50 Jahre Radikalenerlass – Querfront gegen Linke in der BRD
Auch in Westdeutschland gab es während des kalten Krieges politische Verfolgung. Alte Nazi-Juristen waren hier beteiligt. Es wäre an der Zeit, auch daran zu erinnern
"Lassen Sie mich endlich Briefträger werden", ruft Werner Siebler in den 1980er-Jahren dem damaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling (CDU) auf einer Veranstaltung zu. Der lacht nur und verweist auf höchstrichterliche Urteile, die die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), der Siebler angehörte, als verfassungsfeindlich bezeichnen.
Es war der Höhepunkt jener bald über Deutschland hinaus berüchtigten Praxis der Berufsverbote aufgrund des Radikalenerlasses von 1972. Am 28. Januar 2022 jährt sich zum 50. Mal dessen Verkündigung durch den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und die Ministerpräsidenten der Länder.
Es war sicher ein Zufall, dass zuerst der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Hans Filbinger (CDU), aus seinem Auto stieg, was auf vielen Fotos zusehen ist. Nur wenige Jahre später musste Filbinger wegen seiner Vergangenheit als Militärrichter der NS-Kriegsmarine in Norwegen und Todesurteilen, die er nach wie vor für rechtmäßig hielt, zurücktreten zurücktreten und bewegte sich im Anschluss im Studienzentrum Weikersheim in der Rechtsaußenzone.
Kampf gegen Links mit und ohne Radikalenerlass
Es ist der linksliberale Jurist und Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, der die Befürworter des Radikalenerlasses als eine Querfront des ehemaligen linkssozialistischen Widerstandskämpfers Willy Brandt und des Nazitäters Filbinger bezeichnet hat. Prantl erinnerte auch daran, dass in der Justiz noch während der Nazizeit sozialisierte Juristen aktiv waren, denen der Radikalenerlass nun einen neuen Anlass gab, ihren Kampf gegen Sozialisten, Kommunisten, Pazifisten und linke Gewerkschafter fortzusetzen.
Im Kalten Krieg konnten die allzeit bereiten Juristen ihren Kampf gegen Links wieder aufnehmen. Schon 1951 wurde die KP-nahe Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) in Westdeutschland verboten, 1956 war dann die KPD dran. Seit dieser Zeit gab es immer wieder Prozesse gegen tatsächliche und vermeintliche Kommunisten. Oft wurden sie von Juristen zu Haftstrafen verurteilt, die bereits während des Naziregimes in Amt und Würden gewesen waren.
Selbst in den Urteilsbegründungen wurde bei manchen KPD-Mitgliedern als strafverschärfend gewertet, dass diese Personen aus ihrer Verfolgung in der Zeit zwischen 1933 und 1945 nichts gelernt hätten. Sie hatten doch tatsächlich nach dem Ende Hitler-Faschismus weiter mit gemacht mit ihren linken Aktivitäten. Mitte der 1960er-Jahre, als der Kalte Krieg an Schärfe verloren hatte, wurde auch in der BRD die Verfolgung der Linken etwas zurückgefahren.
Doch dann traten mit der Außerparlamentarischen Opposition neue linke Kräfte auf den Plan, die sich anschickten, die ideologischen Staatsapparate zu reformieren und demokratisieren. Der Radikalenerlass sollte diesem Vorhaben einen Riegel vorschreiben.
Das 50. Jubiläum kündigte das Erste Deutsche Fernsehen mit einem bemerkenswerten Film mit dem Titel "Jagd auf Verfassungsfeinde" von Hermann C. Abmayr an. In dieser Dokumentaton macht Heribert Prantl eine kritischen Bemerkungen über das Bündnis Brandt-Filbinger gegen die Linke.
Abmayr lässt verschiedene Berufsverbotsopfer zu Wort kommen, darunter den gegenwärtigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Der ehemalige Aktivist des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) bekam in seinem Berufsverbotsfall Unterstützung vom damaligen Stuttgarter Uni-Präsidenten George Turner. So wurde er schließlich doch in den Schuldienst eingestellt.
