Siemens Energy zögert beim Nachhaltigkeitsversprechen
Joe Kaeser hatte Luisa Neubauer von Fridays for Future einen Sitz im Aufsichtsrat angeboten, nach Corona ist fraglich, ob es überhaupt externe Mitglieder geben wird
Viele von uns werden sich erinnern. Anfang des Jahres hatte der Vorstandsvorsitzende von Siemens Joe Kaeser die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer eingeladen und ihr einen Sitz im Aufsichtsrat der zukünftig unabhängigen Siemens-Energy angeboten.
Es gab reichlich Aufregung. Zum einen protestierte die von dem Vorschlag völlig überraschte Kapitalseite, dass Nachhaltigkeits-AktivistInnen nicht die Qualifikation für einen Aufsichtsrat besäßen. Und die Nachhaltigkeitsszene stellte klar, dass dieser Vorschlag ein offensichtlicher Versuch sei, den für die nächste Hauptversammlung angekündigten heftigen Protesten von Fridays for Future und anderen NGOs gegen einen Auftrag zur Erschließung eines riesigen australischen Kohlevorkommens die Spitze zu nehmen.
Mahnwache Nachhaltigkeits-Gremium
Joe Kaeser korrigierte sich paar Tage später und stellte klar, er habe die Mitgliedschaft im Nachhaltigkeits-Gremium des Unternehmens gemeint. Aber das ist schon Revolution genug. Denn die meisten Konzerne haben inzwischen ein solches ethisches Gewissen eingerichtet, allzu oft allerdings nur als Teil des üblichen Greenwashing. Aus Geheimhaltungsgründen werden diese Gremien meist nur mit internen Managern besetzt - und so überrascht es nicht, dass harte Eingriffe in die Geschäftspolitik unterbleiben.
Entsprechend wurde auch der Auftrag für das Carmichael-Projekt, das australische Kohleprojekt durchgewunken. Bei einer Besetzung auch mit externen Mitgliedern wäre das wohl nicht passiert. Im Gremium käme dann auch der Blick von außen viel stärker zur Geltung, die wirtschaftlichen Fragen würden in ihrer Priorität etwas zurückgedrängt. Externe Besetzung würde die Kontrolle des öko-sozialen Verhaltens des Unternehmens gewaltig stärken und könnte zum immer wieder mahnenden Korrektiv einer nur profitgetriebenen Unternehmensführung werden.
Allerdings hielt sich Luisa Neubauer für nicht geeignet für diese Mitgliedschaft in einem Nachhaltigkeitsgremium, weil das im Konflikt stehe zu den Aufgaben einer Aktivistin. Sie schlug deshalb vor, eine Kandidatin mit mehr Wirtschaftserfahrung aus der Nachhaltigkeitsszene zu wählen, ein Vorschlag, der die Autorität des Gremiums weiter stärken würde.
Dann aber - nach kräftigem Krawall auf der Siemens-Hauptversammlung im Februar - verlief sich das Thema in der Corona-Welle, wie die Klimabewegung auch.
Eine "außerordentliche" Hauptversammlung von Siemens
Doch nun fand die für die Abspaltung der Energiesparte notwendige "außerordentliche" Siemens-Hauptversammlung statt, nur in Video, versteht sich. Damit musste sich der Druck der Straße auf eine Mahnwache vor der Konzernzentrale beschränken und um so neugieriger durfte man sein, was vom ehemaligen Versprechen nachhaltiger Unternehmensführung und eines extern besetzten Nachhaltigkeitsgremiums übergeblieben war. Und tatsächlich, es wurde geliefert, aber nur ein bisschen. Denn alle Formulierungen bringen die üblichen Schlagworte, schaut man sie genauer an, dann gelten sie nicht für Siemens, sondern für die Energiewende allgemein.
Die Absicht, zu einer "nachhaltigen und auch wirtschaftlich darstellbaren Umstellung der Stromerzeugung" und "zum Aufbau einer nachhaltigen und effizienten Infrastruktur beizutragen" waren zwei dieser "Nachhaltigkeits"-Formulierungen von Joe Kaeser. Besonders deutlich wurde das wirtschaftliche Interesse, als er von einer "nachhaltig ökonomischen" Energiewende sprach. Aber es fehlte das Und, also nachhaltig und ökonomisch. Und auch fügte er an, dass Siemens zu den Beschlüssen von Paris stehe und der Klimawandel die Umstellung auf eine "nachhaltige und ökonomisch darstellbare Energieversorgung" hohe Investitionen erfordere - "in einer wirtschaftlich sinnvollen Weise" als eine "sozial-ökonomischen Energiewende".
