Spezialeinsatz im Techno-Club: Wie gefährlich sind die Drogen?
Auf der Tanzfläche – bis die Polizei kommt? Bild: Marko Milivojevic, pixnio.com
Der Bayerische Rundfunk begleitete die Razzia einer Spezialeinheit. Polizeimaßnahmen gegen Partygänger wirken übertrieben.
Der öffentlich-rechtliche Nachrichtensender BR24 begleitete in seiner Sendung "Die Story: Kontrovers" vor Kurzem die Spezialkräfte des Unterstützungskommandos (USK) der bayerischen Polizei beim Training und bei zwei Einsätzen. Das allein auf Youtube rund 900.000-mal aufgerufene Video zeigt insbesondere die nächtliche Razzia eines Techno-Clubs.
"Sie kommen dann, wenn es für Streifenpolizisten zu gefährlich wird", leitet die Sprecherin gleich am Anfang die Dokumentation ein. Dazu martialische Musik – und Kampfschreie. Letztere stammen allerdings nicht von Kriminellen, sondern von Polizisten, die sich für eine Übung auf dem Polizeigelände es USK in Dachau als Hooligans vermummt haben. Das erfährt man erst im späteren Verlauf der Sendung.
Die Aufmerksamkeit der Zuschauerinnen und Zuschauer dürfte jedenfalls nach den ersten 20 Sekunden gebannt sein. Doch die Bilanz an Straftaten wird am Ende der Sendung eher ernüchternd ausfallen. Das gilt vornehmlich dann, wenn man Vergehen abzieht, zu denen es ohne die Polizeieinsätze erst gar nicht gekommen wäre.
Razzia im Techno-Club
"Bereit zum Einsatz. Ab jetzt zählt jede Sekunde", erfährt man zwei Minuten später. Rund 100 Polizeibeamte teilen sich in zwei Gruppen auf, um "eine für Drogenmissbrauch bekannte Diskothek" nach Mitternacht zu stürmen. Die eine Hälfte zum Haupteingang, die andere durch den Keller, wo eine Tür aufgebrochen werden muss. Wer schließt schon seine Kellertür ab? "Hände nach oben! Hände aus den Taschen!", rufen die Polizisten gleich am Anfang und dann immer wieder während der Razzia. Mobiltelefone dürfen nicht verwendet und müssen ausgeschaltet werden.
Wer sich in dem Club aufhielt oder auch nur auf dessen Gelände, muss stundenlange polizeiliche Maßnahmen über sich ergehen lassen: Warten, Identitätsfeststellung, Durchsuchung. Die Polizei kann nicht alle gleichzeitig abfertigen. "Niemand darf sich mehr bewegen oder in irgendwelche Taschen greifen", erklärt das BR-Team. Ein Polizist hält Gäste dazu an, ihre Hände zu falten.
Ein Mann erklärt, er sei nicht einmal im Club gewesen. "Falschen Tag erwischt. Tut mir leid", entgegnet ein Polizist. Ein anderer gibt an, nur zum Tanzen gekommen zu sein. Jetzt müsse man warten. Ein Mann, der verdächtigt wird, auf der Toilette Drogen verkauft zu haben, wird vor laufender Kamera gefesselt. Praktischerweise kleben die Polizisten den Gästen Identifikationscodes auf, zum Beispiel: "P-10-01".
Die Bilanz: "Die USKler finden fast alles an Drogen: Koks, Ecstasy, Gras und Pillen, die sie nicht zuordnen können." Nach fünf Stunden ist der Einsatz beendet. "Die Polizei war erfolgreich. Bei 25 Clubbesuchern haben sie illegale Substanzen gefunden", schlussfolgert das BR-Team.
Illegale Substanzen
Wie wird eine Substanz eigentlich illegal? Ganz einfach: indem Behörden sie auf eine Liste illegaler Substanzen setzen. Auch die Grenze zwischen Medikamenten und Drogen ist willkürlich und gibt es in manchen Sprachen gar nicht.
Vergessen wir nicht, dass bis ins 19. Jahrhundert noch die Staaten die größten Drogendealer waren: Unter anderem Preußen, England und Frankreich verdienten sehr gut am Opiumhandel. Die beiden letztgenannten Kolonialmächte zwangen China sogar mit Krieg dazu, sein Verbot des finanziell lukrativen Rauschmittels aufzuheben. Das Elend opiumabhängiger Chinesen interessierte die Westmächte nicht.
