Small Business Act: Vision oder Ablenkung?
Die EU-Kommission überrascht mit einem angeblichen Prioritätenwechsel: Statt der industriellen Riesen will sie den kleinen und mittelständischen Unternehmen nun den "roten Teppich ausrollen".
EU-Kommissionspräsident Josè Manuel Barroso mag es gern blumig und dabei schreckt er auch vor peinlichen Übertreibungen nicht zurück. Man wolle den Betrieben mit nicht mehr als 250 Beschäftigten, also den so genannten kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) den roten Teppich ausrollen, versprach er am Mittwoch in Brüssel. Dadurch sollen sich Kleinunternehmen entfalten können und die besten unter ihnen die Starthilfe für einen erfolgreichen Einstieg in die Weltmärkte erhalten.
Barroso sprach vor der Presse vom "Small Business Act", der dazu führen soll, dass künftig Verwaltungsbehörden stärker auf KMU-Bedürfnisse eingehen, Zahlungen ohne Verzug geleistet werden, mehr Unterstützung in Finanzierungs-, Innovations- und Bildungsfragen erbracht wird, die Mehrwertsteuersätze für lokale Dienstleistungen ermäßigt werden und der Zugang zu öffentlichen Aufträgen erleichtert wird. Zudem soll den Betrieben künftig die Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung erleichtert werden. Nach den Vorstellungen des Portugiesen soll dann die Gründung einer Europäischen Privatgesellschaft schon für einen Euro möglich werden.
Genau genommen reagiert die Europäische Kommission mit dem „Small Business Act“ auf die internationalen Bedingungen. So konnten zwar die deutschen Industrie- und Handelskammern jahrelang die ungeliebten Limited-Gründungen deutscher Unternehmer in Großbritannien verteufeln, doch letztlich mussten sie sich aufgrund des Europäischen Richterspruchs zur Rechtmäßigkeit solcher Insel-Gründungen geschlagen geben. Seither gründen die Deutschen auf der Insel die Ein-Euro-Gesellschaften mit beschränkter Haftung „auf Teufel komm raus“ – und der GmbH-Anteil am deutschen Markt brach im Gegenzug nahezu ein.
Sollte Barrosos 10-Punkte-Programm von den EU-Staatschefs tatsächlich abgesegnet werden, dann könnte dies aber eine Abkehr von der bisherigen Politik bedeuten, auch wenn die Beteuerungen bislang schon ein anderes Handeln versprochen hatten. Denn in der Vergangenheit drehte sich in der Europäischen Union fast alles nur um die Förderung der 14.000 industriellen Riesen. Bei der Beratung um Softwarepatente reichten ein paar Prozentanteile an Eingaben von Konzernen, um die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen mit der neuen Begriffsschöpfung einer "wirtschaftlichen Mehrheit" beiseite zu fegen. Und vor allem große Unternehmen kamen in den Genuss von Steuererleichterungen und nutzten die zahlreichen Förderprogramme, um auch den letzten möglichen Cent für etwaige Ansiedlungen in wirtschaftlich schwächelnden Regionen herauszupressen. Kleine Betriebe und Mittelständler hatten zumeist das Nachsehen. Wer sich wirklich durch den Förderdschungel wühlen will, der ist zumeist auf kostspielige Hilfe angewiesen. Nicht zuletzt sind die Originaltexte der Verordnung meist in französischer oder englischer Sprache verfasst. Die Kommission hat nicht einmal ihr vor Jahren abgegebenes Versprechen eingehalten, die wichtigsten Dokumente auch in der deutschen Amtssprache zu veröffentlichen.
Was soll man also von einer solchen Ankündigung Barrosos halten, die wirtschaftliche Grundrichtung zugunsten der Unternehmen ausrichten zu wollen, denen er nun eine Schlüsselrolle in der Wirtschaft zugesteht? Es ist nicht erst seit heute eine Tatsache, dass es in Europa rund 23 Millionen kleine und mittelständische Unternehmen gibt. Und auch der fachkundige Kommentar des Präsidenten der Europäischen Investitionsbank (EIB), Philippe Maystadt, dass das Wohlergehen und Wachstum der KMU „der Schlüssel zur künftigen Wettbewerbsfähigkeit Europas“ darstellt, dürfte eigentlich so neu nicht sein. Der Beitrag dieser Betriebe an der Wertschöpfung ist überproportional hoch und vor allem ihr „Gesundheitszustand“ entscheidet wesentlich darüber, wie sich die Statistiken zur Arbeitsmarktlage gestalten. Allein in den vergangenen Jahren haben die kleinen und mittelständischen Betriebe 80 Prozent der neuen Arbeitsplätze in der Union geschaffen. Die Riesen dagegen haben ihre Rationalisierungswelle noch immer nicht abgeschlossen, denen in den vergangenen Jahren Hunderttausende Arbeitsplätze zum Opfer fielen und noch immer fallen.
