Shpunken im Arschwitz
Sacha Baron Cohens "Brüno" und die Kultur des Abjekten
Der 2006 erschienene Film „Borat“ stand noch ganz in der Tradition des engagierten investigativen Kino-Dokumentarismus à la Michael Moore – wenngleich ins Groteske verschoben und mit (noch) unlauteren journalistischen Methoden realisiert. Sacha Baron Cohens neuer Film "Brüno" geht einen anderen Weg – einen, der ohne „Borat“ aber gar nicht begehbar wäre.
Brüno ist nach eigenen Angaben erst 19 Jahre alt, kommt aus Österreich, ist homosexuell und der in seiner Heimat prominente TV-Talkmaster der Fashion-Show „Funkyzeit“. Durch ein Missgeschick – bei einer Modegala verfängt er sich mit einem selbst kreierten Anzug aus Industrie-Klett in der Haute Couture – verliert er seinen Job und wandert mit dem ihm einzig noch ergebenen Assistenten Lutz nach Kalifornien aus, um dort „Weltberühmtheit“ zu erlangen. Dass diese nicht so einfach qua Sprechakt zu bekommen ist, muss Brüno alsbald erfahren: Er scheitert in der Filmbranche, als TV-Moderator, Friedensaktivist und schließlich sogar als Stadtstreicher.
Dann, beim Anblick von TV-Auftritten Tom Cruises, John Travoltas und Kevin Spaceys, fragt er sich, was diese Männer als Gemeinsames haben, das ihnen zu Weltruhm verholfen hat und errät es schnell: Sie sind heterosexuell! Von da ab setzt er alles daran, seine Homosexualität zu überwinden, lässt sich christlich beraten, geht zum Militär, lernt Selbstverteidigung gegen schwule Angriffe von hinten und hat es nach acht Monaten schließlich geschafft: Es tritt äußerlich wie innerlich gewandelt als Moderator in der heterosexuellsten Showszene auf, die die US-amerikanische Kultur zu bieten hat: Im Wrestling.
Worüber wir lachen, wenn wir über Brüno lachen
Wie schon in „Borat“ schlüpft Sacha Baron Cohen auch in seinem neuen Film in eine Figur, die man zwar nicht per se als Minderheit bezeichnen kann, die jedoch dadurch, dass er sie in die USA versetzt, schnell zum Außenseiter stilisierbar ist. Bei „Borat“ war es noch der Holzklotz-Charme des angeblich keinerlei moralische Skrupel besitzenden Ostblock-TV-Promis, der die US-amerikanischen Antagonisten an die Grenzen ihrer Toleranz führte. Für „Brüno“ geht er scheinbar den entgegen gesetzten Weg und wählt einen Österreicher (der sich der Kultur, Persönlichkeiten und Geschichte seines Landes sehr bewusst zu sein scheint), der mit äußerst exaltiertem Verhalten Schwulenfeindlichkeit selbst dort provoziert, wo sonst Toleranz groß geschrieben wird: an der Westküste der USA.
Der Film generiert seine Komik wie schon der Vorgänger aus zwei Quellen und mittels zweier Methoden. Man könnte fast meinen, Sacha Baron Cohen habe sogar zwei verschiedene Zielpublika im Auge, wenn er seinen Protagonisten zum einen mit unglaublicher politischer Unbekümmertheit in brisante Situationen versetzt, um so noch das Letzte an subversivem Witz daraus hervorzukitzeln.
Dann brüskiert er jedoch zum Anderen durch extreme Geschmacklosigkeiten, offene Darstellung von gelebter Sexualität und durch die seltsam hybride amerikansich-österreichische Sprache, die seinen Fäkalhumor transportiert. Vor allem der Deutsch sprechende Zuschauer gelangt in den Genuss eines erweiterten Spaßes, wenn er die verschiedenen Verballhornungen deutscher Begriffe für Ausstattungen und Tätigkeiten rund um den menschlichen Äquator zu hören bekommt. Das Hinterteil wird dort zum „Arschwitz“ oder zur „Arschenhalle“, der Penis zum „Schawasenstucke“.
Hier ist es vor allem der abjekte Humor, der, zumal medial verdoppelt, zum Lachen provoziert. Denn als Zuschauer ahnt man, wie die befremdlichen Aktionen und Redeweisen auf Brünos Partner im Film, der vorgibt dokumentarisch zu sein, gewirkt haben müssen. Manchmal sieht man es den Antagonisten Brünos regelrecht an, wie unangenehm ihnen die Situation ist und die im Film empfundene Scham wird vom Zuschauer als Gefühl der Fremdscham verdoppelt. Es ist in diesen Fällen also ein Lachen, das im Halse stecken bleibt und das wieder am selben Projekt arbeitet wie der subversive politische Humor, weil hier die fremden und dann die eigenen Schamgrenzen angetastet werden.