Im 20. Jahrhundert wendete sich dann das Blatt: Vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika widersprach der Kontrollverlust unter Einfluss psychoaktiver Substanzen den herrschenden Moralvorstellungen. Über völkerrechtliche Verträge setzte man diese Normen ab 1912 auch international durch.
Dabei spielten rassistische Motive ebenfalls eine Rolle. Beispielsweise wollte man in den USA die chinesischen Gastarbeiter, die dort das Eisenbahnnetz aufgebaut hatten, wieder aus dem Land haben. Weil sich das rechtlich nicht durchsetzen ließ, verbot man stattdessen das bei ihnen beliebte Opium. Dadurch wurden viele von ihnen zu Kriminellen abgestempelt, gegen die man strafrechtlich vorgehen konnte.
Mit Drogenpolitik wurde also Sozial- und Migrationspolitik gemacht. Auch die bei anderen Randgruppen – Afroamerikanern, Latinos, später ebenso Hippies – beliebten Substanzen wie Cannabis, Kokain oder LSD verbot man schließlich.
Um dies in der Bevölkerung durchzusetzen, lancierten staatliche Akteure Dämonisierungskampagnen. Beispielsweise wurde die damals in den USA gängige Bezeichnung "Hanf" (engl. hemp) für Cannabisprodukte in den 1930ern durch das lateinamerikanische Fremdwort "Marihuana" ersetzt. So ließ sich die Substanz besser als Teufelszeug darstellen, als man das gescheiterte Alkoholverbot aufgab und die Drogenpolizei neue Einsatzgebiete suchte.
1961 kam es über die Vereinten Nationen schließlich zum Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel. Dieses verpflichtete die Mitgliedsstaaten zum Verbot von Opiaten, Kokain- und Cannabisprodukten. Die Liste verbotener Substanzen wird seitdem regelmäßig ergänzt.
Somit wissen wir also, warum in jener Nacht in Bayern die Besucherinnen und Besucher eines Techno-Clubs nicht tanzen konnten und stattdessen stundenlang Zwangsmaßnahmen über sich ergehen lassen mussten: Weil die USA bestimmte Substanzen im frühen 20. Jahrhundert dämonisierten und ihre Verbotspolitik in den Jahrzehnten danach international durchsetzten.
Irrationale Unterscheidungen in der Drogenpolitik
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Wirkungsweise psychoaktiver Substanzen erforschen, kritisieren diese Drogenpolitik seit Langem als irrational. Laut dem Independent Scientific Committee on Drugs unter Führung von David Nutt, Professor für Neuropharmakologie in London, sind beispielsweise Crack, Heroin, Crystal Meth und Alkohol gefährlicher als das in der BR-Sendung erwähnte Kokain.
Dichtauf liegt Amphetamin ("Speed"), das Psychiater – auch in Deutschland – immerhin Kindern (!) mit Aufmerksamkeitsproblemen verschreiben.
Weit abgeschlagen auf der Liste der Forscher folgen Cannabis und Ecstasy. Da ich selbst mit Medikamenten und Drogen sehr vorsichtig bin (Ausnahmen: Alkohol und Koffein), erschließt sich mir die Wirkung von Letzterem, einem Amphetaminderivat, nur aus dritter Hand: Wissenschaftliche Studien und Aussagen von Konsumenten versichern mir aber, dass die Substanz zu einem wohligen Körpergefühl führt, zur intensiveren Erfahrung von Berührungen und Musik, zum Abbau von Hemmungen sowie zu einem höheren Kontaktbedürfnis und Empathie. Man fühle sich mit anderen verbunden.
Worin genau soll die Straftat bestehen? Warum muss ein demokratischer Rechtsstaat hier zu seinem schwersten Mittel greifen? Einem Verbot, das zu Polizeimaßnahmen, Geld- und Freiheitsstrafen führen kann.
