Trump-Zensur an US-Unis? Harvard kämpft für Freiheit der Wissenschaft

Statue von John, Harvard, Gründer der gleichnamigen Universität.

Statue von John Harvard, Gründer der gleichnamigen Universität. Bild: Cavan-Images / Shutterstock.com

Die US-Regierung droht Universitäten mit Geldentzug. Alan M. Garber, Präsident der renommierten Hochschule, schlägt zurück. Was uns das über Deutschland verrät.

In einem Schreiben hat der Präsident der renommierten Harvard University, Alan M. Garber, der US-Regierung am Montagnachmittag vorgeworfen, die Wissenschaftsfreiheit zu bedrohen. Die Regierung hatte zuvor Forderungen an die Universität gestellt und mit dem Entzug von staatlichen Fördergeldern gedroht. Ist das der lang erwartete Showdown zwischen der akademischen Elite der USA und der Regierung von Donald Trump?

"Spät am Freitagabend hat die Regierung eine aktualisierte und erweiterte Liste von Forderungen herausgegeben und gewarnt, dass Harvard diese erfüllen muss, wenn wir beabsichtigen, 'unsere finanzielle Beziehung zur Bundesregierung aufrechtzuerhalten'", schreibt Garber in dem Brief, den Telepolis am Montag von einem Akademiker aus Harvard erhielt: "Es wird deutlich, dass die Absicht nicht darin besteht, mit uns zusammenzuarbeiten, um Antisemitismus auf kooperative und konstruktive Weise anzugehen."

Die Bar berührt grundlegende Fragen, etwa, was man eigentlich unter Wissenschaft versteht? Wörtlich bedeutet Wissenschaft "Schaffung von Wissen". Die Wissenschaft erklärt die Welt um uns herum durch systematische Beobachtung, logisches Denken und empirische Überprüfung von Theorien.

Wissenschaft oder Forschung – Trump greift beides an

Dabei ist es wichtig, zwischen Wissenschaft und Forschung zu unterscheiden: Während die Wissenschaft das gesammelte Wissen darstellt, ist die Forschung der Prozess, durch den neues Wissen generiert wird. Trump freilich stellt beides infrage, indem er Wissenschaft, Forschung und Lehre politischen Vorgaben unterwerfen will.

Harvard-Chef: Professor sollen Brief von Trump lesen

Harvard-Präsident Garber ermutigt die Professoren, den Brief der Regierung zu lesen, um "ein vollständigeres Verständnis der beispiellosen Forderungen zu erhalten, die von der Bundesregierung gestellt werden, um die Harvard-Gemeinschaft zu kontrollieren".

Weißes Haus fordert Gesinnungscheck

Dazu gehörten Anforderungen, die persönlichen Standpunkte von Studierenden, Fakultäten und Mitarbeitern zu "überprüfen" und die "Macht" bestimmter Studenten, Fakultätsmitglieder und Administratoren zu "reduzieren", die aufgrund ihrer ideologischen Ansichten ins Visier genommen würden.

Harvard will nicht akzeptieren

"Wir haben die Regierung durch unseren Rechtsbeistand darüber informiert, dass wir ihre vorgeschlagene Vereinbarung nicht akzeptieren werden", betont der Harvard-Präsident. "Die Universität wird ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben oder ihre verfassungsmäßigen Rechte abtreten."

Regierung droht mit Stopp von Bundesgeldern

Garber sieht in den Forderungen einen Angriff auf die akademische Freiheit:

Das Rezept der Regierung geht über die Macht der Bundesregierung hinaus. Es verletzt Harvards Rechte aus dem Ersten Verfassungszusatz und überschreitet die gesetzlichen Grenzen der Befugnisse der Regierung gemäß Titel VI (des Civil Rights Act von 1964 in den Vereinigten Staaten. Dieser Titel untersagt Diskriminierung aufgrund von Rasse, Farbe oder nationaler Herkunft bei Programmen oder Aktivitäten, die Bundesfinanzierung erhalten).

