Spinnefeind und doch in einem Boot
Die Netzeitung liegt mit der Frankfurter Allgemeinen im Clinch - stellvertretend für Online- und Printmedien
Was taugen eigentlich Onlinemedien? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat ihre Antwort darauf nicht erst im Artikel Die Zukunft war gestern gefunden. Stefan Niggemeier stimmt darin wortgewaltig das hohe Lied des "Niedergangs des Online-Journalismus" an, das er am Beispiel der Netzeitung für eine "besonders traurige Geschichte" halte. Deren Chefredakteur und Inhaber Michael Maier kontert: "Das Internet bietet die Chance, Journalisten unabhängig von den Interessen großer Verlage und mächtiger Chefredakteure zu Wort kommen zu lassen." Während der anhaltenden Krise der Printmedien und ersten Erfolgsmeldungen der Onlinekonkurrenz bricht ein längst vergessen geglaubter Grabenkampf zwischen Print- und Onlinemedien wieder auf.
In Frankfurt muss man es einfach wissen: Mit einem Onlinemedium lasse sich nicht nur kein Geld verdienen, es fehle derartigen Angeboten auf Dauer an Qualität und Originalität. Vorbild dieser Argumentation: Offenbar das eigene Internetangebot FAZ.net. Seit 2001 ein glattes Fiasko - das erste Jahr der FAZ-Geschichte, in dem man rote Zahlen schrieb. Und was beim konservativen Frankfurter Leitmedium nicht funktionierte, kann und darf woanders auch nicht funktionieren. Genau in das Ende des Dotcom-Hypes und die hohen Preise für Onlinewerbung startete die FAZ ihr Angebot - wie auch die Berliner Netzeitung.
"Solange man bereit ist, das Niveau zu senken, läuft es weiter" zitiert FAS-Autor Stefan Niggemeier eine namentlich nicht genannten Netzeitungsredakteur. In einem Artikel mit vielen Anschuldigungen und ungenannten internen oder ehemals internen Quellen geißelt er die Netzeitung als "Teil des Werbe- und Müllstroms im Internet". Netzeitungschefredakteur Maier reagierte mit einem deutlichen Seitenhieb auf die Printmedien und deutet ein düsteres Bild der Kumpanei zwischen FAZ und Spiegel an. Die Schlammschlacht zwischen beiden Seiten scheint gerade erst begonnen zu haben.
Die Null muss stehen
Das Erreichen der schwarzen Null im Dezember letzten Jahres ist für die Berliner Netzeitung auch durch Kosteneinsparungen - vulgo Personaleinsparungen - und die Zulieferung für klassische Printmedien zustande gekommen. Doch während in Berlin Online die schwarze Null erreicht wird, kriselt es in Frankfurts Printwelt weiterhin: Allein 2003 mussten über 100 Mitarbeiter ihren Hut nehmen. Was die FAZ jedoch nicht wesentlich von anderen klassischen Printmedien wie der Frankfurter Rundschau oder der Süddeutschen Zeitung unterscheidet. "In Berlin mangelt es nicht an arbeitslosen Journalisten", weiß Niggemeier zu berichten - woran auch die FAZ mit dem Ende ihrer Berlin-Seiten nicht ganz unschuldig sein dürfte.
Das Konzept einer "vollwertigen" Qualitätszeitung ist im Internet mit seinen eher selektiven Nutzern schwer zu verwirklichen. Was auch an Special Interest-Angeboten liegt, die es im Netz oft umsonst gibt. Und die meist besser sind, als die Artikel der jeweiligen Tageszeitungsredakteure. Doch eine vollwertige überregionale Tageszeitung im Internet ist möglich, meint Netzeitungschefredakteur Maier. Gegenüber Telepolis sieht er keine Probleme in der Koexistenz klassischer Print- und Onlinemedien:
Die überregionalen Printmedien werden immer eine wichtige Rolle spielen. Diese wird nur anders sein, als sie es bisher gewohnt waren. Nachrichten kommen ins Internet, die Hintergründe ins Gedruckte.
Erst belächelt, jetzt ernsthafte Konkurrenz
Dabei gibt es im Internet weitere die Printmedien mehr oder minder ersetzende Publikation. Besonders im Bereich der kriselnden Regionalzeitungen gibt es ernstzunehmende und seit Jahren verfolgte Projekte. So punktet die Regionalzeitung Oberberg-Aktuell seit Januar 2000 im Internet gegen die Lokalableger der Kölner Rundschau und des Kölner Stadtanzeigers. Redaktionsleiter Peter Lenz sieht die Stärken vor allem im gezielten Angebot für den ländlichen Raum: "Oberberg-Aktuell bietet ausschließlich Informationen aus und für Oberberg." Und das erfolgreich: Der Anbieter schreibt schwarze Zahlen. Die Vertriebskosten in Form von Servern und Bandbreite sind bei Oberberg-Aktuell jedoch nicht erfasst, da die Technik vom Internet Provider und "OA-Inhaber" Oberberg online gestellt wird.
In Zeiten des weit fortgeschrittenen Lokalzeitungssterbens eine interessante Entwicklung. Die Stärke der Internetpublikation ist dabei klar: Am Wochenende liegt die Berichterstattung bis zu zwei Tage vor den Printmedien, so Peter Lenz. Zudem seien die Möglichkeiten die Leser in das Angebot zu integrieren ungleich größer. Auch die Netzeitung geht im klassischen Schema der Medien als Mittler zwischen Politik und Gesellschaft mit ihrer "Speakers Corner" in den vergangenen Monaten neue Wege. Politik und Interessenvertreter äußern sich zu aktuellen Themen, was umgehend von den Lesern kommentiert wird. Allerdings lässt sich nicht jeder Gastautor auf eine Onlinediskussion ein.
Die Zeiten des Hypes sind auch für die Internetzeitungen vorbei. Doch die Entwicklung gibt den Magazinen mit langem Atem scheinbar recht: "Anfangs wurden wir schon etwas belächelt" meint Peter Lenz von Oberberg-Aktuell, "mittlerweile sehen uns die Kollegen als vollwertige Konkurrenz an." Dass die Onlinemedien ihre Zukunft immer noch vor sich haben, beweist die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit ihrem Artikel: Eine größere Aufwertung als solch harsche Kritik von der konservativen Instanz des deutschen Blätterwaldes kann es für Medien mit moderner Ausrichtung kaum geben.
Ähnliche Probleme
Stefan Niggemeier weint in seinem Artikel nicht der Qualität der Netzeitung hinterher. Die Onlineauftritte vorgeblich seriöser Publikationen sind ebenso kritikwürdig und bedienen sich der kritisierten Mechanismen. Und wer glaubt, dass schwache Onlineartikel nicht in die Printausgabe gelangen würden, kann sich durch Qualitätsjournalismus vom Gegenteil belehren lassen.
Abschreibejournalismus ist dabei kein ausgesprochenes Onlinephänomen, gilt das gegenseitige Zitieren doch vielerorts als Prädikat. Netzeitungschefredakteur Maier gegenüber Telepolis:
Wir wurden in den vergangenen Jahren als junges Medium über 3.000 mal zitiert - ganz zu schweigen von den Fällen, wo wir ohne Zitierung abgeschrieben werden.
Der Abgesang von Stefan Niggemeier trifft teilweise sicherlich auch auf die reinen Onlinemedien zu - betrifft wenn dann aber den Journalismus insgesamt. Printpublikationen aus Frankfurt eingeschlossen.