Somalia versinkt im Bürgerkrieg
Seit der Invasion Äthiopiens 2006 entwickelte sich die "Union der Islamischen Gerichte" zu einem facettenreichen Bündnis verschiedener islamischer und islamistischer Gruppierungen
Somalia steht nicht im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, obwohl dort ein blutiger Bürgerkrieg geführt wird. Seit Dezember 2006 gab es rund 12.500 Tote und 25.000 Verwundete, knapp eine Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Sollte der bewaffnete Konflikt nicht bald enden, erwartet das Land am Horn von Afrika eine Hungerkatastrophe.
Am vergangen Dienstag starben 47 Menschen bei Kämpfen in Somalia. 11 in Mogadischu, 36 in Mataban, 410 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Am Montag wurden fünf Angestellte einer italienischen NGO gekidnappt. Am Sonntag kaperten Piraten ein somalisches Schiff in der Nähe des Hafens von El-Maan, unweit von Mogadischu. Drei Deutsche sind in der Gewalt der Piraten, die sich in den Wäldern der Puntland Region, in der Nähe des Golfs von Aden, verstecken. Die zunehmend Piraterie an der Küste Somalias veranlasste sogar den UN-Sicherheitsrat, Maßnahmen dagegen zu unternehmen. Seit Juni dieses Jahres können fremde Kriegschiffe auch in somalischen Hoheitsgewässern auf Piraten Jagd machen.
In Somalia herrschen Zustände wie einst in den Jahren nach dem Fall des Diktators Mohamed Said Barre 1991. Fast 16 Jahre lang war das Land am Horn von Afrika ein einziges Desaster ohne jede Zentralregierung. Somalia lag in der Hand von „Warlords“, die unterschiedliche Gebiete kontrollierten und darin machen konnten, was sie wollten. Ein Land, in dem das Recht des Stärkeren galt, ein Horror für die Zivilbevölkerung, der an unzähligen Straßensperren „Wegzoll“ von oft minderjährigen und unberechenbaren Milizsoldaten abkassiert wurde. Damit war es auch noch nicht zu Ende, als das somalische föderale Übergangsparlament im Oktober 2004 Abdullahi Yusuf Ahmed zum Präsidenten wählte.
Erst als die „Union der Islamischen Gerichte“ (ICU) im Juni 2006 die Kontrolle über die Hauptstadt Mogadischu übernahm, endete das Chaos und die Willkür der „Warlords“. Es gab keine Straßensperren mehr, die Menschen konnten ihre Häuser verlassen, ohne Gefahr zu laufen, ausgeraubt oder getötet zu werden. In Somalia schienen sich nach eineinhalb Jahrzehnten Gesetzlosigkeit nun stabile Verhältnisse zu entwickeln.
US-Interessen hinter Invasion
Für die USA war und ist die ICU, die in Somalia einen islamischen Staat errichten will, ein Verein von Terroristen. Ihre kämpferische, radikal anti-westliche und anti-imperialistische Agenda passt sehr gut zum erklärten Krieg der USA gegen den Terror. Aber es gibt möglicherweise auch ökonomische Gründe: Die ICU als mögliche Regierungspartei würde nie und nimmer die Verträge mit den US-Firmen Concon, Amoco, Chevron und Phillips anerkennen, die ihnen den Zugang zu den auf 200 Milliarden Kubikmeter geschätzten Gasvorkommen und den Erdölreserven zusichern. Verträge, die noch unter dem Diktator Mohamed Said Barre ausgehandelt und von der Regierung unter Präsident Abdullahi Jussuf Ahmed abgesegnet.
Im Dezember 2006 begann die Invasion durch die Truppen Äthiopiens. Die Soldaten der ICU stellten sich der militärischen Übermacht aus dem Nachbarland nur sporadisch entgegen und bevorzugten den Rückzug. Logistisch wurde Äthiopien durch die USA unterstützt, die seit Jahren äthiopische Truppen ausgebildet hatten. Die Invasion bezeichnete ein US-Offizieller als „Blitzkrieg“.