Doppelte Stigmatisierung
"Zum Gesundheitsschutz!", werden hier manche erwidern. Dann ist es aber zumindest einmal ein schwer zu erklärendes Phänomen, dass ausgerechnet Bayern mit seinem harten Durchgreifen konsistent mit die meisten Drogentoten von Deutschland hat – und, wie auch die Faktenfüchse des Bayerischen Rundfunks bestätigen, mehr Drogentote als die liberaleren Niederlande.
"Die Substanzen können aber psychische Störungen und insbesondere Psychosen auslösen!", lautet die nächste Verteidigungslinie der Drogengegner. Psychosen – zum Beispiel Paranoia, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Stimmenhören – kann man aber auch ohne Substanzkonsum haben. Korrelation ist eben, wie so oft, nicht gleich Kausalität.
In welche Richtung hier der Ursache-Wirkung-Pfeil zeigt, ist bis heute noch gar nicht klar. Vielmehr scheint es so zu sein, dass Menschen, die ohnehin anfälliger für psychische Probleme sind, eher zu Drogen greifen. Zum Teil sind es schlicht Bewältigungsstrategien für die Härten im Leben, zum Teil handelt es sich um Selbstmedikation.
Beispielsweise sind Ängstlichkeit und Einsamkeit typische Merkmale psychischer Störungen wie Angststörungen oder Depressionen. Nicht jeder will deswegen zum Psychologen oder Psychiater rennen, wo man einen diagnostischen Stempel aufgedrückt bekommt, der sich zudem bei der beruflichen Laufbahn, beim Abschließen bestimmter Versicherungen oder Hypotheken negativ auswirken kann. Ecstasy wirkt beispielsweise über das Serotoninsystem im Gehirn – wie auch millionenfach verschriebene Antidepressiva.
Der bereits erwähnte Pharmakologe und Drogenexperte David Nutt verglich einmal in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift die Risiken von Ecstasy-Konsum mit denen des Reitsports. Demnach führt das Reiten ungefähr alle 350 Vorkommnisse zu einem unerwünschten Ergebnis, die Droge aber nur alle 10.000 Vorkommnisse. Die britische Öffentlichkeit dankte ihm diesen Vergleich nicht und Nutt musste den Vorsitz eines Drogenberatergremiums aufgeben.
Im Endergebnis sind Traumata, schwere Lebensereignisse, Stress und soziale Ausgrenzung gleichermaßen Risikofaktoren für psychische Störungen und Drogenkonsum. Dazu kommen eine leichte genetische Veranlagung, die Verfügbarkeit von Substanzen sowie Vorbilder im eigenen Umfeld.
Was genau hiervon soll nun eine Strafe verdienen? Vielmehr droht eine doppelte Stigmatisierung, dass der Staat, dass Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte Bürgerinnen und Bürger, die es ohnehin schon schwerer haben als andere, weiter aus der Gesellschaft ausgrenzen.
Und wo wir über Traumata sprachen: Die Dämonisierung hat auch wissenschaftliche Forschung zu therapeutischen Anwendungen psychedelischer Substanzen wie Ayahuasca, LSD oder Psilocybin behindert. Auch das lässt sich nicht mit angeblichem Gesundheitsschutz vereinbaren. Der neue Hype ist nun das "microdosing" solcher Substanzen, was ich in meinem Bericht über Gehirndoping aufgegriffen habe.
Lösungen
Vergessen wir nicht, dass der Status quo trotz und in Teilen wahrscheinlich sogar wegen der Verbotspolitik zustande kam: Wenn Drogenkonsum stigmatisiert ist, gibt es weniger Hilfsangebote und nehmen sie diejenigen, die sie nötig haben, seltener wahr. In einem Notfall wird eher kein oder später ein Notruf unternommen, weil der Besitz der konsumierten Substanz ja eine Straftat darstellt.
Man kann natürlich weiterhin Bürgerinnen und Bürgern, die sich treffen, um gemeinsam Spaß zu haben, Repressionen aussetzen. In vielen europäischen Großstädten sind trotzdem Drogen so einfach zu beziehen wie eine Pizza beim Lieferservice. Dieser Konsum birgt eigene Risiken, da die Substanzen aus unkontrollierten Quellen stammen, unterschiedlich dosiert oder verunreinigt sein können. Wo bleibt hier der Gesundheitsschutz?
