Sistanis Schachzug zur Konfliktlösung

Ob Sistani, Sadr oder beide als Sieger aus dem Konflikt hervorgehen, ist noch offen, die Verlierer sind bislang die US-Truppen mit ihrer ausschließlich militärischen Strategie

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Großajatollah al-Sistani, der in einer Blitzaktion nach seiner Operation in den Irak zurück gekehrt ist und gleich alle Iraker aufgerufen hat, mit einen Marsch nach Nadschaf die Kämpfe zwischen der Miliz von al-Sadr und den US-Soldaten in der heiligen Stadt der Schiiten zu beenden, kann auch gleich einen Erfolg vorweisen. Zuvor hatten irakische Sicherheitskräfte und bislang Unbekannte versucht, mit blutigen Anschlägen und Angriffen den Marsch zu verhindern oder Zwietracht zwischen den Sistani- und Sadr-Anhängern zu säen.

Der Marsch nach Nadschaf muss einem Triumphzug geglichen haben - aber für wen?

Aufgerufen hatte zum Marsch auf Naschaf nicht nur al-Sistani, sondern auch sein schiitischer Konkurrent al-Sadr. Wer die Moschee in Kufa, seit längerem in der Hand von al-Sadr-Anhängern, mit Granaten beschossen hat und dabei zahlreiche Tote, manche Quellen sprechen von 74, und Hunderte von Verletzten verursacht hat, ist weiter unbekannt. Im Hof der Moschee hatten sich aber nicht nur al-Sadr-Anhänger, sondern auch Menschen angeschlossen, die dem Aufruf von Sistani folgen wollten. Manche schieben die Anschläge auf die US-Soldaten, die jedoch bestritten, dass sie 24 Stunden lang keine Operationen in Kufa ausgeführt hätten Waren es also Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte oder andere Aufständische? Nachdem sich dann ein Zug Richtung Nadschaf in Bewegung gesetzt hatte, wurden sie angeblich von einer Kaserne, in der irakische und amerikanische Truppen stationiert sind, beschossen. Wieder gab es Tote.

Irakische Polizisten haben Anhänger Sistanis und Sadrs in Nadschaf unter Beschuss genommen und dabei 10 Menschen getötet und Dutzende verletzt. Möglicherweise wurden sie aber von Provokateuren zuerst beschossen und haben dann blind in die Menge zurück geschossen. Allerdings wurden die in Nadschaf befindlichen Polizisten auch schon öfter von der Mahdi-Miliz angegriffen, weil sie korrupt seien. Da hat sich vielleicht auch ein sekundärer Konflikt etabliert. Allerdings hat die vorübergehende Festnahme von 60 Journalisten in Nadschad durch die örtliche Polizei am Mittwoch Abend kein gutes Licht auf diese und ihre möglichen Pläne geworfen. Die irakischen Polizisten hatten auf jeden Fall aber aus nachvollziehbaren Gründen versucht, die Menschen mit Waffengewalt daran zu hindern, Nadschaf zu betreten und in die umkämpfte Ali-Imam-Moschee zu gelangen. Sistani hatte zwar seine Anhänger aufgefordert, die zu Zehntausenden seinem - aber auch al-Sadrs - Aufruf gefolgt waren, bis zu einer Verhandlungslösung vor der Stadt zu kampieren. Aber die Tausenden von Menschen, die sich Zugang verschafften und schließlich auch bis zu den Mahdi-Milizen kamen, haben eine militärische Lösung in letzter Sekunde ganz unmöglich gemacht. Die Belagerung ist damit faktisch erst einmal zu Ende.

