Spielsucht: "Auch wenn Du verlierst, gewinnt ein Finne"

Glücksspielautomaten in Finnland. Bild: Santeri Viinamäki/CC BY-SA-4.0

Finnland gilt als Land mit den glücklichsten Menschen, aber viele sind glückspielsüchtig, woran der Staat gut verdient

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Wer in Finnland einkaufen oder tanken geht, trifft oft auf Spielautomaten. Für Pinja Hiltunen war als Kind der Besuch eines Supermarktes darum etwas Traumatisierendes. Denn die Eltern der heute 26-jährigen Finnin blieben dort stets am "Rahapeliautomaatti" hängen und verzockten stundenlang ihr Geld, so dass oft nichts mehr für das Essen übrig blieb und das Mädchen hungern musste.

Schon als Zehnjährige bekam Pinja Hiltunen Panikattacken, gleichzeitig entwickelte sie ein Verantwortungsgefühl für die Eltern und finanzierte deren Sucht als Teenager durch Ferienjobs. Es folgte mit 19 Jahren ein Suizidversuch und eine Therapie.

Geschichten wie diese machen gerade die Runde in Finnland und üben Druck auf den Staat aus. Denn dieser hält mit der Firma "Veikkaus" das Monopol auf Spielautomaten, Toto und Pferderennen, auch werden Online-Casinos betrieben. Die staatliche Unternehmung fährt jährlich eine Milliarde Euro Gewinn ein und zahlt 200 Millionen Euro Steuern. Finanziert werden so Sport-, Kultur- und Sozialausgaben.

Regierung reagiert nicht auf Kritik

Hinter den Einnahmen steckt das Spielverhalten der Finnen - rund 3,3 Prozent der Bevölkerung zeigen nach einer älteren Erhebung ein "problematisches Spielverhalten". Dabei sollte offiziell das staatlich kontrollierte Glücksspiel zu einem mäßigen Spielen führen - so sind die Gewinne bei einem einarmigen Banditen reduziert.

"Nach unseren Studien hat sich die Anzahl der Problemspieler nicht signifikant geändert", sagt Hannu Rinkinen, Vorsitzender von "Veikkaus" gegenüber dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender Yle. Rinkinen streitet die Probleme nicht ab, ab 2023 sollen zudem Spieler ihre Identität in den Spielautomaten eingeben, um Missbrauch zu verhindern. Schließlich hängen vor den öffentlich zugänglichen Automaten oft Jugendliche herum.

Einer Bürgerinitiative, der auch Hiltunen angehört, geht dies nicht weit genug. Sie verlangt, dass die Spielautomaten aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Durch die Sucht und die Auswirkung auf Angehörige wären nach ihrer Berechnung 900.000 Menschen in dem Land mit 5,5 Millionen Einwohnern betroffen. Diese Statistiken wurden sicherlich nicht beim "Weltglücksbericht" berücksichtigt, der vor der UNO diesen März das Land bereits zum zweiten Mal als das glücklichste der Welt kürte, was von vielen Medien in Deutschland einfach unkritisch verbreitet wurde.

Die sozialdemokratische Regierung unter Antti Rinne hat bislang nicht auf die besorgniserregenden Berichte und die derzeitige Kritik an Veikkaus reagiert, was ihr der Wirtschaftswissenschaftler Pekka Mattila vorwarf. Die Politiker wollten keine Diskussion, um das lukrative Geschäftsmodell einfach beizubehalten.

Das sture Verhalten der Regierung lässt sich auch mit dem Festhalten an einer alten finnischen Tradition und mit Patriotismus wie der Idee des Wohlfahrtsstaat erklären. Die Verstaatlichung des Glücksspiels wurde 1940 umgesetzt, um die Einnahmen für Kriegsveteranen einzusetzen. "Auch wenn Du verlierst, gewinnt ein Finne" war ein gängiger Slogan.

Naxolon gegen Spielsucht?

Hoffnung für Süchtige machen Forscher der Universität Helsinki. Eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt, dass der morphinähnliche Stoff Naloxon, das gebräuchlichste Opioid-Antidot, das auch Opiat-Präparaten beigesetzt wird, bei spielsüchtigen Testpersonen einen Rückgang des Zwangs bewirkte. Der Wirkstoff, über ein Nasenspray eingenommen, blockiert wie bei Substanzabhängigen Opioid-Rezeptoren und verhindert so die Ausschüttung von Dopamin, auch als Glückshormon bezeichnet, der für das risikofreudige Verhalten der Spieler mitverantwortlich sein soll. Eine größere Studie soll Anfang des kommenden Jahres veröffentlicht werden. Naloxon wird in den USA als Notfallmittel bei einer Überdosis Heroin eingesetzt.

Zwar ist Spielsucht als Krankheit in Finnland anerkannt. Doch lassen sich Betroffene kaum offiziell behandeln. Allgemein gilt auch im öffentlichen Verständnis in Finnland, dass die Sucht mit Willenskraft beendet werden kann. Vor allem da "Sisu" , das in etwa mit "Zähigkeit" oder "Beharrlichkeit" übersetzt werden kann, zur gefeierten Nationaleigenschaft gehört. Dies zu hinterfragen, wie auch den globalen Marketing-Gag vom "glücklichsten Land der Welt", scheint eine zähe Angelegenheit zu sein.

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