PR-Coup in Spanien: Aus für Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel

Sánchez' Krisenpaket gegen Teuerungswelle wird in deutschen Medien hochgelobt. Spanier sehen das anders. Fleisch und Fisch sind ausgenommen. Der allgemeine Konsum geht zurück; die Kaufkraft auch. Um soziale Gerechtigkeit geht es nicht.

Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez stellt derzeit als einen Erfolg seiner Regierung heraus, dass sein Kabinett ein neues auf sechs Monate befristetes Krisenpaket beschlossen hat.

Der Sozialdemokrat ist ein Ankündigungsmeister und das verfängt gut bei Medien, die eine griffige Schlagzeile brauchen. So titelte der Spiegel ganz im Sinne der Kommunikationsstrategie von Sánchez: "Spanien streicht Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel".

Der Teufel steckt aber wie immer im Detail und abzuwarten bleibt, was noch an Überraschungen im Kleingedruckten blüht, wenn das Dekret real veröffentlicht wird. Tatsächlich wird die Mehrwertsteuer auf nur einige wenige Produkte gestrichen, und das auch nur für längstens sechs Monate.

Die neoliberale Wirtschaftsministerin Nadia Calviño droht schon mit der Streichung der nun beschlossenen Steuerverminderungen, "wenn wir im März oder April feststellen, dass die Kerninflation, die keine Lebensmittel und Energie enthält, unter 5,5 Prozent sinkt".

Dabei ist das noch immer eine Teuerung, die weit über der Zielmarke von zwei Prozent liegt. Temporär ausgesetzt wird die Mehrwertsteuer nur auf Eier, Milch, Obst, Gemüse, Käse und Getreide. Gesenkt wurde dagegen der Satz für Pasta und Öl, von zehn auf fünf Prozent. Allerdings findet man in deutschen Medienbeiträgen wie im genannten des Spiegel den nötigen Kontext zur Einordnung nicht.

Da auf die erste Produktgruppe in Spanien ohnehin nur der stark reduzierte Satz von vier Prozent zur Anwendung kommt, halten sich letztlich die Einsparungen in engen Grenzen.

Die Senkungen fangen die Verringerung der Kaufkraft über die hohe Inflation real nicht auf. Nach Angaben der OECD leidet die Bevölkerung in Spanien derzeit besonders stark unter Kaufkraftverlust, doppelt so stark wie im Durchschnitt der OECD-Länder.

Deshalb ist die Zahl der Haushalte in einer kritischen ökonomischen Situation schnell gestiegen, wie wir hier schon berichtet. Die Maßnahmen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, da die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten voranschreitet.

Aufruhr handelt sich die "progressive" Regierung deshalb ein, weil Fleisch und Fisch – der hier besonders gerne gegessen wird – aus der Senkung oder befristete Aussetzung der Mehrwertsteuer ausgenommen wurden. Die Regierung habe "Fleisch und Fisch vergessen", lautet es auch in Medien, die ihr nahestehen.

"Sollen arme Menschen also kein Fleisch oder Fisch mehr essen?", fragen sich auch Verbraucherschützer. Viele Haushalte mit geringem verzichten wegen besonders stark gestiegener Preise für diese Produkte schon darauf. Der Konsum ist schon um knapp 14 und 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken, gibt auch das zuständige Ministerium an.

Dass die Regierung ausgerechnet im Wahljahr dieses Fass erneut aufmacht, ist unverständlich. Denn sie hatte schon wegen einer unglücklichen Kampagne des Verbraucherschutzministers heftige Kritik einstecken müssen.

Die Fleischwirtschaft, die längst eine Absenkung gefordert hatte, ist auch empört. Die Volkspartei (PP) legt natürlich sofort populistisch den Finger in die Wunde. Der PP-Chef meint, dass die Regierung ihr Programm übernommen hatte, denn die PP hatte im Sommer Mehrwertsteuersenkungen gefordert und legt nun nach. Die PP fordert Mehrwertsteuersenkungen auch für Fleisch und Fisch.

