"So groß ist das Misstrauen gegenüber den Medien nicht"
- "So groß ist das Misstrauen gegenüber den Medien nicht"
- "Der Druck, der auf den Medien lastet, ist auf jeden Fall durch die Kritik an ihnen stärker geworden"
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Interview mit dem Soziologen Oliver Decker über Medienmisstrauen und den Folgen für die Demokratie
"Polarisiert und radikalisiert? Medienmisstrauen und die Folgen für die Demokratie", so lautet eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die der Soziologe Oliver Decker ausgearbeitet hat. Decker, der Vorstand und Sprecher des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig ist, verweist mit seiner Studie auf einen Polarisierungstrend in der Gesellschaft: Einerseits, so die Erkenntnis aus der Forschungsarbeit, ist das Vertrauen in die Medien bei einem Teil der Bevölkerung hoch, andererseits misstraut ein anderer Teil der Bevölkerung den Medien aber grundlegend. Eines der Probleme: Das Vertrauen und Misstrauen gegenüber den Medien ist direkt an das Vertrauen in die politischen Institutionen gekoppelt.
Telepolis hat mit Decker über die Studie gesprochen. Im Interview sagt der Soziologe, dass die Bürger sich stärker in die Demokratie einbringen müssten. Decker sieht "den Ball" bei der Bevölkerung.
Herr Decker, zu welchen Befunden sind Sie in Ihrer Studie gekommen?
Oliver Decker: Das Interessanteste vorweg: Wir haben es nicht mit einem so breiten Glaubwürdigkeitsverlust der Medien zu tun, wie es bisweilen den Eindruck hat, wenn man die Demonstrationen von Pegida oder Veranstaltungen von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien sieht, wo von Lügenpresse und Fake News gesprochen wurde. Wir konnten mit unserer Studie feststellen: So groß ist das Misstrauen gegenüber den Medien nicht. Die Menschen glauben durchaus, dass Medien würdig sind, um sie als Informationsquellen zu nutzen.
Aber?
Oliver Decker: Es gibt eine Gruppe, die sehr deutlich der Berichterstattung nicht mehr glaubt. Wir stellen also fest: Es gibt tatsächlich eine Polarisierung der politischen Milieus. Eines der Probleme, das wir sehen, ist: Für diese Menschen, die grundsätzlich die Medien nicht mehr für glaubwürdig halten, gibt es auch keine alternativen Informationsmöglichkeiten.
Wie meinen Sie das? Es gibt doch das Internet.
Oliver Decker: Sicher. Aber es ist keinesfalls so, dass in den Augen derer, die ein großes Misstrauen gegenüber den Medien hegen, die Informationen aus dem Internet als zuverlässiger angesehen werden. Sie misstrauen sowohl den Medien als auch dem Internet.
Da kann man doch nur sagen: Prima! So sieht Medienkompetenz aus.
Oliver Decker: So könnte man es sehen. Aber dieses grundlegende Misstrauen bedeutet ein schwerwiegendes Problem für die Demokratie. Für die Demokratie gibt es bestimmte Funktionsvoraussetzungen. Das heißt: Demokratie findet statt, wenn die Menschen an ihr teilnehmen. Teilnehmen heißt: Die Menschen können sich sowohl äußern als auch Informationen empfangen, die auch für ihre politische Haltung von Bedeutung sind.
Nun ist es bei uns sicherlich so, dass die formalen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Nur: Wenn Menschen grundsätzlich nicht mehr den Informationen aus Medien Glauben schenken, dann gibt es keinen Ort mehr, an dem sie Informationen beziehen können. Diese benötigen sie aber, um an der Demokratie teilzuhaben.
Wir leben in einer Welt, in der die Komplexität der Ereignisse es nicht zulässt, dass man sich über alles selbst informiert. Es bedarf im Sinne der Demokratie ein bestimmtes Maß an Glaubwürdigkeit der Berichterstattung. Es ist wichtig, dass Menschen die Leistung der Medien, nämlich die Informationsverarbeitung und Reduzierung auf das Wesentliche, zumindest in einem gewissen Rahmen anerkennen, ihnen also glauben.
Ist dem nicht so - und das ist, wie ich angesprochen habe, bei einem bestimmten Teil der Bevölkerung der Fall - dann erstreckt sich das Problem auch auf das Funktionieren der Demokratie im Allgemeinen.