Ist das echt passiert?
Gerade angesichts der Kapriolen der „Brüno“-Figur in Opposition zu seinen Interview-Partnern, deren Bandbreite von Paula Abdul über den Präsidentschaftskandidaten Ron Paul bis hin zu israelischen und palästinensischen Politikern reicht, kommt bald die Frage auf, inwieweit die Szenen wirklich dokumentarisch sind. Aus „Borat“ wissen wir, dass der Film durchaus Konsequenzen nach sich gezogen hat, die ex post die Authentizität des Gezeigten unterstrichen.
Ein Blick das Casting von "Brüno" offenbart, dass die dort aufgetretenen Prominenten auch tatsächlich die zu sein scheinen, als die sie vorgestellt werden. Von nicht wenigen von ihnen könnte man ebensolche Klagebereitschaft erwarten. Und dennoch geben sich einige der „Opfer“ am Schluss versöhnlich, wie das Abspann-Video zeigt, in dem Brüno zusammen mit Bono (über den her zuvor noch verbal hergefallen war), Elton John, Snoop Dogg und anderen „friedlich“ singt. Vielleicht ist ihnen klar, dass man einer Satire nur entkommen kann, wenn man sich ihr nicht entgegenstellt 1.
„Brüno“ bezieht seine Authentizität weniger aus den ästhetischen Mitteln des Dokumentarfilms, worin er sich am deutlichsten von „Borat“ unterscheidet. Kennzeichnete diesen noch eine markante Fly-on-the-Wall-Perspektive ohne deutlich erkennbare Eingriffe am Schneidetisch, so unterlegt Regisseur Larry Charles „Brüno“ mit einer melodramatischen Story, einem Off-Kommentar von Brüno, einem Soundtrack und verschiedenen Kamera- und Montage-Techniken, die eher dem fiktionalen Spielfilm als dem Dokumentarfilm zugerechnet werden. Dass angesichts dieser offensichtlichen Fiktionalisierung dennoch die Frage nach der Authentizität des Dargestellten entsteht, erklärt sich eher aus dem eingebrachten Kontextwissen des Zuschauers.
Komik-Dokumentarismus
Dieser geht nämlich davon aus, dass „Brüno“ das Projekt von „Borat“, welches ja insgesamt das Projekt von Sacha Baron Cohen und seiner „Ali G.“-Show ist, fortsetzt. Aus der Kenntnis der vorherigen Arbeiten des Comedians und dem Wiedererkennen der Prominenten im Film entwickelt sich so der Eindruck von der Echtheit der Situationen. Und erst dieser schafft die Fallhöhe, die notwendig ist, um Komik zu ermöglichen. „Brüno“ mag auf der Oberfläche wie bloßer Klamauk erscheinen – durch seine Erzählstrategie, die auf Kontextwissen, Paratexte und politische wie moralische Befindlichkeiten zurückgreift, erweist er sich als filmischer Wolf im Schafspelz.
Die eingangs erwähnte Ähnlichkeit zu den dokumentarischen Arbeiten Michael Moores verdeutlicht dies einmal mehr. Denn beide Autoren drehen Dokumentarfilme, die wegen ihrer ästhetischen Praxen und journalistischen Verfahren weithin Kritik und juristische Konsequenzen nach sich gezogen haben. Der Vorwurf des „Fake“ ist dabei ebenso häufig geäußert worden, wie der Verdacht über die Mittel des Films einen Sinn konstruiert zu haben, der aus dem Quellenmaterial so allein gar nicht hervorgegangen ist. Dem muss man von konstruktivistischer Warte aus natürlich entgegen halten, dass mediale Vermittlung, und sei sie noch so nüchtern und sachnah, immer schon Sinn konstruiert.
Vielleicht sind es dann gerade Filme wie „Borat“ und jetzt „Brüno“, die diese Mechanismen durch Übersteigerung transparent machen. Und schaut man sich an, welche Transparenzen „Brüno“ seinen Zuschauern im übertragenen wie auch im Wortsinne vor Augen führt, kann man am Ende schon den Eindruck gewinnen, Dinge gesehen zu haben, die in dieser Deutlichkeit bislang noch nie im Kino gezeigt wurden.