Die größten Missverständnisse über die Aufmerksamkeitsstörung ADHS

Eine Sendung des populären Psychologeek im Faktencheck: Ursachen, Erblichkeit, Mode-Diagnose, Albert Einstein hatte ADHS?

"Psychologeek" ist ein Informationsangebot der Psychologin Pia Kabitzsch für "funk", das Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Die junge Frau vermittelt darin Wissen über Psychologie, nach eigenen Angaben "unterhaltsam & mit einer Extraportion Liebe". Funk richtet sich vor allem an die 14- bis 29-Jährigen.

Das ist gleichzeitig eine Altersgruppe, in der die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) häufig diagnostiziert wird. ADHS gilt als die häufigste psychische Störung im Kinder- und Jugendalter. Nachdem die Existenz einer Erwachsenen-ADHS lange Zeit umstritten war, wird auch diese Form der Störung nun immer häufiger diagnostiziert.

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk übt man sich gerne in Faktenchecks. Darum will ich jetzt auch einmal der Folge von Psychologeek "AD(H)S - das musst du wissen" auf den Zahn fühlen; mit einer Extraportion Genauigkeit.

Vorab sei gesagt, dass ich Pia Kabitzschs Sendungen über Psychologie durchaus für gelungen halte. Da ADHS heute so oft diagnostiziert wird und für viele Betroffene dann zu jahrelangem Stimulanzienkonsum (z.B. von Ritalin) führt, ist die Darstellung dieses Phänomens aber von besonderer Bedeutung. Denn die Art und Weise, wie man über seine Probleme denkt, beeinflusst auch die Hilfe, die man sich dann vielleicht sucht.

Albert Einstein hatte ADHS?

Gleich am Anfang der Sendung sieht man die Fotos einiger Hollywood-Stars, die angeblich ADHS haben. Inwiefern hier wirkliche klinische Diagnosen vorlagen oder man lapidar von einer Aufmerksamkeitsstörung spricht, wie man heute schnell Menschen als Autisten, Depressive, Schizophrene und so weiter abstempelt, mögen Interessierte selbst recherchieren. Doch ein Beispiel der Psychologin fällt besonders aus der Reihe: der deutsch-amerikanische Physiker Albert Einstein (1879-1955).

Einstein als ADHS-Fall darzustellen, ist nun auf mehrerlei Weise gewagt: Erstens gibt es die Diagnose ADHS erst seit den 1980ern (30 Jahre Aufmerksamkeitsstörung ADHS). Selbst wenn der bekannte Physiker bei einem Psychologen oder Psychiater Hilfe gesucht hätte, hätte er also schon aus formalen Gründen gar nicht diese Störung diagnostiziert bekommen können.

Zu Einsteins Lebenszeit gab es allerdings die Vorform MBD - Minimaler Gehirnschaden (engl. Minimal Brain Damage). Falls die Psychologin dem Physik-Genie einen Hirnschaden diagnostizieren will, spräche das meiner Meinung nach nicht für die Ernsthaftigkeit ihrer Sendung.

Besser keine Ferndiagnosen

Zweitens muss man solche Diagnosen aus der Ferne immer mit Vorsicht genießen. Die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) hat sich selbst mit der Goldwater-Regel in den 1960ern sogar den ethischen Maßstab gesetzt, keine Ferndiagnosen vorzunehmen, ohne einen "Patienten" selbst untersucht zu haben. Insbesondere soll man ohne Zustimmung der Betroffenen auch nicht in der Öffentlichkeit darüber sprechen.

Die Regel bezieht sich auf den US-Senator und Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater (1909-1998), dem wegen einer diffamierenden Ferndiagnose im Wahlkampf schließlich rund eine halbe Million US-Dollar (nach heutigem Wert) Schadensersatz zugesprochen wurde. Damals wurden Anzeigen geschaltet, Psychiater hielten den Anwärter für das höchste Amt nicht für regierungsfähig.

Jetzt mag man einwenden, dass das mit Albert Einstein und ADHS eher als Witz gemeint ist. Die Sendung erhebt aber selbst den Anspruch, die Zuschauer korrekt über die psychische Störung zu informieren ("ADHS - das solltest du wissen").

Wichtige Fragen über ADHS

"Aber was genau bedeutet das eigentlich, ADHS zu haben? Wie äußert sich das? Und was ist dran an so Mythen wie 'ADHS kommt durch schlechte Erziehung' oder 'Man muss heute nur ein bisschen unruhiger sein und, zack, bekommt man die Diagnose'? Supersuperviele von euch haben sich 'n Video über ADHS von mir gewünscht und ich find' auch, dass es allerhöchste Eisenbahn ist, dass wir da mal so ganz sachlich drüber sprechen. Schließlich ist ADHS die am häufigsten diagnostizierte psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen." Pia Kabitzsch auf Psychologeek

Wo wir sachlich sein wollen: Von psychiatrischen Erkrankungen spricht man besser nicht. Das suggeriert nämlich, es handle sich um eine klar definierte medizinische Entität, deren Ursachen und Auslöser ("Krankheitserreger") man kenne. Das ist bei psychischen Störungen aber nicht der Fall, weswegen man hier eben von Störungen oder auch Syndromen spricht.

Syndrom ist der passende Begriff, wenn man über etwas Diffuses spricht, von dem man eigentlich nicht genau weiß, was es ist. Und die Symptomliste von ADHS lässt zehntausende Varianten zu, die man aus pragmatischen Gründen in drei Formen unterteilt: den Aufmerksamkeitsdefizitstyp, den Hyperaktivitäts- beziehungsweise Impulsivitätstyp und eine Mischform aus beiden.