Spur der Scheine
Das Forum Eurobilltracker unternimmt den kindischen und vermutlich letzten Versuch, dem neuen Geld vor seinem Verschwinden im virtuellen Raum Europas einen individuellen Fetisch-Touch zu verpassen
In der guten alten D-Mark-Zeit ging es noch so: Wollte man etwa einmal die Heinz Grabowskis der Bundesrepublik ärgern, schrieb man beispielsweise auf einen Zehner dezent an den Rand "Heinz Grabowski ist ein Idiot", trug den Schein zum Bäcker (oder so), behauptete gegebenfalls mit Unschuldsmiene den Schein "schon so gekriegt" zu haben - und der Streich war auf dem Weg. Bloß war leider natürlich nicht zu ermitteln, welchen Heinz Grabowski die Message zuerst ereilen würde.
Wer mit Flugzeugen im Bauch am Neujahrstag 2002 feierlich die allerersten Euro-Scheine seines Lebens aus dem EC-Automaten zog, befingerte und beglotzte, der dachte sich dabei vielleicht auch: Wo geht dieser krispe Fünfziger jetzt hin, wenn ich damit meinen ersten Euro-Einkauf getätigt habe? Wo mag er in einem, in drei, in zehn Jahren wohl innerhalb des großen europäischen Währungsgebietes sein? Und wird jenen quasi jungfräulichen Zehner vielleicht in Bälde ein neapolitanischer Pizzabäcker und die daran angeschlossene Mafia-Abteilung besitzen, oder wird er gar in der schwarzen Kasse eines niederländischen Vereinskassenwarts verschwinden?
All diese tiefschürfenden Fragen sind jetzt auflösbar. Denn es gibt nun zum Glück den Eurobilltracker. Die Homepage bietet die Möglichkeit, sich bei einem Forum anzumelden. Dort wird aus persönlichen Angaben ein passwortgeschütztes Benutzerprofil erstellt, das man zur Weitergabe der Seriennummern "eigener" Scheine verwenden kann. Tippt nun ein anderes Eurobilltracker-Mitglied genau diese Nummer eines Scheins ein, den man selbst zwei Wochen vorher besessen und ausgegeben hat, so weiß man bei Abfrage: Aha, X07691530799 ist aktuell in Haselünne oder Hoyerswerda gelandet. Ebenso kann man dann einen Geldschein im gerade eingesteckten Wechselgeld an seiner Nummer möglicherweise als aus St. Etienne oder Oberkotzau gekommen identifizieren. Faszinierend, ist es nicht. Und wer braucht`s?
Zugegeben, die neuen Scheine sind von der deutschen Bevölkerung überraschend freundlich begrüßt worden . Man hatte schon fast befürchtet, dass der Deutsche seine geliebte Mark über den 1.1.2002 hinaus mit Zähnen und Klauen verteidigen und gegen die EU-hörige Regierung putschen werde. Stattdessen freuten sich die Leute bei der ersten Abhebung fast so wie die Ossis am 1.7.1990 über ihre ersten Hunderter Gerade Kinder und Jugendliche fanden es krass, jetzt überall in Europa mit den gleichen Scheinen bezahlen zu können. Bis der Bürger langsam merkte, dass der Euro nicht einfach als Novelty-Gag vom Himmel gefallen, sondern zu etwas nutze ist, bzw. als "Teuro" (BILD) entzaubert offensichtlich zu weniger nutze ist als die D-Mark.
Und das liebe Geld muss nach wie vor sauer verdient werden, Kinder, bevor es frisch aufgebügelt aus dem Automaten kommt. Die neuen Scheine (und genauso die Münzen) strahlen allein schon ihres Designs wegen eine Künstlichkeit aus, die nicht mehr in irgendeiner Art von realer Geschichte geerdet ist, wie es die nationalen Währungen noch waren. Speziell der putzige blassblaue Fünfer lässt selige Monopoly-Kinderzeiten beim Kampf um die Hotels auf der Schlossallee wieder aufleben. Die Motive auf den Rückseiten der Euro-Geldscheine stellen keine real existierenden Bauwerke aus verschiedenen Epochen dar (wie man meinen könnte), sondern sind reine Fiktion ohne irgendeinen tatsächlichen Wiedererkennungswert. Bargeld wird sicherlich nicht so schnell und auch nicht völlig in den Magnetstreifen von Plastikkarten verschwinden. Der Döner-Ali und der Jean-Claude am Mac-Schalter werden auch in Zukunft lieber Cash sehen. Mehr aber vermutlich nicht.
Also: eine persönliche Beziehung zu seinem temporären Geldscheinbesitz aufzubauen lohnt nicht. Schließlich ist dieser Besitz nur sehr vergänglich. Und der blitzschnelle Weg virtueller Geldströme um die Welt ist auch wesentlich interessanter. Wer den Wegen der Dinge unbedingt mit Jugend-forscht-Attitüde nachgehen will, sollte lieber eine Flaschenpost mit hollandfeindlichem Inhalt in den nächsten Rheinzufluss schmeißen und warten. Macht bestimmt mehr Spaß.