"Spielball politischer Interessen"
Heute wird in Athen das neue Akropolis Museum eröffnet
Zur Einweihung geladen sind ausländische Staats- und Regierungschefs sowie große internationale Medien. Doch das Museum dient weniger der Pflege des kulturellen Erbes als vielmehr wirtschaftlichen und politischen Interessen meint Stathis Gotsis in Interview mit Telepolis. Der Historiker vertritt seine Gewerkschaft im Personalrat der beim griechischen Kulturministerium Angestellten.
Das neue Akropolis Museum wird als „Stolz Griechenlands“ und „Schmuckstück der Welt“ beworben. Ist es wirklich ein Schmuckstück?
Stathis Gotsis: Man kann das neue Museum unter vielen Aspekten betrachten. Es ist ein Werkzeug der Kultur, gleichzeitig aber auch ein politisches Werkzeug, ein Werkzeug um zu vermitteln, wie Griechenland seine Beziehung zur Kultur und seinem kulturellen Erbe definiert und wie sie diese heute den Menschen, ob Griechen, oder Touristen, präsentiert. Das neue Museum wendet sich wohl überwiegend an Touristen, es ist also auch ein ökonomisches Werkzeug. Gleichzeitig war das Museum von Anfang an mit der permanenten Forderung des Landes nach der Rückgabe des Parthenon-Frieses verbunden. Dadurch sind hier Dinge passiert, die in anderen Fällen nicht möglich gewesen wären.
Können Sie dafür Beispiele nennen?
Stathis Gotsis: Das Museum wurde auf anderen Altertümern errichtet. In jedem anderen Fall, egal ob es sich beim Bauherren um einen privaten oder den Staat gehandelt hätte, wäre ein Bauvorhaben sofort gestoppt worden. Nur hier wurde weitergebaut, weil es sich um eine „nationale Vision“ handelt, die nach Meinung der Regierungen Vorrang hatte.
Das gleiche geschah bei mehreren Neoklassischen und Art Deco Gebäuden aus dem 19. und 20. Jahrhundert in der Nähe Akropolis. Sie sollen weg, weil sie die Aussicht aus dem Restaurant des neuen Museums auf die Akropolis versperren. Ihr Abriss würde ein Loch in die Häuserfront am Aufgang zur Akropolis reißen, die ein Bild Athens aus dem 19. und 20. Jahrhundert bildet. Wenn es sich um ein anderes Projekt und nicht das Akropolis Museum gehandelt hätte, mit all der Symbolik und der politischen Bedeutung, die dieses Gebäude trägt, wäre schon eine Debatte um einen Abriss ausgeschlossen gewesen.
Ein weiteres Beispiel ist der Rechtsstatus des Museums als Juristische Person öffentlichen Rechts. Er hat zur Folge, dass der Staat, keine wirkliche Kontrolle darüber haben wird. Die Archäologische Behörde wird von jeder Mitsprache über das Museum und dessen Umgang mit den Ausstellungstücken ausgeschlossen. Sogar die dem Staat unterstehende Stätte selbst, der Akropolis-Felsen wird von dem Museum, das ihm ja eigentlich dienen sollte, getrennt.
Welche Absicht steckt hinter einem derartigen Rechtsstatus?
Stathis Gotsis: Es handelt sich um den ersten Versuch auch in Griechenland, staatliche Museen und den Umgang mit dem kulturellen Erbe nach und nach in privatwirtschaftlich geführte Unternehmen zu überführen. Die ihre eigenen Einnahmen haben können, Sponsoren offenstehen, wirtschaftlichen Interessen dienen. Kurz gesagt in Wirtschaftsunternehmen mit kulturellem Inhalt, die wirtschaftlichen und nicht öffentlichen Interessen dienen.
Welche Gegenvorstellungen gab es?
Stathis Gotsis: Archäologen und Gewerkschaften waren sich einig, dass das Museum als Einrichtung der öffentlichen Hand, wie auch das Nationalmuseum, das Byzantinische und alle bedeutenden Museen des Landes, geführt werden müsse. Im Fall des Akropolis Museums hätte sogar eine gemeinsame Dienststelle für die archäologische Stätte und das Museum geschaffen werden können, denn beide bilden eine untrennbare Einheit. Im Akropolis Museum können nur Ausstellungstücke gezeigt werden, die aus der archäologischen Stätte der Akropolis stammen, eine Ergänzung oder Erweiterung durch Stücke aus irgendeiner anderen archäologischen Stätte, wie bei anderen Museen üblich, ist ausgeschlossen. Das Museum dient also einzig und allein der Präsentation der Akropolis. Es ist paradox, wenn ausgerechnet dieses Museum juristisch und verwaltungstechnisch von der archäologischen Behörde und von seiner eigenen archäologischen Stätte abgetrennt wird.