Die Reduzierung der Mehrwertsteuer ist ohnehin tatsächlich eine Maßnahme, die aus dem Baukasten der Rechten und Ultra-Neoliberalen kommt. Denn es profitieren bei diesem Gießkannenprinzip vor allem die, die viel konsumieren oder konsumieren können. Wer wenig Geld ausgibt oder ausgeben kann, profitiert kaum.

Deshalb zweifelt auch der Koalitionspartner der Sozialdemokraten an der Wirksamkeit der Maßnahme. Die Chefin von Unidas Podemos (UP) erklärt: "Wir glauben nicht, dass die Maßnahme helfen wird."

Man fragt sich nur, warum die Vize-Ministerpräsidentin Yolanda Díaz und der Rest der UP-Minister die Maßnahme dann nicht abgelehnt haben. Denn wie beim Tankrabatt profitieren die, die viel Sprit verbrauchen, statt zielgerichtet denen zu helfen, die wirklich Hilfe brauchen. Die Subvention von 20 Cent pro Liter Treibstoff fällt für die breite Masse zum Jahreswechsel weg, gilt nur noch für die Landwirtschaft, Transportsektor und Fischerei.

Soziale Unterstützung: Schlimmer geht immer

Fast noch unverständlicher ist die Ausgestaltung des 200 Euro-Schecks, den nach propagandistischen Angaben der Regierung zum Inflationsausgleich 4,2 Millionen Haushalte erhalten sollen. Ausgenommen sind aber Haushalte mit zwei Mindestlöhnen, da sie die Grenze von 27.000 Euro Bruttolohn überschreiten.

Besonders absurd ist aber, dass Bezieher des vor zwei Jahren eingeführten Sozialgeldes ausgeklammert werden. Sie haben sehr wenig Geld zur Verfügung und leiden besonders stark unter der Inflation. Die große Zeitung El País meint, die Regierung wolle das "Fiasko" des ersten 200 Euro-Schecks ausgleichen.

Sogar die El País, das den Sozialdemokraten nahesteht, kritisiert, dass den Scheck, auch wegen großer bürokratischer Hürden, statt 2,7 Millionen nur 600.000 erhalten hätten. Im Aufbau bürokratischer Hürden ist man in Spanien parteiübergreifend besonders gut, das bestätigt sich auch beim Sozialgeld.

Telepolis hatte im August 2020 getitelt: "Das Sozialgeld wird niemand erhalten." Tatsächlich bekommen das knappe Sozialgeld auch mehr als zwei Jahre nach der Einführung wegen extremer bürokratischer Hürden bisher ohnehin nur eine halbe Million Haushalte. Sogar von den Planungen von 800.000 ist man noch immer weit entfernt. Begünstigt werden derzeit 1,4 Millionen Menschen, doch schon 2020 waren 4,5 Millionen von schwerer Armut betroffen.

Dass Mieterhöhungen weitere sechs Monate auf zwei Prozent gedeckelt werden, begrüßen Mietervereinigungen. Sie sprechen aber von einer "ungenügenden" Maßnahme und fordern den versprochenen Mietendeckel per Gesetz. Die neue Maßnahme sei zudem "dumm" gemacht, da die Mieter die Deckelung beim Vermieter "beantragen" müssen, weshalb ebenfalls viele davon vermutlich nicht profitieren werden.

Positiv ist, dass die Maßnahmen aufrechterhalten und sogar nun auf Busse ausgeweitet werden, um den Umstieg von Berufspendlern auf öffentliche Verkehrsmittel zu fördern. Von einem "Umsonst"-ÖPNV ist aber weiter keine Rede. Ob die Tickets für Stadtbusse, Straßenbahnen und U-Bahnen weiterhin nur halb so teuer für Mehrfachfahrten bleiben, hängt weiter von den jeweiligen Regionalregierungen ab.

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