Maystadt dürfte zudem nicht entgangen sein, dass sich seit der Einführung der Basler Kriterien kaum noch etwas auf dem Finanzmarkt für investitionswillige KMU bewegt. Das gilt um so mehr für jene Betriebe, die auf lebenserhaltende Zwischenfinanzierungen angewiesen waren. Die Banken halten sich weiterhin zugeknöpft und verspekulieren sich lieber auf unsicheren Märkten, als dem Mittelstand zu helfen, sich auf den Füßen zu halten. „Der Markt allein ist nicht dazu in der Lage, den KMU ausreichende Finanzmittel zu vernünftigen Bedingungen bereitzustellen“, räumte auch der EIB-Chef ein, „insbesondere nicht für schnell wachsende innovative Unternehmen.“ Die EIB-Gruppe wolle daher versuchen, Lücken im Markt zu schließen, indem sie ihr Finanzierungsspektrum erweitert. Wie er das praktisch anstellen will, ließ Maystadt jedoch offen. Auch die Investitionsbank hat sich bislang bezüglich der Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen keinesfalls mit Ruhm bekleckert.
Der europäische „Small Business Act“ umfasst 10 Grundsätze, die auf höchster politischer Ebene eingeführt werden sollen, sowie konkrete Maßnahmen, die den Kleinunternehmen das Leben erleichtert sollen. Nach Konsultationen mit Unternehmen und ihren Vertretern will die Europäische Kommission außerdem in vier Bereichen, die für KMU besonders wichtig sind, neue Rechtsvorschriften vorschlagen. Demnach soll eine neue allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung die Verfahren für die Inanspruchnahme von staatlichen Beihilfen vereinfachen und Kosten sparen. Durch sie können KMU mehr staatliche Hilfen erhalten und sich leichter Mittel für Bildung, Forschung und Entwicklung, Umweltschutz und anderes erschließen.
Durch das neue Statut der Europäischen Privatgesellschaft (Société privée européenne - SPE) können in allen Mitgliedstaaten Europäische Privatgesellschaften gegründet werden, die nach denselben Grundsätzen arbeiten. Diese neue Art der Rechtsform wurde entwickelt, weil für grenzüberschreitend tätige KMU heutzutage sehr kostspielige Verpflichtungen bestehen: Sie müssen bislang in jedem Mitgliedstaat, in dem sie tätig werden wollen, Tochterunternehmen mit jeweils unterschiedlicher Rechtsform gründen. Die SPE würde in der Praxis bedeuten, dass für ein KMU ein und dieselbe Rechtsform ausreicht, gleichgültig ob es nur in seinem eigenen Mitgliedstaat oder auch in anderen tätig ist. Die Entscheidung für die SPE erspart den Unternehmern Zeit und Geld für Rechtsberatung, Management und Verwaltung, hoffen die Kommissare. Über die bereits bestehende Zusage hinaus, den Verwaltungsaufwand bis zum Jahr 2012 um 25 Prozent zu reduzieren, sollte der Zeitbedarf zur Gründung eines neuen Unternehmens eine Woche nicht überschreiten, hieß es. Die Höchstdauer zur Erteilung von Unternehmenslizenzen und -zulassungen sollte demnach nur noch einen Monat betragen. Außerdem sollen zentrale Anlaufstellen eingerichtet werden, die bei Neugründungen und Personaleinstellungen weiterhelfen.
Die Kommission kündigte zudem einen neuen Vorschlag über die Mehrwertsteuer an. Er soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit bieten, für lokal erbrachte Dienstleistungen ermäßigte Mehrwertsteuersätze zu erheben. Dazu gehören auch personalintensive Dienstleistungen, die hauptsächlich von kleinen und mittleren Unternehmen erbracht werden. Eine für 2009 vorgesehene Änderung der Richtlinie über Zahlungsverzögerungen soll dazu beitragen, dass die KMU künftig innerhalb der festgelegten Zahlungsfrist von 30 Tagen ihr Geld erhalten.
Bezüglich ihrer für kleine und mittlere Unternehmen extrem schädlichen Softwarepatentlegalisierungspolitik machte die Kommission dagegen keine Anstalten, ihre Position zu verändern. Im Gegenteil: Was von den bilateralen Verhandlungen über eine "Patentharmonisierung" mit den USA drang, ließ die Alarmglocken bei kleinen und mittleren Unternehmen in Europa jüngst erneut laut aufläuten.