Wir haben in unserer Studie gezeigt, dass die Glaubwürdigkeit der Medieninformationen, auch an das Vertrauen in die gesellschaftspolitischen Institutionen gekoppelt ist. Anders gesagt: Diejenigen, die so grundsätzlich den Medien misstrauen, dass sie keiner Berichterstattung mehr Glauben schenken, sind auch diejenigen, die eine massive Legitimationskrise des politischen Systems erleben. Sie vertrauen also auch nicht mehr den politischen Institutionen.
"Ein Teil der Menschen wird nicht oder nicht ausreichend repräsentiert"
Sie haben gerade gesagt, es sei wichtig für die Demokratie, dass Menschen an ihr teilhaben. Also auch zu Wort kommen, sich äußern können. Dieses Sich-Einbringen kann auf verschiedenen Wegen erfolgen, das heißt direkt oder indirekt, etwa durch diejenigen, die ihre Meinungen und Interessen repräsentieren. Da wären dann beispielsweise Politiker anzuführen, aber eben auch die Medien. Wird an der Stelle nicht genau das Kernproblem deutlich, über das wir hier reden? Nämlich: Sowohl die Repräsentanten auf politischer Ebene, die die Interessen aller Menschen im Land vertreten sollten, als auch die Medien und Journalisten, deren Aufgabe es ist, das Meinungsbild, das sich in einer Gesellschaft findet, abzubilden, versagen bei diesen Aufgaben. Politiker regieren faktisch - nicht gefühlt - über Teile der Bürger hinweg. Medien veranschlagen eine Berichterstattung, die faktisch - nicht gefühlt - bestimmte Meinungen und Ansichten von Bürgern ausklammert, weil sie ihnen nicht ins Bild passen. In so einer Situation ist doch die Vertrauenskrise sowohl in die Medien als auch in die politischen Institutionen vorprogrammiert.
Oliver Decker: Ja, wir müssen tatsächlich feststellen, dass ein Teil der Menschen nicht oder nicht ausreichend repräsentiert wird. Das ist das Grundproblem. Das Internet hat scheinbar die mit ihm verbundene Hoffnung nicht erfüllt, ohne Reglementierung Gehör zu verschaffen. Menschen, die nicht im öffentlichen Meinungsbild repräsentiert sind, glauben auch diesem Medium nicht.
Aber es kommt noch etwas hinzu. Die Lösung der hier diskutierten Probleme liegt nicht nur darin, Bürgern in den Medien die Möglichkeit zu geben, ihre politischen Positionen zu artikulieren. Die Bürger und Rezipienten müssen die Aufgabe, an der politischen Willensbildung im Land teilzunehmen, auch selbst angehen.
Was aber doch auch passiert.
Oliver Decker: Zum Teil, ja. Es gibt diese kritische Öffentlichkeit. Es gibt allerdings auch diejenigen, die ich gerade schon erwähnt habe, nämlich Bürger, die ihre Aufgabe bei der Rezeption verleugnen. Sie behaupten, es gibt nur eine Wahrheit - nämlich ihr Interesse. Und wenn über diese berichtet würde, sei alles gut.
Ich möchte nochmal auf die Repräsentation zurückkommen. Es ist doch nicht falsch zu sagen, dass die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht oder nicht ausreichend genug im Parlament vertreten sind.
Oliver Decker: Das muss man auch kritisieren. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn jemand das Parlament als "Quasselbude" bezeichnet, weil es überhaupt keine unterschiedlichen Interessen gibt. Es gilt zu verstehen, dass in einem Parlament wie in der Gesellschaft sehr wohl unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen und um unterschiedliche Ideen, Standpunkte usw. auch gestritten wird. Das ist Demokratie. Wer nur seine Wahrheit, gar den einen Volkswillen im Parlament vertreten sehen möchte, der hat eine andere Vorstellung davon, wie eine demokratische Gesellschaft funktioniert.
Wir haben es mit einer ziemlich verfahrenen Situation zu tun, oder? Eine einfache Lösung scheint es keine zu geben.
Oliver Decker: Das stimmt. Ich neige allerdings dazu den Ball im Feld der Bevölkerung zu sehen. In Zeiten, in denen es eine breite und kritische demokratische Öffentlichkeit gibt, haben es auch kritische Journalisten in den Medien leichter. Medien und Journalisten brauchen, wie das Parlament, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Bürger.
Meine Forderung lautet daher: Wenn uns die Demokratie wichtig ist, dann müssen wir auch an ihr teilnehmen und uns durch die Artikulation unserer Interessen einbringen. Und das ist möglich. Da möge sich bitte auch mal jeder und jede selbst kritisch überprüfen, wozu er und sie sonst Zeit aufwendet.
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