Spaß am Job?

Bei den seltsam unterschiedlich ausfallenden Umfragen zur Arbeitszufriedenheit schlägt Ideologie das Erkenntnisinteresse

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Alle naselang geistert eine neue Meinungsumfrage zur Arbeitszufriedenheit der Deutschen durch den Blätterwald. Mal sind angeblich über 80 Prozent vollauf zufrieden mit ihrem Job, mal leisten ebenso viele nur noch Dienst nach Vorschrift oder haben bereits innerlich gekündigt. Wie sind solche Widersprüche zu erklären?

Auf Plakaten in der U-Bahn wirbt Radio Berlin 88,8 für seine "große Berlin-Umfrage". Mehr als 50 Fragen hat der Sender dem Berliner Meinungsforschungsinstitut INFO GmbH gestellt. Eine Auswahl der Ergebnisse prangt auf den Plakaten: "82 % der Berliner würden nicht aus ihrem Kiez wegziehen", "30 % der Berliner Haustiere bekommen Geschenke zum Geburtstag", "92 % der Berliner haben Spaß an ihrem Job".

Bei der letztgenannten Aussage mögen so manchen Betrachter leise Zweifel beschleichen. Hat man doch gerade in Berlin, etwa bei Verkäufern, Kellnern oder Taxifahrern, oft den gegenteiligen Eindruck. Doch die Umfragen der INFO GmbH sind repräsentativ, also scheinbar über jeden Zweifel erhaben. Bleiben also nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Klischee vom unfreundlichen Berliner stimmt nicht oder viele können ihre Freude an ihrem Job einfach nicht so richtig rauslassen. Oder gibt es noch eine dritte Möglichkeit?

Ein kurzer Blick auf die RBB-Website und wir kommen der Auflösung des Rätsels ein gutes Stück näher: "92 Prozent der Berliner haben Spaß an ihrem Job. Umfrageergebnis: Ja: 92%, Nein: 8%" heißt es dort lapidar, ironischerweise bebildert mit fröhlich in die Kamera grinsenden "Arbeiterinnen in einer Schuhfabrik in Ost-Berlin, 1983."

Spaß am Job gilt heute bekanntlich selbst bei Buchhaltern, Museumswächtern oder Postboten als unverzichtbares Einstellungskriterium. Wer will also bei so einer Frage schon mit nein antworten? Genauso gut könnte man fragen: "Sind Sie Antisemit? Ja oder nein?" Oder wie Radio Berlin: "Preis oder Qualität: Was ist für Sie wichtiger beim Einkaufen?" 69 % nannten die Qualität, nur 22 % den Preis. 9 % der Befragten entschieden sich für die Antwortvorgabe "Weder noch", interessieren sich also vielleicht mehr für die Verpackung als für den Inhalt. Vielleicht war ihnen aber auch einfach die Frage zu blöd, weil sie etwa beim Apfelsaft auf Qualität achten, bei der Milch aber nur auf den Preis. In jedem Fall gilt die alte Volksweisheit: Wer dumm fragt, bekommt dumme Antworten.

Übertragen auf Meinungsumfragen heißt das: Wer unpräzise oder zu direkte Fragen nach subjektiven Befindlichkeiten stellt, erhält Ergebnisse, die sich bei näherem Hinsehen als reine Artefakte erweisen. Die auf solche Weise ermittelten Zahlen sagen dann mehr darüber aus, welche Antworten die Befragten für sozial erwünscht halten als über die Realität. Sollte man Umfragen also komplett ignorieren? Besser nicht, denn zum einen gibt es durchaus ernst zu nehmende Erhebungen, zum anderen kann man sich dem täglichen Umfrage-Bombardement ohnehin nicht vollständig entziehen.

Leider geht die konkrete Fragetechnik in der Regel nicht aus den Medienberichten hervor, die ihrerseits meist nur Zusammenfassungen der jeweiligen Pressemitteilungen sind. Wer sich ein fundiertes Urteil bilden will, muss sich also selbst auf die Suche machen. Das empfiehlt sich vor allem bei solchen Umfragethemen, mit denen Politik gemacht wird, wie der Arbeitszufriedenheit. Die Frage ist hier vordergründig immer die gleiche, dennoch fällt die Antwort je nach Meinungsforschungsinstitut und Auftraggeber extrem unterschiedlich aus. So titelte etwa die "Welt" im August 2011: "Die Arbeitszufriedenheit der Deutschen nimmt stark ab" und im Juli 2013: "Fast alle Deutschen sind mit ihrem Job zufrieden".

