Skripal-Fall: OPCW kritisiert den Direktor

Der türkische OPCW-Direktor Ahmet Üzümcü machte offenbar falsche Angaben, die den Verdacht auf Russland lenken und andere Staaten freisprechen sollten

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Gestern erklärte der Sprecher der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), der Organisation sei es nicht möglich die Menge des Nervengifts abzuschätzen oder zu bestimmen, mit der am 4. März die beiden Skripals in Salisbury vergiftet wurden. Die Menge müsste man wahrscheinlich in Milligramm angeben. Nach der Analyse der Proben sei die chemische Substanz haltbar, resistent gegenüber Wetterbedingungen und von hoher Reinheit gewesen.

Die Erklärung kam nach einer ganz anders gearteten Behauptung von Ahmet Üzümcü, seit 2009 OPCW-Direktor. Er hatte der New York Times gesagt, dass für den Anschlag schätzungsweise 50 bis 100 Gramm (!) verwendet worden seien. Das ist um Größenordnungen mehr als der Sprecher angab. Man sollte annehmen, dass man sich hinsichtlich solcher Unterschiede nicht irren sollte. Das nährt den Verdacht, dass in der unabhängigen Organisation Informationschaos herrscht oder doch verschiedene politische Interessen verfolgt werden.

Wie die New York Times schreibt, soll der Direktor, ein türkischer Diplomat, kein Wissenschaftler, der auch schon für einige Jahre die Türkei bei der Nato vertreten hat, auf neue Maßnahmen hingewiesen haben, um die Herstellung des Nervengifts zu beobachten (offenbar wurde der ursprüngliche Artikel gelöscht und durch die Meldung mit der Korrektur ersetzt). So werde von OPCW-Mitgliedsstaaten wie Russland, Großbritannien oder den USA verlangt, die Produktion oder Lagerung der chemischen Substanz zu erklären, die als Nowitschok bekannt sei. Diese Länder würden die Chemikalie zu Forschungszwecken aber nur zu einem Zehntel der Menge produzieren, die beim Angriff eingesetzt worden sei.

Auch ein Zehntel von 50-100 Gramm wären noch um das Hundertfache mehr als die Menge, die der OPCW-Sprecher abschätzte, der eben auch davon sprach, dass man sie nicht einmal abschätzen, geschweige denn näher bestimmen kann. Die enorme Diskrepanz könnte vermuten lassen, dass der OPCW-Direktor andere Länder aus dem Verdacht nehmen wollte.

So hatte der (russlandfreundliche) tschechische Präsident Milos Zeman erklärt, auch in seinem Land seien kleine Mengen an Nowitschok produziert und getestet, aber dann vernichtet worden. Da die Formeln von Nowitschok veröffentlicht wurden, haben vermutlich auch andere Länder das Nervengift hergestellt, um es testen und abwehren zu können. Der Chef des britischen Militärlabors hatte die Frage nicht beantwortet, ob auch dort Nowitschok-Substanzen produziert wurden, er versicherte nur, solche Gifte hätten nicht aus dem Labor herauskommen können.

Warum die New York Times das Gespräch mit Ahmet Üzümcü gelöscht hat, bleibt im Dunklen. Er hatte gesagt, dass Proben von der Türklinke von Skripals Haus, von der Parkbank und einigen anderen Orten genommen worden seien. Für die Forschung oder zur Abwehr hätten 5-10 Gramm gereicht, "aber sogar in Salisbury sieht es so aus, als hätten sie mehr eingesetzt. Ohne die genaue Menge zu wissen, wurde mir gesagt, es könnten 50, 100 Gramm oder so gewesen sein, was über die Forschung zum Schutz hinausgeht."

Das russische Außenministerium griff die Behauptung des OPCW-Direktors schnell auf. So sagte die Sprecherin Maria Zakharova gestern, er habe eine "sensationelle Erklärung" gemacht: "Nach Schätzungen von Experten würden 50-100 Gramm eines Gifts wie das, auf das sich Großbritannien bezieht, ausreichen, um nicht nur zwei Menschen zu vergiften, sondern jeden in der Umgebung. Die zwei Menschen schafften es jedoch zu überleben und sich zu erholen, wie die britischen Behörden sagen."

Damit unterstellte er, es sei als militärische Waffe entwickelt worden, was wiederum suggeriert, dass es, wie die britische Regierung behauptet, nur aus Russland kommen konnte: "That quantity - a range from slightly less than a quarter-cup to a half-cup of liquid - is significantly larger than the amount that would be created in a laboratory for research purposes, meaning that it was almost certainly created for use as a weapon."

Die Korrektur der Behauptung des OPCW-Chefs durch die OPCW ist nicht nur peinlich für diesen, sondern stellt das Vertrauen in die Organisation in Frage. Das ist bedeutsam, weil sie auch gerade den angeblichen Giftgasangriff in Douma untersucht und gestern abgeschlossen hat, Ergebnisse liegen noch nicht vor, das könne noch vier Wochen dauern. Die USA, Großbritannien und Frankreich gingen bekanntlich davon aus, dass die Berichte der Weißen Helme vertrauenswürdig seien und hatten ohne die OPCW-Untersuchung oder andere Bestätigungen abzuwarten, aus politischem Kalkül syrische Ziele mit Raketen angegriffen. Zu welchem Ergebnis die OPCW für den Vorfall in Syrien auch immer kommen wird, so dürfte dies nun jeweils von der Seite, deren Interessen nicht bestätigt werden, in Zweifel gezogen werden.

Aufklärung wäre dringend geboten, aus welchen Quellen der OPCW-Direktor seine Behauptungen ableitete und aufgrund welcher Ergebnisse der OPCW-Sprecher dessen Aussagen widerlegte, was die NYT gleich veranlasste, den Artikel zu überschreiben, ohne allerdings eine Erklärung zu bieten. Nur auf Google-Suche lässt sich noch sehen, was offenbar verborgen werden soll:

Large Dose of Nerve Agent Used in Attack in Britain, Says Weapons ... https://www.nytimes.com/.../opcw-salisbury-novichok-skripal.html vor 3 Tagen - That quantity — a range from slightly less than a quarter-cup to a half-cup of liquid — is significantly larger than the amount that would be created in a laboratory for research purposes, meaning that it was almost certainly created for use as a weapon, the director general, Ahmet Uzumcu, said in an interview ...

Die Angelegenheit versinkt damit in dem Informationsnebel von alternativen und alternativlosen Fakten, der zumindest auch, wenn nicht hauptsächlich von den westlichen Staaten produziert wurde. Nachdem der Direktor offenbar von seinen Mitarbeitern widerlegt wurde, wäre es höchste Zeit, dass er sein Amt niederlegt und dass die Organisation die Fakten auf den Tisch legt, beispielsweise auch näher darüber aufklärt, wie es zu dem Befund von BZ gekommen ist.