Nach der erfolgreichen Besetzung Somalias griff das US-Militär jedoch mehrfach selbst aktiv ein. Ziel waren vermeintliche Basen von Al Qaida-Mitgliedern oder anderer islamistischer Kämpfer. Im Frühjahr 2007 fanden gleich mehrere Angriffe, bei denen es jeweils hohe ‚Kollateralschäden’ an Zivilisten gab. Raketen wurden von Unterseebooten und Kampfflugzeugen abgeschossen, aber US-Spezialkommandos der Task Force 88 operierten auch am Boden in Somalia, um geheime Operationen auszuführen. http://www.nytimes.com/2007/02/23/world/africa/23somalia.html
Unterstützung der somalischen Opposition kommt von Eritrea, das sich nach einem Krieg mit Äthiopien (1997-2000) noch immer in Grenzstreitigkeiten mit dem ungeliebten Nachbarn befindet. Der Kampf der ICU gegen die ausländische Besatzungsmacht in Somalia ist ein willkommener Anlass, Äthiopien so weit wie möglich zu destabilisieren. Eritrea lieferte Waffen in großer Anzahl nach Somalia und bietet islamistischen Führern, die auf der Abschussliste der USA stehen, Asyl. Selbst auf die Gefahr hin, von den USA auf die Liste der Länder gesetzt zu werden, die Terrorismus unterstützen. Aufgrund der Waffenlieferungen setze der UN-Sicherheitsrat eine Kommission ein, die das erklärte Waffenembargo Somalias überwachen soll.
Ohne den Abzug der äthiopischen Truppen wird in Somalia kein Frieden zustande kommen
Angesichts der andauernden Kämpfe, der steigenden Zahl von Toten, den 900.000 Flüchtlingen und der Zuspitzung der Nahrungskrise, die Millionen von Menschen sowohl in Somalia, Eritrea und Äthiopien erfasst, entschieden sich Opposition und Regierung zu Friedenverhandlungen. Am 9. Juni unterzeichneten die Föderale Übergangsregierung Somalias (TFG) und die Allianz für die Wiederbefreiung Somalias (ARS) in Djibuti ein Abkommen, das den Abzug der äthiopischen Truppen nach 120 Tagen vorsieht. Vorausgesetzt, dass bis dahin eine adäquate Friedentruppe der Afrikanischen Union in Somalia stationiert ist.
Der Führer der ICU, Sheik Sharif Sheik Ahmed, hatte die Vereinbarung ausgehandelt. Nur vertritt er nicht alle Interessen der ARS. Seit der Invasion Äthiopiens 2006 entwickelte sich die Allianz zu einem facettenreichen Bündnis verschiedener islamischer und islamistischer Gruppierungen. Einige Vertreter der Opposition nannten Sheik Ahmed sogar einen Verräter an der Sache Somalias. Zu den vehementesten Kritikern des Friedensabkommens zählt Sheik Hassan Dahir Awey, ein islamischer Geistlicher, der von den USA beschuldigt wird, Beziehungen zu Al Qaida zu haben.
Eine andere Organisation, die den Friedensvertrag ablehnt, ist Al Shabaab (Jugend), eine radikal militante Organisation. Anfänglich war sie der bewaffnete Arm der ICU und säuberte die Strassen Somalias von kriminellen Banden und Warlords. Mittlerweile hat sich ‚Jugend’ jedoch abgespalten und verfolgt einen kompromisslosen Weg. Ihr Chef und Gründer war Adan Hashi Ayro. Im Mai 2008 wurde er durch einen US-Raketenangriff getötet. Er soll, wie viele andere Mitglieder von Al-Shabaab auch, in Afghanistan ausgebildet worden sein. In Somalia will die ‚Jugend’ das islamische Recht der Sharia einführen, entsprechend dem Vorbild der afghanischen Taliban.
Nach der Niederlage beim Einmarsch der äthiopischen Truppen formierte sich Al Shabaab neu, führte Guerilla-Aktionen wie die Aufständischen im Irak und Afghanistan durch und erlangte zeitweise Kontrolle über Gebiete in Süd- und Zentralsomalia. Im Juni dieses Jahres sollen sie versucht haben, den Präsidenten Abdullahi Yusuf zu ermorden.
Als die USA im Februar 2008 Al Shabaab auf die Liste ausländischer Terroristengruppen setzte, betrachtete man das bei der Organisation als Triumph. „Wir fühlen uns geehrt, in die Liste aufgenommen worden zu sein“, sagte Muktar Robow, einer ihrer Führer. „Wir sind gute Moslems und die Amerikaner sind Ungläubige. Wir sind auf dem richtigen Weg.“
Möglichst noch im Juli soll ein Treffen aller somalischer Oppositionsgruppen im Jemen stattfinden, um eine gemeinsame Linie zu finden. Sheik Sharif Sheik Ahmed von der ICU hat dafür die Genehmigung der jemenitischen Regierung erhalten. Von diesem Treffen wird abhängen, wie es in Somalia weiter geht. Eines ist dabei sicher: Ohne den kompletten Abzug der äthiopischen Truppen wird es keinen Frieden geben.