Und es bedroht unsere Werte als private Institution, die sich der Verfolgung, Produktion und Verbreitung von Wissen verschrieben hat.

Laut Garber dürfe kein Staat, unabhängig davon, welche Partei an der Macht ist, diktieren, was private Universitäten lehren, wen sie zulassen und einstellen und welche wissenschaftlichen Studien- und Forschungsbereiche sie verfolgen können.

Es geht um Israel

Hintergrund des Streits sind Antisemitismusvorwürfe gegen mehrere US-Universitäten, darunter die Columbia University in New York. Wie das "Wall Street Journal" und die "New York Times" berichten, erwägt die Trump-Regierung, Bundesrichter einzusetzen, um die Umsetzung von Richtlinien an den Hochschulen zu überwachen. Bei Verstößen könnten Strafen wie Geldstrafen verhängt werden.

Zuvor hatte die Regierung der Columbia University im März Zuschüsse und Verträge im Wert von 400 Millionen US-Dollar gestrichen. Zur Begründung führte sie ein unzureichendes Vorgehen gegen Antisemitismus auf dem Campus an.

Holocaustforscher widerspricht Trump

In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung hat der renommierte Holocaustforscher Christopher Browning der Trump-Regierung Scheinheiligkeit vorgeworfen. Würde sie Antisemitismus wirklich als Problem betrachten, könnte sie mit der Bekämpfung im eigenen Haus anfangen, so Browning.

Taktischer Antisemitismusvorwurf?

Stattdessen nutze das von Trump geführte Bildungsministerium den Vorwand des Antisemitismus, um eine Kampagne zu führen, die darauf abziele, der Hochschulbildung die Finanzierung zu entziehen, sie zu demoralisieren und einzudampfen.

Harvard will akademische Freiheit verteidigen

Garber betont in seinem Schreiben, dass Harvard weiterhin die Rechte und Pflichten der Universitätsgemeinschaft bekräftigen, die Meinungsfreiheit und den Dissens respektieren und gleichzeitig sicherstellen werde, dass Protest in einer Zeit, an einem Ort und in einer Weise stattfindet, die Lehre, Lernen und Forschung nicht beeinträchtigt.

Veritas perit?

Das Motto der Universität – "Veritas" oder "Wahrheit" – leite Harvard auf dem herausfordernden Weg, so der Präsident. Die Suche nach der Wahrheit sei eine Reise ohne Ende. "Sie verlangt von uns, offen für neue Informationen und unterschiedliche Perspektiven zu sein, unsere Überzeugungen einer ständigen Prüfung zu unterziehen und bereit zu sein, unsere Meinung zu ändern." Genau darin besteht auch das Wesen der Wissenschaft.

Widerstand gegen die Kontrolle der Regierung

Die von der Regierung geforderten Ziele würden nicht durch Machtbehauptungen erreicht, die vom Gesetz losgelöst seien, um Lehre und Lernen in Harvard zu kontrollieren und zu diktieren, wie die Universität arbeitet. "Die Arbeit, unsere Mängel anzugehen, unsere Verpflichtungen zu erfüllen und unsere Werte zu verkörpern, liegt an uns, sie als Gemeinschaft zu definieren und in Angriff zu nehmen", schreibt Garber.

Wer steht für die freie Gesellschaft?

Die Gedanken- und Forschungsfreiheit sowie das langjährige Engagement der Regierung, diese zu respektieren und zu schützen, hätten es den Universitäten ermöglicht, auf entscheidende Weise zu einer freien Gesellschaft und zu einem gesünderen, wohlhabenderen Leben für Menschen in aller Welt beizutragen. "Wir alle haben ein Interesse daran, diese Freiheit zu schützen."

