Spanien: Großer Aufschrei zur Verteidigung des öffentlichen Gesundheitswesens

Demonstration in Donostia-San Sebastián, am 25.02. 2023. Ganz rechts am Transparent von SOS Bidasoa, der Interviewpartner Manel Ferran

Aufstand der Millionen: Streiks des Personals und große Demonstrationen gegen Privatisierung und Demontage des Gesundheitssystems. Ärzte beklagen schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung.

Es geht ein großer Aufschrei zur Verteidigung des öffentlichen Gesundheitswesens durch den gesamten spanischen Staat. Streiks gehen weiter und neue Riesen-Demonstrationen sind geplant. Die Speerspitze in diesem Kampf ist die Hauptstadtregion um Madrid, wo es seit Langem zu Protesten und Streiks kommt. Dort wird der neoliberale Kurs seit Jahrzehnten exekutiert.

Seit drei Monaten streiken dort Beschäftigte im Gesundheitswesen immer wieder, neue Streiktage und neue Großdemonstrationen sind angesetzt. Denn die weiter fortschreitenden Privatisierung blutet das Gesundheitswesen immer stärker aus. Das geht vor allem zulasten der primären Gesundheitsversorgung.

Seit Jahren formiert sich vor allem in Madrid erneut eine starke Bewegung gegen die Missstände in der Hauptstadtregion.

Die waren während der Corona-Pandemie im spanischen Zentrum besonders krass aufgebrochen. Madrid erhielt in Europa 2020 den traurigen Titel, die Stadt mit der höchsten Übersterblichkeit gewesen zu sein.

"Das ist keine Krise, sondern eine Katastrophe", berichteten die Beschäftigten auch gegenüber Telepolis.

Über die unglaublich unmenschlichen Zustände und "danteske Szenen", dass man alte Menschen, die über keine Privatversicherungen verfügten, in der Hauptstadtregion einfach zum Sterben in Alten- und Pflegeheimen zurückließ, hatte Telepolis ausführlich berichtet.

Die "weiße Flut"

Die neue Bewegung im Gesundheitswesen knüpft an die "marea blanca" (weiße Flut) an, die sich als Folge der rigiden Sparmaßnahmen im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 gebildet hatte.

War die Bewegung zunächst klar in der Hauptstadtregion verortet, hat sie sich längst ins gesamte Land ausgebreitet. Das haben auch die großen Demonstrationen am Samstag in den drei baskischen Metropolen Bilbao, Donostia (San Sebastian) oder Gasteiz (Vitoria) gezeigt, an denen Zehntausende Menschen teilgenommen haben.

Auch hier im Baskenland ist der Unmut groß. Dabei rühmt sich die Regionalregierung weiter, über das beste Gesundheitssystem im ganzen Land zu verfügen, da hier überdurchschnittlich viel Geld ausgegeben wird. Bisweilen behauptet die von der christdemokratischen Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) und den spanischen Sozialdemokraten (PSOE) geführte Regierung sogar großmäulig, über das weltweit beste Gesundheitswesen zu verfügen. Dass davon keine Rede sein kann, wird weiter unten klar.

Riesige Proteste

In der Hauptstadtregion Madrid hat der Unmut solche Ausmaße angenommen, dass sich an einem Sternmarsch kürzlich etwa eine Million Menschen beteiligt haben, wie auch die Deutsche Welle (DW) berichtet hat. Die titelte, dass sich Madrid angeblich gegen einen "Ärztemangel" erhebt.

Das ist jedoch eine nur sehr verkürzte Darstellung. Mehr als 800.000 Bewohner der Hauptstadtregion, wo knapp sieben Millionen Menschen leben, hätten in ihren Gesundheitszentren aufgrund des Personalmangels keinen Hausarzt zugewiesen, wird kritisiert. Freie Arztwahl gibt es in Spanien ohnehin nicht. Die Kürzungen zerstören die öffentliche Gesundheitsversorgung, wird weiter angeführt.

Auch die Tagesschau hatte berichtet, doch die stellt die absurden Zahlen der angegriffenen rechten Regionalregierung unter Isabel Díaz Ayuso in den Vordergrund. Demnach sollen sich an dem Protest "nur" 250.000 Menschen beteiligt haben.

Dabei räumt sogar Ayuso (die kein Problem damit hat, wenn man sie und ihre Volkspartei (PP) als "Faschisten" bezeichnet) ein, dass die Zahl noch einmal deutlich gestiegen ist.

Allerdings wird in dem Artikel wenigstens angemerkt, dass die Demonstranten "der Regionalregierung vorwerfen, private Gesundheitseinrichtungen zu bevorzugen, statt mehr Ressourcen in das öffentliche System zu stecken". Das trifft die Realität besser.

Es war nicht der erste riesige Protest. Schon im November hatten sich sogar nach Ayuso-Angaben an einer ersten Großdemonstration 200.000 Menschen beteiligt. Nach realistischeren Angaben der Veranstalter beteiligten sich aber fast 700.000 an dem "Aufstand gegen Ayuso".

Dass sich der Kampf längst gegen deren PP richtet, die sich auch gerne auf die rechtsextreme VOX stützt, ist Ayusos Vorgängerin Aguirre klar. Die in etliche Korruptionsskandale verstrickte Esperanza Aguirre meint, die Opposition benutze das Gesundheitssystem als "Waffe", um von der "peinlichen Situation" abzulenken, in der sich die sozialdemokratische Zentralregierung befindet.

Rechte Ultras und der Politikwechsel in Madrid

Tatsächlich war das Gesundheitswesen aber nur der Kristallisationspunkt in Madrid, um gegen die gesamte neoliberale Politik der Rechten auszustehen. Immer mehr Menschen wollen die rechten Ultras und ihre Politik, die mit massiver Korruption einhergeht, endlich loswerden. Natürlich nutzt auch die PSOE diesen Protest als Ablenkungsmanöver, das ist aber zweitrangig.

Eigentlich wäre ein Politikwechsel in Madrid längst möglich gewesen, hätte die Koalition aus PSOE und Podemos in Zentralregierung ihre Versprechen auch eingelöst. Doch gesetzt wird vor allem auf Propaganda, Light-Reförmchen und Brüchen von Wahlversprechen.

Deshalb stürzten die beiden Regierungsparteien bei den vorgezogenen Neuwahlen im vergangenen Jahr in Madrid ab, vor allem wegen geringer Wahlbeteiligung. Dazu kam die Zerstrittenheit der Linken. Wäre die gemeinsam und nicht in Kampfkandidaturen gegeneinander angetreten, könnten die neoliberalen Ultras in Madrid längst nicht mehr regieren.

Die Kampfkandidatur des ehemaligen Podemos-Chefs Pablo Iglesias gegen "Más Madrid" (Mehr Madrid) und seine ehemaligen Genossen bescherten ihm aber nur das politische Ende.

Da im Mai aber Kommunalwahlen und erneut Regionalwahlen stattfinden, nimmt die Bewegung nun Anlauf, um die Rechte endlich zu vertreiben.