Auch die Relationen werden verschoben. Um die Ausstellung im Museum zu bereichern, wurden auf Beschluss des Kulturministeriums in letzter Minute einige weitere Statuen von der Akropolis geholt. Als die Diskussion um die Rückgabe des Parthenon-Frieses begonnen wurde, stand als Ziel die Wiederherstellung der Stätte im Vordergrund. Die fehlenden Teile sollten wieder an ihren Ursprungsort, einem Symbol der klassischen Zivilisation, der antiken Demokratie, gebracht werden. Nach und nach rückte dies in den Hintergrund und an seine Stelle trat das Ziel der Wiedervereinigung aller Teile des Frieses, aller Skulpturen. So als seien Fries und Skulpturen nicht Teile des Monumentes. Die Diskussion darüber, welches Museum letztendlich das Recht haben soll, die Skulpturen auszustellen, ob Athen oder London, ist also eine Diskussion, bei der das eigentliche Denkmal bereits verloren hat.
Was bedeutet der Rechtsstatus für die Angestellten?
Stathis Gotsis: Er erlaubt die Einstellung von Personal mit völlig anderen Verfahren, als im öffentlichen Dienst üblich. Beim der letzen Pressekonferenz des Kulturministeriums und dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates des neuen Museums wurden Fragen von Journalisten nach dem Stellenplan des Museums, wie viele Einstellungen vorgenommen werden sollen, zu welchen Bedingungen und mit welchen Löhnen, nicht beantwortet. Bisher ist nur bekannt, das 100 Wärter mit bisher nicht bekannten Verfahren eingestellt werden sollen. Außerdem sollen – wohl ehrenamtlich – Archäologiestudenten oder junge Archäologen geworben werden, die dem Publikum bestmöglichst die Ausstellungen vermitteln.
Soll auf diese Weise die Bezahlung von Fremdenführern umgangen werden?
Stathis Gotsis: So sieht es aus. Wir müssen aber erst mal sehen, wie das in der Praxis umgesetzt wird.
Provozierend gefragt, ist es nicht vielleicht besser, wenn das Personal im neuen Akropolis Museum nicht dem Kulturministerium untersteht? Die Arbeitsbedingungen dort sind ja nicht gerade die besten.
Stathis Gotsis: Das stimmt, aber die Forderung und der jahrelange Kampf der Gewerkschaften geht ja gerade darum, dass die Gesetze endlich eingehalten werden und statt befristeter unbefristete Arbeitsverträge vergeben werden. Im Falle eines unter Kontrolle der Öffentlichen Hand stehenden Akropolis Museums würde dies auch für dessen Angestellte gelten. Als Juristische Person öffentlichen Rechts aber ist das Museum keinerlei gesetzlicher Vorgaben für den Öffentlichen Dienst unterworfen. Der Verwaltungsrat kann einstellen, wen und zu welchen Bedingungen auf welche Stelle er will, er kann auch entlassen wen und wann er will.
Ist dies nicht auch eine Kostenfrage?
Stathis Gotsis: Das neue Museum hat wesentlich mehr Mittel, als andere bedeutende Museen des Landes. Und zwar weil es weniger mit der Pflege des kulturellen Erbes, sondern mit politischen Interessen verknüpft ist. Es soll innenpolitisch aufzeigen, dass wir daran arbeiten, den Parthenon-Fries zurückzuholen. Das neue Museum wird überall beworben. Das mag viel kosten, sorgt aber dafür, dass sich die Griechen besser fühlen. Außerdem ist es für die Verhandlungen mit Großbritannien nützlich, unabhängig davon, ob die derzeitigen Verlautbarungen beider Seiten der Realität entsprechen oder nicht. Es wird zumindest der Anschein erweckt, dass die Dinge in Bewegung sind.
An einem Punkt hat der jetzige Kulturminister, kaum dass er im Amt war, allerdings die Mittel gekürzt. Für die Einweihung des Museums, wurde das anfängliche Budget von sechs Millionen Euro auf die Hälfte zusammengestrichen. Angesichts der Krise erschien eine derartige Summe nur für die Einweihung einer Einrichtung vielen dann doch zu hoch.
Sie sind auch nicht damit zufrieden, wie die Ausstellungstücke präsentiert werden. Warum?
Stathis Gotsis: Das Konzept orientiert sich an der traditionellen Anschauung, wonach die Ausstellungsstücke für sich selbst von vergangenen hohen Zivilisation sprechen. Aufgereiht in Vitrinen als reine Objekte der Bewunderung und nicht der Erforschung und des Begreifens der Gesellschaften, die sie erschaffen haben. Ein Ausstellungsstück ‚spricht’ jedoch nicht von sich aus. Heute versuchen Museologen vielmehr, Ausstellungsstücke mit ihrer Umgebung als Einheiten zu arrangieren, die kleine oder größere Geschichten erzählen. Geschichten, die mit den Gesellschaften, den Kulturen und Zivilisationen zu tun haben, die diese Ausstellungstücke erzeugten. Derartige Überlegungen wurden beim Akropolis Museum nicht gemacht, Museologen wurden nicht einmal in die Planung einbezogen.