Wie ist dieser plötzliche Wandel zu erklären? Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), das die Vorlage für den letztgenannten Artikel geliefert hat, sieht keinen Wandel. Die Arbeitszufriedenheit sei "in Deutschland über die Jahre fast konstant geblieben", zitiert ihn die Welt. Die Zahlen dazu hat die EU-Stiftung Eurofound geliefert, und das schon 2010. Der Beitrag des IW bestand darin, die Prozentsätze derer, die mit ihrer Arbeit "zufrieden" waren, und derer, die "sehr zufrieden" damit waren, zusammenzurechnen. So konnte das IW dann in der "Welt" und anderen Medien vermelden lassen, Deutschland liege mit 88,3 Prozent auf einem der vorderen Plätze in Europa.

Da sich auch 82 Prozent derjenigen, die sich zu niedrig entlohnt fühlen, zufrieden äußerten, schließt das IW messerscharf, die Entlohnung sei, ebenso wie Arbeitsplatzsicherheit oder Stress, nicht so wichtig für die Arbeitszufriedenheit. Die leidigen Diskussionen um Niedriglöhne, wachsenden Stress und "gute Arbeit" könne man sich daher getrost sparen, meint Hüther. Leider werde in der öffentlichen Debatte oft verschwiegen, behauptet der IW-Direktor, dass man "ein gerüttelt Maß an Kompetenzen und Leistungsbereitschaft mitbringen" müsse, um Karriere zu machen und viel zu verdienen. "Hüther gilt in Politik und Öffentlichkeit als beliebter Ansprechpartner, fachwissenschaftlich werden seine Arbeiten hingegen kaum rezipiert", heißt es im Wikipedia-Eintrag zu seiner Person.

"Wie wohl fühlen Sie sich derzeit an Ihrem Arbeitsplatz?"

Der 2011 erschienene "Welt"-Artikel berichtete über eine Studie der Universität Duisburg-Essen, die im Gegensatz zum IW eine abnehmende Arbeitszufriedenheit konstatierte. Von 1984 bis 2009 sei der Wert von 7,6 auf 6,8 Punkte zurückgegangen. Deutschland liege damit im internationalen Vergleich auf Rang 18 und lasse nur Länder wie Russland, die Ukraine, Bulgarien oder die Slowakei hinter sich. Die zugrundeliegende Skala von 0 ("ganz und gar unzufrieden") bis 10 ("ganz und gar zufrieden") wie auch die statistischen Daten entstammen dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), einer Längsschnittstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, für die jedes Jahr mehr als 12.000 zufällig ausgewählte Privathaushalte befragt werden.

Einer ähnlichen Skala bediente sich das Marktforschungsinstitut TNS Emnid, das bis Ende 2013 im Auftrag des Fuldaer Personaldienstleisters JOB AG vierteljährlich einen "Arbeitsklima-Index" erstellte. Die Frage an die jeweils etwa 2000 Teilnehmer lautete: "Wie wohl fühlen Sie sich derzeit an Ihrem Arbeitsplatz?" Dass die von TNS Emnid erhobenen Werte stets etwas höher lagen als beim SOEP, dürfte der simplen Tatsache geschuldet sein, dass die Skala statt von 0 bis 10 statt von 1 bis 10 reichte, wobei 1 für "sehr schlecht" und 10 für "sehr gut" stand. Der Durchschnittswert lag nie unter 7,0, was Stefan Polak, Vorstand der JOB AG, im März 2013 zum folgenden Zwischenfazit veranlasste:

Wenn wir bedenken, welche wirtschaftliche Volatilität die vergangenen fünf Jahre bestimmt hat, so ist es eindrucksvoll, dass sich sowohl die Zufriedenheit am Arbeitsplatz als auch die Ursachen dafür niemals signifikant verändert haben. Die Berufstätigen in Deutschland sind erfreulicherweise an ihren Arbeitsplätzen mehrheitlich zufrieden und lassen sich durch das Arbeitsklima und interessante Aufgaben motivieren.

Nach sechs Jahren Laufzeit hat die JOB AG den Arbeitsklima-Index nunmehr eingestellt, nach Auskunft eines Unternehmenssprechers, "da wir festgestellt haben, dass dieser keine neuen Erkenntnisse mehr bringt."

Die Erkenntnis der JOB AG kommt reichlich spät, denn bei näherem Hinsehen dürfte der Erkenntnisgewinn ihrer Daten nie allzu hoch gewesen sein. So ging beispielsweise der Durchschnittswert der Frauen von 7,7 im dritten Quartal 2013 auf 7,6 im vierten Quartal zurück, während der Durchschnittswert der Männer bei 7,7 stagnierte. Lässt sich daraus wirklich folgern, Männer seien zuletzt ein wenig zufriedener als Frauen gewesen? Vielleicht definieren sich Männer ja stärker als Frauen über ihren Beruf und können daher schlechter zugeben, wenn sie unzufrieden sind. Vielleicht verhält es sich auch umgekehrt, falls Frauen tendenziell eher dazu neigen sollten, negative Aussagen zu vermeiden.