Staatliche Cancel Culture und Rückkehr der Berufsverbote
Zwei Berliner Mädcheneinrichtungen werden geschlossen. Denn: Mitarbeiterinnen engagierten sich in der Palästina-Solidarität. Repression als Mittel im Meinungskampf? Ein Kommentar.
Die Mitteilung des Berliner Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg war knapp und sachlich gehalten: "Die beiden Jugendfreizeiteinrichtungen 'Phantalisa-Raum für Mädchen* und junge Frauen*' in Friedrichshain und 'ALIA-Zentrum für Mädchen* und junge Frauen' in Kreuzberg werden durch das Jugendamt geschlossen."
Nun gab es in der letzten Zeit immer wieder Schließungen solcher Jugendeinrichtungen aus Personal- oder Geldmangel. Bei der Schließung dieser beiden Einrichtungen handelt es sich aber klar um eine politisch motivierte Maßnahme.
Sie ist eine Folge des in Berlin nach wenigen Stunden aufgelösten Palästina-Kongresses, wie aus dem Kündigungsschreiben des zuständigen CDU-Senators klar hervorgeht. Als Gründe genannt werden antizionistische Betätigung von Mitarbeiterinnen im Internet, auf Mahnwachen und einige geplante Rede auf der Palästina-Konferenz, die dann wegen der polizeilichen Auflösung der Konferenz nicht mehr gehalten wurde.
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Es hieß außerdem, im Focus sei ein Bild veröffentlicht worden, das Mitarbeitende des Trägervereins auf einer angemeldeten pro-palästinensischen Demonstration zeige, die aber dann von der Polizei aufgelöst wurde. Es ging wohlgemerkt um Aktivitäten der Mitarbeiterinnen in ihrer Freizeit.
Meinungsfreiheit unter Beschuss: Die Rolle konservativer Medien
Der zuständige Bezirksstadtrat stützte sich in seiner Begründung überwiegend auf die Berichterstattung konservativer Medien, die beispielsweise die Palästina-Konferenz als "Treffen der Israel-Hasser" bezeichnet hatten.
Eine Zeitung kann so über eine Konferenz urteilen, der eine klar antiisraelische Sicht nachgesagt werden kann. Es stimmt auch, dass es Verbindungen zwischen einem regressiven Antizionismus und Antisemitismus gibt. Wenn Medien der Frage nachgehen, wann Antizionismus in Antisemitismus umschlägt – auch im Fall dieser Konferenz.
Erinnerungen an die Ära der Berufsverbote
Aber wenn eine solche Charakterisierung von einer staatlichen Behörde zum Zwecke der fristlosen Kündigung von Sozialarbeiterinnen und zur Schließung von feministischen Einrichtungen herangezogen wird, ist das etwas anderes.
Da werden Erinnerungen an Zeiten wach, in denen Lehramtsanwärter wegen missliebiger politischer Betätigung mit Berufsverboten belegt wurden. Auch damals hatte das politische Engagement der Betroffenen nicht an ihrer Arbeitsstelle, sondern in ihrer Freizeit stattgefunden.
Das Recht, auch eine falsche Position zu vertreten
Damals entstand eine große Bewegung gegen die Praxis der Berufsverbote unter dem Motto "Sei keine Duckmaus". Kennzeichen dieser Bewegung war, dass daran auch viele Menschen beteiligt waren, die mit der politischen Positionierung der Entlassenen nicht das Geringste zu tun hatten.
Sie hätten vielleicht sogar aktiv dagegen gekämpft, wenn diese Position zur herrschenden geworden wäre. Sie haben aber ganz klar die Position vertreten, dass Menschen eine Position vertreten können, die sie selbst nicht teilten.
Daran sollte man sich auch im Fall der Schließung der Berliner Jugendeinrichtungen ein Beispiel nehmen. Es geht eben nicht darum, sich mit den Positionen der Gekündigten zu solidarisieren. Ich würde ihnen mit Bezug auf Israel sogar klar widersprechen.
Es geht aber darum, dafür einzutreten, dass sie deshalb nicht staatlich sanktioniert werden. Es geht also nicht um Solidarität mit den Inhalten, sondern um das Recht der Betroffenen, auch falsche Positionen zu vertreten, ohne ihre berufliche Existenzgrundlage zu verlieren. Innerhalb der gesellschaftlichen Linken sollten sie scharfen Widerspruch und Gegenwind bekommen. Was es dort nicht geben sollte, ist Applaus für staatliche Repression gegen sie.
Solidarität im sozialen Sektor und Kritik an den Schließungen
Eine Solidaritätserklärung für die geschlossenen Mädcheneinrichtungen gab es vom "Solitreffen Soziale Arbeit" im Kiezhaus Agnes Reinhold im Wedding. Dabei handelt es sich einen monatlichen Stammtisch für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Sie bereiten dort Transparente und Plakate für Solidaritätsdemonstrationen vor, beteiligen sich an gewerkschaftlichen Aktivitäten und wehren sich auch gegen vielfältige Repressionsversuche. In der Erklärung heißt es:
Die Kündigungen des Arbeitsverhältnisses mit der Kollegin sowie der Leitungsverträge stellen einen massiven Angriff auf unser Berufsbild dar. Als Fachkräfte der Sozialen Arbeit müssen wir uns dagegen wehren, wenn mittels anonymer Denunziation, Verleumdung und Hetze unsere Einrichtungen, unsere Arbeitsverhältnisse und unsere Zielgruppen gefährdet werden. Denn dieser unhaltbare Zustand betrifft uns alle.
Aus der Erklärung des Solitreffs Soziale Arbeit
Mittlerweile haben auch Politiker von SPD und Grünen, wie Canan Bayram, die Schließung der Einrichtung kritisiert. Es wäre ein Erfolg, wenn der Druck so groß wäre, dass die Kündigungen zurückgenommen werden müssen. Dann gäbe es wieder genügend Raum und Zeit, auch mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen über ihre Positionen zum Nahostkonflikt zu streiten.