Soll 40 das neue 20 sein?
Macher von "Tatort Internet" und ihre möglichen Motive
Die letzte Woche vorzeitig gestartete Fernsehserie "Tatort Internet" unterscheidet sich von anderen Reality-TV-Produktionen dadurch, dass die Sprecher und Akteure immer wieder betonen, explizit auf eine Gesetzesänderung hinzuarbeiten. Dabei bleibt bemerkenswert unscharf, wie diese Gesetzesänderung genau aussehen soll.
Denn das Anbahnen von sexuellen Kontakten zu Dreizehnjährigen, um das es in den bisher gezeigten Fällen vornehmlich ging, ist in Deutschland bereits nach § 176 StGB und anderen Vorschriften strafbar. Allerdings konnte man durchaus den Eindruck bekommen, dass das Produktionsteam diese Rechtslage verschleiern wollte. Weil das Verfahren etwa im Fallbeispiel "Mandy" aufgrund einer - für alle Delikte geltenden - prozessualen Zusammenfassungsregelung eingestellt wurde, tat man so, als ob die Tat gar nicht strafbar wäre.
Im Mandy-Beitrag beschlich den Zuschauer zudem der Verdacht, dass der SMS-Stalker womöglich nicht das größte Problem im Leben des jungen Mädchens ist. Tatsächlich bekam man, wenn man ihre Mutter sah und reden hörte, den Eindruck, dass der Serienuntertitel "Schützt endlich unsere Kinder!" am besten dadurch umgesetzt wird, dass man solchen Eltern das Sorgerecht entzieht, noch bevor sie ihrem Nachwuchs einen Namen geben oder einen Vertrag mit einem Fernsehsender oder einem Produktionsteam unterschreiben können, in dem sie Persönlichkeitsrechte ihrer Sprösslinge abgeben.
Bei schlichteren Gemütern, erweckte die Serie offenbar den Eindruck, dass einer Chat-Gefährdung von Kindern dadurch abgeholfen werden könne, dass der Aufbau einer Zensurinfrastruktur, wie sie seit Jahren mit dem Schlagwort "Kinderpornografie" geordert wird, hier Abhilfe schaffen würde - was bei keinem der geschilderten Beispiele der Fall gewesen wäre.
Tatsächlich wird dieser Aufbau einer Zensurinfrastruktur, gegen den die FDP vor der Bundestagswahl 2009 werbewirksam opponierte, derzeit über eine EU-Richtlinie betrieben. Die regelt nicht nur die Einführung von Websperren gegen "Kinderpornografie", sondern definiert "Kinder" als alle Personen unter 18 Jahren. Darüber hinaus sollen auch Volljährige, die auf Fotos wie Minderjährige wirken, als "Kinder" gelten und der Besitz von Nacktfotos, auf denen sie posieren, als "Kinderpornografie" geahndet werden.
Auch in "Tatort Internet" verwendet man konsequent Formulierungen wie "Kinder von 12 bis 18". Berücksichtigt man, dass nach einer in der Zeitschrift Emma geäußerten Auffassung der Serien-Hauptfigur Beate Krafft-Schöning "die elf-, zwölf-, dreizehn-Jährigen [...] heute [...] wie zwanzig aussehen", dann muss man zu dem Ergebnis kommen, dass diese Gesetzesänderung durch die inflationäre Umdefinition von Kinderpornografie als Nacktfotos von Zwanzigjährigen mit voll entwickelten Geschlechtsmerkmalen den Besitz von Mainstream-Pornografie zu einem potenziellen Risiko machen würde. Ungefährlich wären dann lediglich Genres wie "Cougar" oder "MILF", die heute nur ein kleineres Special-Interest-Publikum interessieren.
Warum aber sollte es jemand darauf anlegen, den Besitz von Nacktfotos von Zwanzigjährigen zu kriminalisieren? Hier lässt sich nur spekulieren. Seltsam ist in jedem Fall, mit wie viel offensichtlicher Lust Krafft-Schöning in ihrer Serie zur Sache geht. Ihr Umgang mit Möchtegern-Täter erinnert an die Supernanny, Dieter-Bohlen und Oswald Rothaug. Und der Zuschauer bekommt das Gefühl, dass hier eine ganze Menge an angestauter Wut zum Vorschein kommt, die sich kaum auf die Fürsorge für die von ihr erfundenen triebhaft chattenden Dreizehnjährigen zurückführen lässt.
