Smartphone-Junkies gegen Festnetz-Telefonierer oder Die Verzwergung der Kultur
Oswald Spengler und die Feuchtgebiete V
Das Neue also. Empfindet man zeitgenössischen Film und Literatur deshalb als belanglos, weil man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht? Weil, während man auf den Inhalt starrt, ringsum die Bäume gefällt und der Wald umgebaut wird?
Es ist eine ziemlich raffinierte Angelegenheit, den Strukturwandel der Öffentlichkeit von den Inhalten zu trennen beziehungsweise diesen Strukturwandel derart in den Vordergrund zu stellen, dass er als solcher gar nicht mehr wahrgenommen wird, weil er allgegenwärtig ist. Wahrgenommen meint dabei, die Legitimität nicht aus der Praxis der neuen Öffentlichkeitsformen an sich abzuleiten, sondern auch die Inhalte miteinzubeziehen. Die Beziehung Form und Inhalt ist ja nicht beliebig, sondern, wie die Mediologie betont, bedeutungsgebend.
Das Neue also. Wo liegt der Unterschied des Twitter-Gewitters von Donald Trump zur normalen Verlautbarung über die Pressekonferenz des Weißen Hauses? Digital-Papst Sascha Lobo hat eine Antwort: "Das Dauerweltgeschehen, die ständigen Nachrichteneinschläge bewirken, dass der Kontext automatisch weniger wichtig wird. Die essenzielle, aber oft schwierig zu beantwortende Frage nach dem Warum gerät in den Hintergrund. Das führt zur Vereinzelung der nachrichtlichen Geschehnisse und zur Überforderung selbst für engagierte, sachkundige, digital versierte Beobachter."
Was wäre eigentlich, wenn Trump in der Lage wäre, statt der 14 Worte 14 Textseiten zu verfassen und sie - vielleicht abfotografiert - auf Instagram zu stellen?
Machen wir es konkret - wie wirkt sich das neue Medium (Internet & CO) auf die alten Medien und die Inhalte aus? Nun, man kann diese Auswirkung als Verzwergung der herkömmlichen Kulturvermittler wie dem Buch oder dem Film ansehen. Indem man diese Kulturvermittler aus ihrem analogen Sein bricht und sie digitalisiert, reduziert man sie auf binäre Codes und vernichtet damit ihre Einzigartigkeit. Im Netz gibt es keinen Unterschied zwischen dem Buch und dem Film mehr, sie sind gleichgestellt mit Werbung für Klopapier oder Hundefutter. Aus der Entität ist der Fluss geworden, der in der Belanglosigkeit mündet.
Eine weitere Auswirkung ist die Demokratisierung der Medien, das Geflecht und das Verhältnis zwischen Produktionskosten und umkämpfter sozialer Bedeutung ist im Prinzip aufgelöst. Wirkt die Digitalisierung in Richtung Verzwergung von Kultur, fördert die Demokratisierung die Verflachung. "Erklügelte Settings und Geschichten, Szenen und Plots, die nichts mit dem wirklichen Leben zu tun haben", kritisiert etwa der Schriftsteller Enno Stahl die zeitgenössische Literatur.
Und neu ist der ungefilterte Zugang der Leute zur Öffentlichkeit, ein drastisches Beispiel dafür sind Hass-Kommentare. Sie sind die verbale, internetbasierte Variante des Pogroms, geboren im fahlen Licht des Bildschirms und der häuslichen Einsamkeit. Selbst am krudesten Stammtisch gibt es noch die soziale Kontrolle in Form eines Stammtischbruders der schon mal sagt: "Jetzt reicht’s aber." Auch in öffentlichen Diskussionen wäre es schwer möglich, zu Hetzjagden aufzurufen, ohne dafür sanktioniert zu werden. Und selbst im Zwiegespräch ist eine zivilisatorische Bremse eingebaut, deren Loslösung nicht ohne Folgen bleiben würde. Diese Folgenlosigkeit aber ist der Freifahrschein für den Hass-Kommentator. Gleichwohl geht dieser Hass in das Leere beziehungsweise bleibt beim Hassenden, der ihn so nicht los wird, sondern nur konserviert.
Social media - das sind riesige Flugzeugträger, kommerzielle Plattformen, auf denen die Nutzer starten und landen, angeblich kostenlos, während unten im Maschineraum ihre Daten zu Geld gemacht werden. Sie prägen den (Luft)Raum der Kommunikation durch die Ausprägung ihrer Formate und ergeben zusammen eine neue Struktur. Das Neue aber zieht seine Bedeutung nicht wirklich aus der Neuheit, sondern dem mitverursachten Tod des Alten. Es ist paradox, dass AfD-Anhänger, die sich im Grunde von dem Neuen bedroht fühlen, übermäßig die netzbasierten Medien nutzen, um dies auszudrücken.
Die Frontverläufe sind unübersichtlich geworden
So sieht die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch die jetzige Gesellschaft als eine "Gesellschaft des Zorns". An der rechtspopulistischen beziehungsweise rechtsextremen Front versammelten sich mittlerweile ganz unterschiedliche Milieus, vom konservativen Bildungsbürger bis zum Hartz IV-Bezieher. Sie sind sich einig in der Ablehnung des Fremden und meinen damit ihr Nicht-mehr-Aufgehoben-Sein in der Welt. Sie sind die Opfer der Dampfmaschine Neoliberalismus, inernetbasierend und digital getrieben, die gerade ihre Wertvorstellungen, Arbeitsplätze und Selbstwertgefühl verdampft.
Der Medienwandel ist längst auch zu einem Kulturkampf geworden, zwischen den Modernisierungsgewinnern und den Modernisierungsverlierern: Kosmopoliten gegen die Sesshaften, Veganer gegen die Fleischesser, Netflix-Nutzer gegen die Tagesschau-Seher, Smartphone-Junckies gegen Festnetz-Telefonierer.
Manche, wie Kurzeck, krallen sich in der Vergangenheit ein, um nicht unter die digitalen Räder zu kommen. Die Belanglosigkeit zeitgenössischen Films und Literatur entspringt auch dem mächtigen Schatten der digitalen Welt, der auf sie fällt. Ihre Belanglosigkeit ist das Gegenstück zum postulierten Neuem, das freilich nur als Form sich zeigt und inhaltlich mittlerweile vor allem Selbstentblößung vorweisen kann.
"Was kann Otto Normalverbrauer auch kommunizieren?" fragt die Soziologin Elke Wagner, er sei ja weder Experte noch habe er die Ressourcen für Recherchen. So greife er auf das zurück, was er erlebt hat - eine hoch emotionale Kommunikation mit großer Reichweite.
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