"Ich hatte Glück", sagt Kretschmann heute. Doch zu einer klaren Verurteilung der Berufsverbote kann er sich nicht durchringen. Auch für eine generelle Entschuldigung für alle Opfer dieser Praxis lehnt er ab und sieht auch berechtigte Fälle, die er aber nicht weiter spezifiziert. Hier wird deutlich, dass längst nicht alle ehemaligen Betroffenen der Berufsverbotspraxis heute für deren endgültige Abschaffung eintreten. Doch Abmayr lässt auch andere Berufsverbotsopfer zu Wort kommen, die anders als Kretschmann keine einflussreichen Protegés hatten.
Politische Verfolgung West
Sie erinnern daran, dass damals Tausende junge Menschen systematisch von Verfassungsschutzämtern bespitzelt wurden. Hier wurden die Grundlagen für die späteren Berufsverbote gesucht. Da hat es auch schon mal gereicht, in einer linken Wohngemeinschaft zu wohnen oder in einer pazifistischen Organisation aktiv zu sein, um nicht mehr die Gewähr zu bieten, für Verfassung und den Staat einzutreten.
Berufsverbotsopfer wie Klaus Lipps oder Sylvia Gingold plädieren dafür, zum 50. Jahrestag endlich die Gelegenheit zu ergreifen, über die politische Verfolgung der Opposition in der BRD zu sprechen. Das wäre eine wichtige Ergänzung zur allgegenwärtigen Auseinandersetzung über die politische Verfolgung in der DDR.
Da wird immer wieder betont, dass die zuständige Behörden noch viele Jahre zu tun haben, weil Opfer von Verfolgung und ihre Angehörigen auch psychische Schäden zu ertragen haben. Das gilt allerdings auch für die Opfer der Berufsverbote in der BRD und ihre Angehörigen. Viele müssen von geringen Renten leben, weil sie durch die Berufsverbote viele Jahre nicht in dem Job arbeiten konnten, für den sie ausgebildet waren. Doch es wird sich zeigen, ob und von wem das Jubiläum dazu genutzt wird, die politische Verfolgung Oppositioneller in West und Ost zu thematisieren.
Neue Berufsverbote?
Wenn auch die Berufsverbotspraxis der 1970er-Jahre heute nicht mehr aktuell ist, gibt es durchaus weiterhin Versuche, Linke aus dem Berufleben fernzuhalten. Der Fall des Münchner Kommunikationswissenschaftlers Kerem Schamberger ist nur das aktuellste Beispiel. Doch es zeigt auch, dass die Universität München den Linken doch einstellte und sich über die Empfehlungen der repressiven Staatsapparate hinwegsetze.
Mit dem Aufstieg der AfD scheinen auch manche Linke plötzlich Berufsverbote nicht mehr ganz so schlimm zu finden. Da ist es schon erfreulich, dass viele noch heute aktive ehemalige Berufsverbotsopfer solchen Überlegungen eine klare Absage erteilen. Das ist völlig richtig, der Kampf gegen Rechts kann nicht mit Methoden der repressiven Staatsapparate geführt werden.
Diese Erkenntnis fand sich bereits im Abschlussbericht des III.Russell-Tribunals gegen die Berufsverbote, das in den Jahren 1978 und 1979 in Frankfurt am Main und Köln tagte und bundesweit wie international Beachtung fand. In der BRD wurden Wissenschaftler und Politiker, die dabei mitarbeiteten, angegriffen. Es gab Parteiausschlussverfahren gegen die wenigen SPD- und FDP-Mitglieder, die mit dem Tribunal kooperierten.
Schon 1979 gab es kaum Berichte über die inhaltliche Arbeit des Tribunals und das hat sich bis heute nicht verändert. Es wäre wünschenswert, wenn zum 50. Jubiläum der Berufsverbote eine Sammlung der Dokumente dieses Russell-Tribunals neu veröffentlicht werden könnten. Sie wären ein Antidot gegen die offizielle Erzählung vom freien Westen und der Mär, dass es in der BRD keine politische Verfolgung gegeben habe.