So schaut Russland auf die Nato
Medien hierzulande schildern Russland oft als Bedrohung; dort erweckt die Nato auch in regierungskritischen Medien ebenso Befürchtungen
Groß war der Protest in der Nato, als Russland in der eigenen Grenzregion zur Ukraine Truppen zusammenzog, während es im benachbarten Donbass Spannungen und auf beiden Seiten vermehrte Waffenstillstandsbrüche gab. Das Misstrauen gegenüber Russland erzeugte vor allem bei transatlantisch gesinnten Politikern und Medien Angst vor einem Angriff.
Russland schaukelt von Spannung zu Entspannung
Als die für den Westen so besorgniserregenden russischen Grenzmanöver zu Ende gingen, wurde dies von vorsichtigen Zeichen der Entspannung aufseiten Russlands flankiert. Putins "Rede an die Nation" ("Botschaft an die Föderalversammlung") am 21. April enthielt entgegen der Auslegung vieler "Kreml-Astrologen", die darauf besonders achteten, kaum harte Signale nach außen oder Ankündigungen harter Maßnahmen.
Der diplomatische Krieg mit Tschechien wurde bei einer Parität der verbliebenen Botschaftsmitarbeiter gebremst, Selensky nach Moskau eingeladen, Nawalny wurde wegen seines Gesundheitszustands in ein Zivilkrankenhaus überführt, bei einer Solidaritätskundgebung für ihn in Moskau blieb die zuvor harte Reaktion der Sicherheitskräfte aus.
Der liberale russische Analyst Alexander Baunow vom Moskauer Ableger des US-Think-Tanks Carnegie sieht ein Muster hinter den genannten, auf Deeskalation ausgerichteten Gesten des Kreml und hält es auch nicht für Zufall, dass es sich durchweg um Maßnahmen handelt, die schnell wieder ins Gegenteil verkehrt werden können und in eine Eskalation umgemünzt. Moskau verwende das Spiel von Spannung und Entspannung als wichtiges außenpolitisches Instrument, so Baunow, der von einer "russischen Schaukel" spricht.
Fokus der Nato auf Abschreckung durch Aufrüstung
Der Westen und die Nato schaukeln dagegen nicht. Sie setzen, wenn es um Russland geht, eher konstant auf eine dauerhafte, waffenstarrende Abschreckungsstrategie. Dabei ist man regelrecht gefangen im eigenen Bild "liberaler Demokratien, die sich gemeinsam gegen autoritäre Regime in der Welt aufstellen wollen", wie es Deutschlands Außenminister Maas am Rande eines G7-Treffens auf Twitter verbreitete. Mit autoritären Regimes ist Russland selbstverständlich mitgemeint.
Dabei blenden Maas und Co. aus, dass es in Russland nicht nur Regierungsvertreter sind, die großangelegte Militäraufmärsche direkt vo der russischen Grenze auch als Bedrohung sehen - und nicht etwa als Zeichen der Verteidigung von Menschenrechten. Auch regierungsunabhängige Medien wie die Moskauer Nesawisimaja Gaseta berichten mit misstrauischem Unterton davon, dass die Nato, nachdem sie zuvor russische Manöver in Osteuropa hart kritisiert hatte, danach selbst solche durchführte.
Neben Verstärkungen von Luftwaffeneinheiten im Baltikum erregt die Aufmerksamkeit der Zeitung vor allem das im März 2021 begonnene Großmanöver Defender Europe 2021. Ganz offen bezeichnet die Zeitung neue N-Geschwader in Estland, bei denen einige Flugzeugtypen auch mit Atomwaffen nachgerüstet werden können, als Bedrohung für strategische Objekte bis in die Tiefen der eigenen Landesverteidigung.
Eine wachsende Militärpräsenz vor ihren Grenzen betrachten Russen, ganz unabhängig von ihrer Meinung zur eigenen Regierungspolitik, mehrheitlich als wachsende Bedrohung, mögen die westlichen Politiker noch so viele Reden schwingen, dass all das nur der Abschreckung wiederum russischer Bedrohungen diene.
So ist der Eindruck eines Pulverfasses an der Nato-Ostfront durchaus ein gegenseitiger und russische Nato-Analysten haben im eigenen Land Hochkonjunktur. Wie Andrej Kortunow, Vorsitzender des Russischen Rates für Auswärtige Politik, dessen Analysen der westlichen Absichten gegenüber Russland aktuell in mehreren russischen Zeitungen zu lesen sind.
Kortunow hält die Nato als Bündnis aus der Zeit des Kalten Krieges für träge und unbeweglich. Russland werde auf Dauer der Hauptkonkurrent aus westlicher Sicht bleiben, obwohl in anderen Teilen der Welt Allianzen zur Lösung spezifischer Probleme flexibler geworden seien.
Wachsende Rolle der Europäer bringt keine Entspannung
Innerhalb der Nato sieht er - nach der Post-Trump-Versöhnung der USA mit der EU - die Rolle der Europäer stärker als früher. Eine traditionelle Ansicht in Russland, wonach Westeuropa mehr oder weniger ein Vasall der USA sei, hält er zwischenzeitlich für grob falsch. Die USA seien nach der Ära Trump zu großen Kurskorrekturen gezwungen gewesen, um das transatlantische Verhältnis wieder zu kitten.
Ein entspannteres Verhältnis zu Russland hat sich jedoch aufgrund dieser Kräfteverschiebung innerhalb des westlichen Bündnisses nicht ergeben. Zu laut sind auch in Europa die Stimmen der Befürworter einer harten Russlandpolitik wie im Baltikum und in Polen. Oder innerhalb Deutschlands in großen Medien oder bei Parteien wie den aufstrebenden und schon lange nicht mehr pazifistischen Grünen.
So sei das Verhältnis zwischen der Nato und Russland einerseits von einer verkrusteten Gegnerschaft geprägt, andrerseits gebe es innerhalb beider Fronten Bewegung meist in eine gefährliche Richtung. Scharfe Töne der einen Seite können die Falken der gegnerischen in eine stärkere Position bringen.
Durchbrechen ließe sich diese fatale Beziehung, die zu gefährlichen Situationen führen kann, nur, wenn beide Seiten häufiger auch die Perspektive der jeweils anderen verstehen würden. Sich ständig darin zu bestärken, wie sehr man selbst im Recht und wie gefährlich die andere Seite ist, davon gab es in jüngster Zeit wahrlich genug.