Noch einige Stunden vor Ankunft von Sistani und den "Schutzschilden" für die Moschee, aber letztlich auch für die Mahdi-Miliz in der Moschee, hatten die US-Streitkräfte noch einmal mutmaßliche Stellungen der Aufständischen bombardiert. Und erst kurz vor Ankunft Sistanis hatte Allawi noch schnell eine 24-stündige Waffenruhe angeordnet, an die sich auch die US-Truppen anschlossen - vorläufig. Das geschah vermutlich vornehmlich, um das Gesicht zu wahren, denn weitere Angriffe während der Anwesenheit von Sistani hätten einen größeren Aufstand der Schiiten provozieren können. Wiederum sicherte sich die irakische Übergangsregierung ab, indem sie Sadr und seinen Milizen Amnestie anbot, wenn sie die Waffen niederlegen, gleichzeitig aber weiter mit militärischem Kampf drohte, wenn die Frist ohne Lösung verstreicht. Aber Allawi, die irakische Regierung und die irakischen Sicherheitskräfte spielen in diesem Konflikt, auch wenn irakische Sicherheitskräfte vermutlich einige der blutigen Störmanöver am Donnerstag verantwortlich waren, keine wirkliche Rolle. Verhandelt haben nur Sistani und Sadr - oder Vertreter von diesem -, die US-Militärs und die irakische Regierung blieben Zuschauer.

Die Verlierer sind zumindest bislang die US-Truppen, die - wie gewohnt - ganz auf die militärische Karte setzten und sich wieder einmal als unfähig erwiesen, diplomatisch friedliche Lösungen zu erreichen. Sistani, wie ein deus ex machina aus Großbritannien plötzlich auftauchend, führte mit seinem originellen Coup vor, wie man einen militärischen Konflikt durch Menschenmassen gewissermaßen ersticken kann. Keine der Konfliktparteien hätte hier offensiv weiter agieren können, ohne ganz an Einfluss zu verlieren. Allerdings trugen sowohl Anhänger Sistanis als auch Sadrs zu diesem Erfolg bei.

Die Anhänger Sadrs sehen nicht wie Verlierer aus

Zumindest sieht es auf den ersten Blick so aus, als habe der gemäßigte Sistani mit seiner großen Autorität unter den Schiiten seinen Einfluss mit dieser Aktion noch vergrößern können, während der radikale al-Sadr klein beigeben und dem vorgelegten Friedensplan zustimmen musste, um weiter im Spiel bleiben zu können. Aber Sadr hatte schon öfter sein Spiel mit Abmachungen getrieben, dieses Mal verdankt er der Aktion von Sistani vermutlich sein Überleben und einen Ausweg aus einer verfahrenen Situation. Er kann sich nun ungeschlagen zurückziehen und muss vorerst ebenso wenig wie seine militanten Anhänger etwas befürchten. Insofern ließe sich auch al-Sadr als der heimliche Gewinner bezeichnen, der mit seinen Anhängern wochenlang den US-Truppen getrotzt hatte und durch das Abkommen demonstriert hat, dass seine Taktik Erfolge erzielt, also auch bei Bedarf wiederholt werden kann.

Offenbar sieht das Abkommen - das auch die irakische Übergangsregierung (was wäre ihr auch anderes übrig geblieben?) akzeptiert hat - vor, dass al-Sadrs Miliz die Moschee übergibt, sich entwaffnet und sich bis 10 Uhr heute Vormittag zurückzieht. Dabei dürfen sie sich anscheinend unter die "Besucher" mischen, um nicht erkannt und festgenommen zu werden. Aber auch die ausländischen Truppen, womit nur die US-Soldaten gemeint sein können, müssten Nadschaf und Kufa verlassen, um dort, wie dies Sistani anstrebt, waffenfreie Zonen herzustellen, für deren Sicherheit ausschließlich irakische Polizisten zuständig wären. Zudem soll die irakische Regierung Entschädigungen an diejenigen zahlen, die unter den Kämpfen gelitten haben.

Adnan al-Zuhfa, der Gouverneur von Nadschaf, hat zugesichert, dass die US-Truppen die Stadt verlassen werden, wenn die Mahdi-Milizen abgezogen seien, aber dies lässt sicherlich für alle Parteien Interpretationsspielräume offen. Schließlich werden weiterhin Tausende von Menschen, darunter auch al-Sadr-Anhänger, sich in der Moschee aufhalten. Und bislang scheint das Abkommen auch nur fast ganz zu stehen. Die US-Regierung hat sich zu all dem noch nicht geäußert.