Deutschland und Trump: stille Parallelen

Während in Deutschland von medialer und politischer Seite harsche Kritik an der Regierung von Präsident Donald Trump geübt wird, scheint sich bei den Angriffen auf Forschung und Lehre Konsens abzuzeichnen. Der Bundestag hatte Ende Januar mit breiter Mehrheit einen Antrag von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP angenommen, der Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschieden entgegentreten will. Das Papier liest sich so wie nun die Einlassungen von Donald Trump und seinen Getreuen.

Es geht um Israels Krieg

Auslöser war der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Oktober 2023, in dessen Folge jüdische und israelfreundliche Studierende massiven Anfeindungen bis zu Gewalt ausgesetzt waren.

Der Antrag fordert unter anderem eine Stärkung der Antisemitismusforschung, konsequenteres Vorgehen gegen judenfeindliches Verhalten und mehr Prävention an Schulen und Hochschulen. Erkenntnisse der Forschung sollen durch Leitfäden und Fortbildungen in den Unterricht integriert werden.

Deutschland ist schon ein Stück weiter

Begrüßt wird, dass sich die Hochschulrektorenkonferenz und die Kultusministerkonferenz die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu eigen gemacht haben. Der Bundestag hatte sich bereits 2019 zur IHRA-Definition bekannt.

Aktivitäten von Gruppen, die israelbezogenen Antisemitismus verbreiten, sollen unterbunden werden. Dazu zählen laut Antrag die BDS-Bewegung und ähnlich gesinnte Organisationen. "Unterstützerinnen und Unterstützer etwaiger Bewegungen dürfen in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben", heißt es.

Die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) und das American Jewish Committee (AJC) Berlin legten parallel dazu einen "Lagebericht Antisemitismus an deutschen Hochschulen" vor. JSUD-Präsidentin Hanna Veiler spricht darin von einem "Tsunami des Antisemitismus" an den Unis. Sie verweist auf zahlreiche Vorfälle wie den brutalen Angriff auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira im Februar 2024 in Berlin.

Laut dem Bericht stieg die Zahl antisemitischer Vorfälle an Hochschulen von 23 im Jahr 2022 auf 151 im Jahr 2023. Viele jüdische Studierende mieden aus Angst lange Zeit die Universitäten oder verheimlichten ihre Verbindungen zu Israel, sagt AJC-Berlin-Direktor Remko Leemhuis. Sie würden so aus den Hochschulen herausgedrängt.

Der Lagebericht fordert, dass Universitäten sichere Orte für alle sein müssen. Antisemitische Straftaten müssten konsequent verfolgt, verpflichtende Fortbildungen und klare Ansprechpartner eingeführt werden. Auch die IHRA-Definition von Antisemitismus solle in die Hochschulverfassungen aufgenommen werden.

Es fehle aber noch an Haltung und Rückgrat bei den Hochschulleitungen, kritisiert Veiler. Viele erkannten modernen Antisemitismus nicht, der sich oft in Codes artikuliere. Leemhuis fordert mehr Solidarität der Mehrheit der Studierenden mit den von Judenhass Betroffenen. Bisher verhalte sich nur eine kleine, aber laute und gut organisierte Minderheit offen feindselig.

Die Debatte um Antisemitismus im Bildungswesen, die derzeit in den USA geführt wird, zeichnet sich auch in Europa und vor allem in der Bundesrepublik Deutschland im April 2025 ab. Was in den USA die Regierung von Donald Trump fordert, verlangen alle Parteien der ehemaligen und der wohl künftigen Bundesregierung.

Dabei gilt es, die Wissenschaftsfreiheit und das Recht auf freie Entfaltung zu schützen und zugleich Antisemitismus und Diskriminierung entschieden entgegenzutreten. Ein schwieriger Balanceakt, bei dem Social Media, KI und andere moderne Technologien eine immer größere Rolle spielen werden. Es bleibt ein wichtiges Thema für Gesellschaft, Politik und Wissenschaft.