Spaß am Job?

Seite 2: Verzerrungen und Rosinenpicken

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Solche möglichen Verzerrungen von Umfrageergebnissen werden in der Wissenschaft seit langem diskutiert. Kritisch sehen Arbeits- und Organisationspsychologen vor allem Umfragen mit pauschalen Fragen wie die genannten, bei denen die Befragten ihre Arbeitszufriedenheit auf einer Skala positionieren oder zwischen vagen Formulierungen wie "zufrieden" oder "nicht sehr zufrieden" wählen sollen. Denn Umfrageteilnehmer antworten längst nicht so rational, wie ihnen gerne unterstellt wird. Und die dadurch bedingten Verzerrungen sind oftmals systematischer Natur.

So neigen Menschen bei pauschalen Fragestellungen generell dazu, sich eher an positive Dinge zu erinnern und negative Aspekte zu verdrängen. Man kennt das von jenen Zeitgenossen, die behaupten, "früher" habe zu Weihnachten "immer" Schnee gelegen. Dazu kommt das menschliche Grundbedürfnis, ein positives Selbstbild zu bewahren. Dieses könnte in Gefahr geraten, wenn jemand seine eigene Arbeit sehr negativ bewertet und sich fortwährend fragt, warum er sie überhaupt noch ausübt. Um solche kognitiven Dissonanzen erst gar nicht aufkommen zu lassen, schrauben Menschen ihr Anspruchsniveau herunter. Ein weiterer Faktor, der zu systematischen Verzerrungen führen kann, ist die bewusste oder unbewusste Furcht vor der mangelnden Anonymität bei Umfragen.

In die Redaktionsstuben scheinen solche Erkenntnisse bislang kaum vorgedrungen zu sein. Wer mag sich schon durch zu viel Recherche eine schöne Geschichte samt bunter Infografik zerschießen lassen? Und wenn die Ergebnisse einer Umfrage einmal nicht zur Redaktionslinie passen, dann kann man sie ja einfach ignorieren. Oder man geht kreativ an die Statistiken heran und bewertet sie nach Gusto. Wie das geht, hat Tina Groll demonstriert, als sie für Zeit Online den Gallup Engagement Index für 2013, eine jährlich durchgeführte Untersuchung zur Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation, kommentierte. Das Rezept ist einfach: Das Positive in den Vordergrund stellen und nach Belieben Kategorien zusammenfassen, wie es schon IW-Direktor Michael Hüther vorexerziert hat. So konnte Zeit Online vermelden, dass 83 Prozent der Umfrageteilnehmer geäußert hätten, "sich wenigstens ein wenig mit ihrem Arbeitgeber zu identifizieren". Andere Medien stellten die restlichen 17 Prozent in den Vordergrund, die angaben, innerlich bereits gekündigt zu haben. Spiegel Online beispielsweise titelte: "Frust im Job: Jeder sechste Arbeitnehmer hat keinen Bock." Wer ein wenig Kopfrechnen kann, entnimmt diesem Artikel, dass die genannten 83 Prozent sich in zwei Gruppen aufteilen: 16 Prozent engagieren sich freiwillig für die Ziele ihres Unternehmens, 67 Prozent schieben "Dienst nach Vorschrift".

Was Zeit Online ebenfalls verschweigt: Der Anteil derjenigen, die innerlich gekündigt haben, ist zwar von 2012 auf 2013 von 24 Prozent ("fast ein Viertel") auf 17 Prozent gesunken, doch seit Gallup Daten zur Mitarbeiterzufriedenheit erhebt, war dieser Wert zuvor stetig angestiegen: von 15 Prozent (2001) auf 24 Prozent (2012). Eine passende Erklärung für den plötzlichen Rückgang lieferte ein Gallup-Sprecher gleich mit: "Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels scheint sich in vielen Unternehmen die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass die Qualität der Führung und die Unternehmenskultur entscheidend sind, um die Mitarbeiter zu binden." Ob es sich hier wirklich um eine "Trendwende" handelt, wie es in der Pressemitteilung heißt, oder nur um einen einmaligen Ausreißer, dürfte sich in den kommenden Jahren zeigen.

Generell ist den von Gallup, einem amerikanischen Meinungsforschungsinstitut, erhobenen Statistiken eher zu trauen als den eindimensionalen Daten von Eurofound oder dem SOEP. Denn Gallup versucht die emotionale Bindung von Mitarbeitern an ihr Unternehmen in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Dazu werden die Umfrageteilnehmer neben ihrer allgemeinen Arbeitszufriedenheit auch nach ihrer Einschätzung zum Arbeitsklima, zu Feedback, Entwicklungsmöglichkeiten und einigen weiteren Aspekten befragt. In ähnlicher Weise ist der DGB-Index "Gute Arbeit" konstruiert. Unterschiede gibt es bei der Auswahl der Items und deren Gewichtung. Da vollendete Objektivität dabei nicht zu erreichen ist, werden allerdings auch solche Ansätze kontrovers diskutiert.