Die Verabschiedung der EU-Richtlinie in ihrer geplanten Form heißt wahrscheinlich nicht, dass alle Nacktfotos von Zwanzigjährigen konsequent verschwinden (was gerade auch die RTL-Sendergruppe treffen würde), sondern eher, dass sich ein relativ großer Spalt zwischen der Realität und der Rechtslage auftut, der bei Bedarf auch zum Aushebeln rechtsstaatlicher Schutzmaßnahmen genutzt werden könnte. Besonders bedenklich wirkt diese Möglichkeit, wenn man sich vor Augen führt, wer "Tatort Internet" moderiert: Udo Nagel wurde nämlich nicht nur vom später beim mutmaßlichen Konsum von Kokain gefilmten Ronald Schill zum Hamburger Polizeipräsidenten ernannt, sondern saß auch von 2008 bis vor Kurzem in der Führung der Prevent AG, einer Firma, gegen die nach Berichten des Spiegel, der Hamburger Morgenpost und der Financial Times deutschland US-Polizeibehörden ermitteln, weil sie den Eindruck gewannen, dass das Unternehmen dem unliebsam gewordenen Mitarbeiter eines Klienten Kinderpornografie unterschob. Prevent bestreitet die Vorwürfe bislang - allerdings wenig konkret und in der eher abstrakten Formulierung, dass sich die Firma an "Recht und Gesetz" halten würde.
Im zum Bertelsmann-Rechteinhaberimperium gehörigen Sender RTL2 gibt es ein potenzielles geschäftliches Interesse am Aufbau einer Zensurinfrastruktur: Christian Engström, einer der beiden Abgeordneten der schwedischen Piratenpartei im EU-Parlament, veröffentlichte bereits 2007 eine Warnung vor dem Zynismus der Rechteinhabernidustrie, der zufolge Kinderpornografie ganz bewusst zum Aufbau einer Zensurinfrastruktur eingesetzt wird.
Damals hatte die US-Handelskammer in Stockholm ein Seminar unter dem Titel "Sweden - A Safe Haven for Pirates?" veranstaltet, zu dem sich auch Engström, der Pirateparti-Gründer Rick Falkvinge und der Bürgerrechtler Oscar Swartz Zugang verschafften, wodurch sie den Vortrag eines von Engström namentlich genannten Vertreters einer dänischen Rechteinhaber-Lobbyorganisation hören konnten, der unter anderem Folgendes von sich gegeben haben soll:
Kinderpornografie ist großartig. Sie ist großartig, weil Politiker Kinderpornografie verstehen. Indem wir diese Karte ausspielen, können wir sie zum Handeln und zum Blockieren von Websites bringen. Und wenn sie das erst einmal gemacht haben, dann können wir sie dazu bringen, Filesharing-Sites zu blockieren.
Zuerst, so die Taktik der Lobbyorganisation in Engströms Schilderung, müsse man sich Politiker ohne zu viel Ahnung suchen, die sich als tatkräftig profilieren wollten und sich nicht darum kümmerten, dass die propagierten Sperren sich in wenigen Sekunden ohne Fachkenntnisse umgehen ließen. Denn in diesem Stadium des Plans geht es nur darum, in der Politik und der Öffentlichkeit durchzusetzen, dass sie eine Zensurinfrastruktur in Form von Filtern akzeptiert. Erst dann folgt der nächste Schritt: Die Nutzung dieser Infrastruktur für andere Inhalte, die der Rechteinhaberindustrie nicht ins Geschäftsmodell passen. Bei Schritt 3 fällt der Medienindustrie schließlich öffentlich auf, was sie eigentlich schon vorher wusste: dass die Filter sehr leicht zu umgehen sind, weshalb sie nun für eine umfassendere und härtere Überwachung wirbt. Die könnte beispielsweise in einer Deep Packet Inspection (DPI) bestehen, einer Inhaltsüberprüfung, wie man sie derzeit in Großbritannien testet, das neben Dänemark und Italien eines der EU-Länder ist, in dem bereits eine Zensurinfrastruktur aufgebaut wird.
In Dänemark wird in diesem Rahmen unter anderem die Filesharing-Site The Pirate Bay (TPB) blockiert. Auch in Schweden plante die Polizei laut Engström 2007, den Webauftritt klammheimlich in eine Sperrliste mit angeblich kinderpornografischen Inhalten zu packen. Dabei machte sie sich nicht einmal die Mühe, vor der Aufnahme jemanden von The Pirate Bay mit dem Vorhaben zu konfrontieren. Allerdings wäre das auch insofern wenig zielführend gewesen, als sich herausstellte, dass die Behörden keinen einzigen Fall von via TPB zugänglich gemachter Kinderpornografie nennen konnten. Möglicherweise, so mutmaßt Engström, wollte man neben der bloßen Unzugänglichmachung der Seite auch einen "Schuld-Assoziations-Link" zwischen Kinderpornografie und Filesharing herstellen - was aber nicht klappte, weil die Liste vorher an die Öffentlichkeit drang und das Vorhaben darauf hin aufgegeben wurde.
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