Heute ganz verschiedenen Vergangenheit hält), dann könnte das auch auf andere Länder ausstrahlen: Vor allem auf die Nachbarn Österreich, Italien, Frankreich und Deutschland. Dort, in Deutschland wehrt sich die ARD gerade gegen die Bezeichnung als "Staatssender" - aber nicht dagegen, dass Ulrich Wilhelm, der in ihrem ersten und zweiten Kabinett Angela Merkels Regierungssprecher war, neuer Vorsitzender des Senderverbundes wurde.
In seiner neuen Position warnte Merkels Ex-Sprecher umgehend, wenn der deutsche Rundfunkbeitrag nicht erhöht werde, "würden kurzfristig drei Milliarden Euro fehlen, die wir im Wesentlichen im Programm einsparen müssten". In Sozialen Medien nahmen viele Nutzer die Äußerung jedoch anders auf, als Wilhelm dies beabsichtigt hatte: Sie forderten, endlich mit diesen Einsparungen im Programm zu beginnen und beispielsweise die "Albtraumfabrik" Degeto zu schließen.