Man kann kritisieren und bekämpfen, dass kriminelle Banden etwa tonnenweise Kokain über den Rotterdamer Hafen nach Europa importieren oder in Drogenlaboren in Osteuropa oder dem Süden der Niederlande massenweise synthetische Drogen wie Ecstasy oder Crystal Meth herstellen – dass die Mittel gekauft werden, beweist aber auch eine große Nachfrage in der Bevölkerung.
Die meisten Menschen können damit – ebenso wie mit Alkohol – gut umgehen. Den wirklichen Problemfällen wäre mit Prävention und Hilfsangeboten besser geholfen. Was so ein mehrstündiger Nachteinsatz einer Spezialeinheit der Polizei mit 100 Beamten stattdessen den Steuerzahler kostet, verrät uns die Dokumentation des Bayerischen Rundfunks leider nicht.
Polizeiarbeit und Drogenkonsum: falscher Fokus
Die Polizisten werden zum Beispiel freundschaftlich als Max und Leon vorgestellt. Max rutscht einmal das Wort "Gift" heraus, bevor er korrigiert: "Betäubungsmittel". Der Alkohol, den er wahrscheinlich auf einem der vielen bayerischen Volksfeste konsumiert, ist übrigens ein viel stärkeres Zellgift als viele der verbotenen Substanzen. Er wirkt im Gehirn – in geringen Mengen – vor allem über das GABA-System, in größeren über das Glutamat-System. So richtig hat man es noch nicht verstanden.
Was wäre das wohl für eine Welt, in der die Polizisten mit ihrem Hellen oder Weißbier an der einen Seite des Tisches säßen und ein paar Techno-Liebhaber mit Ecstasy auf der anderen – und am Ende gäbe man sich die Hände und ginge in Frieden nachhause, anstatt ewig dieses Räuber-und-Gendarm-Spiel zu spielen. Übrigens wäre die Wahrscheinlichkeit höher, dass an der Alkohol-Seite des Tisches die Fäuste fliegen, als an der Ecstasy-Seite. Das gilt ebenso für Cannabisprodukte.
Vergessen wir auch nicht, dass die Polizei nur wenige Jahrzehnte vorher auf Partys Razzien durchführte, wo sie Homosexuelle vermutete. In Parks oder Bahnhofstoiletten setzte sie mitunter sogar Lockvögel ein, um die Gesellschaft vor dieser "Bedrohung" zu schützen. Ich gehe davon aus, dass wir uns einmal sehr ähnlich über die strafrechtliche Verfolgung von Drogenkonsumenten wundern werden.
Vom gesellschaftlich finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde man sich etwas mehr Neutralität wünschen, anstatt die eigenen Vorurteile gegen Drogenkonsum in eine Dokumentation zu gießen. Das gilt umso mehr für eine Sendung mit dem Namen "Die Story: Kontrovers". Inwiefern die vom Bayerischen Rundfunk dokumentierte Polizeiarbeit nun "zu gefährlich für Streifenpolizisten" war, erschließt sich mir jedenfalls nicht.
Das gilt im Prinzip auch für die in der zweiten Hälfte dargestellten, angeblich gewaltbereiten Fußballfans des VFB Stuttgart, die zu einem Spiel gegen den FC Bayern München in die Landeshauptstadt an der Isar kamen. Deren Busse wurden schon auf der Autobahn abgefangen und dann mit Blaulicht zum Stadion eskortiert.
Einer der Fans äußerte sich etwas aggressiv gegenüber der Journalistin, dass er nicht gefilmt werden wolle. Dass er ihr gegenüber die Polizeibeamten als "Affen" bezeichnete, brachte ihm eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung ein. Ein anderer Fan soll eine Zigarettenkippe in Richtung eines Polizisten geschnippt haben – er wurde festgenommen.
Nun sollte man allgemein Menschen weder beleidigen noch Zigarettenkippen auf sie schnippen. Polizeibeamte repräsentieren zudem die rechtsstaatliche Ordnung, die unsere Grund- und Freiheitsrechte sichert. In Kampfausrüstung, mit Bewaffnung und mehreren Schutzlagen aufzutreten und dann auf kleine Provokationen mit maximaler Härte zu reagieren, wirkt auf mich aber nicht gerade souverän.
Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.