In Jahrzehnten intensiver Forschung zum Thema Arbeitszufriedenheit sind zahlreiche weitere, mehr oder weniger komplexe, Messverfahren entwickelt worden. In der Praxis beschränken sich die meisten Untersuchungen dennoch auf die Frage: "Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Arbeit?"1 Unterschiede gibt es hier nur hinsichtlich der verwendeten Skalen oder der zum Ankreuzen bereitgestellten Formulierungen. Beim Statistischen Bundesamt haben die Befragten etwa die Wahl zwischen "völlig zufrieden", "sehr zufrieden", "ziemlich zufrieden", "weder noch" und "unzufrieden", bei Eurofound, wie bereits erwähnt, zwischen "sehr zufrieden", "zufrieden", "nicht sehr zufrieden" und "überhaupt nicht zufrieden". Dass die Ergebnisse dann unterschiedlich ausfallen, verwundert nicht.

Gegen Null tendiert die Aussagekraft von Ländervergleichen

Eurofound nimmt solche Vergleiche europaweit vor, die Unternehmensberatung Kienbaum sogar weltweit. Kienbaum verkündete im März dieses Jahres, in Indien sei das "Mitarbeiter-Engagement" mit einem "Engagement-Index" von 74 Prozent weltweit am höchsten, gefolgt von China mit 66 Prozent. Schlusslicht sei Japan mit 42 Prozent und Deutschland liege mit 58 Prozent im Mittelfeld. Fast könnte man also meinen: Je ärmer ein Land, desto zufriedener sind die Beschäftigten dort.

Das exakte Gegenteil hat Christian Bosau in seiner 2009 erschienenen Dissertation zur "Arbeitszufriedenheitsmessung im interkulturellen Vergleich" festgestellt. In anderen Studien spiegelt sich das auch wider, beispielsweise im World Values Survey, auf den sich Bosau unter anderem stützt. Hier rangieren Indien und China im unteren Mittelfeld. An der Spitze liegen beliebte Auswanderungsländer wie die Schweiz oder Dänemark und am Ende Staaten wie die Ukraine oder Weißrussland. Doch alle diese Studien kranken daran, dass die Bewertung der Arbeitszufriedenheit durch kulturelle Unterschiede verzerrt wird.

Einen hohen Stellenwert misst Bosau dem kulturspezifischen Kommunikationsverhalten zu. In Ländern, in denen es als angemessen gilt, seine Meinung klar und deutlich zu äußern, bezeichnen sich mehr Menschen als sehr zufrieden oder sehr unzufrieden. Dort wo Bescheidenheit und Zurückhaltung erwartet wird, fällt das Urteil einerseits positiver aus, andererseits gibt es weniger extreme Antworten. Indirekt wirken auch Kulturdimensionen wie Unsicherheitsvermeidung, Machtdistanz oder Individualismus versus Kollektivismus auf das Antwortverhalten ein.

Abgesehen davon versteht unter "Arbeitszufriedenheit" jeder etwas anderes. Das gilt nicht nur für einen indischen Industriearbeiter im Vergleich mit einem dänischen Büroangestellten. Es gilt auch für Wissenschaftler innerhalb Deutschlands. Der Organisationspsychologe Oswald Neuberger stellte bereits 1985 fest2, dass der Begriff der Arbeitszufriedenheit immer konturloser werde, je stärker man versuche, ihn zu fassen zu bekommen. Durch die Forschung würden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Schwierig sei beispielsweise die Abgrenzung zur allgemeinen Lebenszufriedenheit und zur Persönlichkeitsdisposition. Auch sei nicht klar, inwieweit eine positive Einschätzung der eigenen Arbeitszufriedenheit auf wirkliche Zufriedenheit oder auf ein niedriges Anspruchsniveau hindeute. Ferner bemängelte Neuberger, dass Auswirkungen der gemessenen Arbeitszufriedenheit auf Motivation und Arbeitsleistung statistisch nicht nachgewiesen werden konnten.

Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert, was die Beliebtheit des Themas in der Wissenschaft und in den Medien aber nicht geschmälert hat. Ein Grund dafür dürfte die ebenfalls schon von Neuberger beobachtete Tendenz sein, Arbeitszufriedenheit durch die ideologische Brille zu beobachten und zu bewerten. Ist der Erkenntnisgewinn der diversen Studien schon gering, so lässt sich wenigstens propagandistisch daraus Kapital schlagen und die Auftraggeber sind zufrieden. So gesehen ist es nicht die schlechteste Lösung, Umfrageergebnisse zur Arbeitszufriedenheit genauso als kurzweilige Zahlenspielerei zu betrachten wie solche zu Geburtstagsgeschenken für Haustiere.