Öl und Gas bleiben zentrale Geschäfte - Kohle wohl nicht
Klar war zwar, die Geschäfte mit Erneuerbaren Energien werden ausgebaut, aber Öl und Gas bleiben zentrale Träger der neuen Siemens-Energy AG. Auch beim mehrfach angedeuteten Ausstieg aus der Kohle blieb Kaeser wage: Er habe "den Vorstand der neuen Gesellschaft gebeten, zügig einen Stakeholder-gerechten Plan zum Ausstieg aus der Stromerzeugung durch Kohle vorzubereiten".
Durchgängig merkte man die Unsicherheit und das Bemühen, zwar die üblichen Schlagworte der Nachhaltigkeit zu äußern - aber mit geringstmöglichen Zugeständnissen an die Forderungen nach nachhaltiger Unternehmensführung.
Das Versprechen "Nachhaltigkeits-Gremium" bleibt aktuell
Und so gab es auch keine Bemerkung zur im Januar versprochenen externen Besetzung des Nachhaltigkeitsgremiums. Das Thema war aber nicht aus der Welt und so war es auch unter den eingereichten Aktionärsfragen. Die waren zwei Tage vor der Versammlung einzureichen und wurden zusammengefasst beantwortet, ohne vorher Namen, Organisation oder Originaltexte der Frager wiederzugeben.
Totschweigen konnte man das Versprechen an Luisa Neubauer deshalb nicht. Gerne hätte ich die Antwort hier wörtlich zitiert, korrekt und nicht nur aus meinem Gedächtnis. Aber eine Woche lang wartete ich auf die Online-Veröffentlichung der Reden. Als sie dann am letzten Wochenende online gestellt wurden, waren die Fragen und deren Antworten nicht dabei. Ein "eleganter" Weg, um Journalisten, die nicht auf der HV zugelassen waren, die Information nur mit Verzögerung bereitzustellen. Zur externen Besetzung des Nachhaltigkeitsgremiums verwies man schlicht darauf, dass man sich dazu bereits in der Hauptversammlung geäußert habe. Man hätte es wiederholen können, den damals waren die Sätze Joe Kaesers sehr eindeutig:
Das neue Unternehmen wird ... mitten in der weltweiten Energiewende und -debatte stehen. Darauf stellen wir uns ein. Deshalb richten wir einen Ausschuss für Nachhaltigkeit bei Siemens Energy ein. Darin werden auch unabhängige Führungspersönlichkeiten vertreten sein. Dieser Ausschuss wird sensible Projekte melden und eskalieren können. Und das unabhängig davon, ob wir direkt oder indirekt beteiligt sind.
Joe Kaeser
Nun also wird abzuwarten sein, ob die Unternehmensleitung des nun selbständigen Energiebereichs bereit sein wird, das damalige Versprechen umzusetzen und vor einem teils mit externen Mitgliedern besetzten Nachhaltigkeitsgremium Rede und Antwort zu stehen oder ob man den zentralen Unterschied teils externer Besetzung des Nachhaltigkeits-gremiums im Sande verlaufen lässt.
Online-Hauptversammlung - störungsfrei
Das würde zum Stil einer Hauptversammlung im neuen Videoformat passen. Denn vielleicht wird man auch daran Gefallen finden. Es gab keine hörbaren Stimmen des Protests, keine sichtbaren Demos und Fahnen und bestenfalls eine Mahnwache vor der Konzernzentrale - nicht sichtbar für die Aktionäre, die Eigentümer des Unternehmens.
Ist das die zukünftige Hauptversammlung, ein Event ohne die Erinnerung des Konzerns an sein soziales Gewissen durch die Proteste der Fridays und vieler anderer NGOs? Oder wird ein Gremium mit externen Nachhaltigkeitsexperten der große Mahner bei ethischen Entgleisungen werden? Freiwillig wohl nicht, der Druck von Fridays for Future wird wohl notwendig bleiben.
Dr. Peter H. Grassmann studierte Physik in München, promovierte dort bei Werner Heisenberg und ging ans MIT. Bei Siemens baute er die heute milliardenschwere Sparte der Bildgebenden Systeme auf. Als Vorsitzender von Carl Zeiss (bis 2001) sanierte er das Stiftungsunternehmen in Jena zusammen mit Lothar Späth. Er ist Kritiker einer radikalen Marktwirtschaft und fordert mehr Fairness und Nachhaltigkeit. Grassmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und engagiert sich bei der Münchner Umwelt-Akademie, bei "Mehr Demokratie e.V.", der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gesellschaft und dem Senat der Wirtschaft.
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