Staatsbegräbnis für das umstrittene Arbeitsgesetz
Die französische Regierung gibt den Protesten in einem Punkt nach, andere Bestimmungen des "Gesetzes zur Chancengleichheit" bleiben aber bestehen
„Der CPE ist tot, es lebe die Eingliederungshilfe für auf dem Arbeitsmarkt schwer zu vermittelnde Jugendliche.“ So lässt sich der Tenor des Beschlusses zusammenfassen, den Premierminister Dominique de Villepin am Montag um 10.30 Uhr im Namen des konservativen Regierungskabinetts verkündete. De Villepin hatte es sich nicht nehmen lassen, die Entscheidung selbst mitzuteilen, nachdem er sich ihr Tage lang heftig widersetzt hatte. Noch am Freitag hatte er sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, die Abschaffung des CPE anzukündigen, und dadurch einen Versuch hochrangiger konservativer Abgeordneter zur „Auflösung der Krise“ zum Ende der Woche (vorläufig) scheitern lassen. Präsident Chirac hatte seine liebe Not mit ihm, ließ ‘Le Monde’ durchblicken: „Laut einem Führungsmitglied der UMP ‘ist das Verhältnis zwischen den beiden inzwischen unglaublich, Chirac hat regelrecht Angst vor seinem Premierminister’“.
Nunmehr konnte und wollte der Mann immer noch den Stolz wahren, der darauf beruht, höchstpersönlich den Beschluss publik zu machen, der seiner politischen Erfindung – dem CPE – den Garaus macht. Und ihn als seine eigene Entscheidung zu verkaufen:
Ich habe dem Präsidenten der Republik vorgeschlagen, den Artikel 8 des ‘Gesetzes für die Chancengleichheit’ zu ersetzen.
Bereits um 10 Uhr freilich hatte ein Pressemitteilung des Präsidentenamts im Elysée-Palast es noch vor ihm verkündet:
Auf Vorschlag des Premierministers (...) hat der Präsident der Republik entschieden, den Artikel 8 des ‘Gesetzes für Chancengleichheit’ durch ein Regelwerk zur beruflichen Eingliederung von jungen Leuten in (beruflichen) Schwierigkeiten zu ersetzen.
Der besonders umstrittene Artikel 8 des Gesetzespakets „zur Chancengleichheit“, das durch die Opponenten und Opponentinnen freilich insgesamt abgelehnt wird, enthält die Rechtsgrundlage für die Schaffung des CPE. Es gebe heute kein Vertrauensverhältnis, das die Beibehaltung dieses – laut de Villepin immer noch fabelhaften – Instruments namens CPE erlaube, erklärte der Premierminister in seiner Rede:
Die notwendigen Voraussetzungen des Vertrauens und der Gelassenheit sind weder auf Seiten der jungen Leute, noch auf Seiten der Unternehmen erfüllt, um die Anwendung des ‘Contrat première embauche’ zu erlauben. … Ich wollte schnell handeln, da die dramatische Situation und die hoffnungslose Lage vieler junger Leute es erfordern. Ich wollte eine starke Lösung vorschlagen, da ich überzeugt war, dass (...) nur ein besseres Gleichgewicht zwischen mehr Flexibilität für die Unternehmen und mehr Sicherheit für die Beschäftigten uns erlauben wird, mit der Arbeitslosigkeit in diesem Lande zu brechen. Das ist nicht von Allen verstanden worden, und ich bedauere es.
Ansonsten betonte de Villepin die Folgen der sozialen Krise, die seit nunmehr zwei Monaten anhält:
Seit mehreren Wochen wird unser Land (von Auseinandersetzungen) geschüttelt. Die Störungen der Ordnung in den Universitäten und Oberschulen drohen, die Abhaltung der Jahresendprüfungen zu beeinträchtigen. Die Straßendemonstrationen bedrohen die Sicherheit der jungen Leute. Dies alles erfordert nunmehr, einen schnellen Ausgang aus der Krise zu suchen.
Kein Toter – aber vielleicht ein politischer Todesfall...
Glücklicherweise hinterlässt der massive soziale Konflikt, der die französische Gesellschaft seit nunmehr zwei Monaten in Atem hält, keinen Toten. Noch vor kurzem war dies nicht gesichert. Der 39jährige Cyril Ferez, Mitglied der linken Basisgewerkschaft SUD PTT und Personalvertreter bei der Télécom-Tochterfirma für Mobiltelefone Orange, lag 18 Tage hindurch im Koma. Mitte März hatte ihn ein Knüppeleinsatz der Bereitschaftspolizei CRS getroffen, während er am Ende einer Pariser Demonstration – angetrunken und friedlich auf dem Boden sitzend - zwischen die Fronten geriet. Die Presse, allen voran die linksliberale Pariser Tageszeitung ‘Libération’, hat die Ereignisse von jenem Samstagaband minutiös rekonstruiert. Die Zeitung konnte schließlich sogar den Schnappschuss eines Fotografen publizieren, der just in dem Augenblick aufgenommen worden war, als der Schlagstock auf den Kopf des Mannes niedersauste. Um seine Überlebenschancen schien es zeitweise schlecht zu stehen. Doch am Freitagvormittag konnte nun bekannt gegeben werden, dass er am Vortag aus dem Koma aufgewacht ist.
Ein politischer Todesfall könnte hingegen in naher Zukunft, im Rückblick auf die sozialen Kämpfe gegen die Aushebelung des Kündigungsschutzes durch den „Ersteinstellungsvertrag“ CPE, auf das Konto der Proteste gebucht werden. Die politische Karriere von Premierminister Dominique de Villepin, der beim CPE zurückrudern musste, ist schwer angeknackst. Laut Angaben der Sonntagsausgabe von ‘Le Parisien’ betrachten ihn 86 Prozent der befragten Franzosen als „geschwächt“, nur 9 Prozent glauben an das Gegenteil. Glimpflicher kommt allerdings sein Rivale innerhalb des regierenden konservativen Blocks, der hyperaktive Innenminister Nicolas Sarkozy, davon. Ihn sieht sogar eine knappe Mehrheit (53 %) gestärkt aus dem jüngsten Konflikt hervorgehen. Sarkozy hatte vorige Woche unzweifelhaft signalisiert, dass er bereit dazu sei, den CPE – und den Premierminister - seinen eigenen politischen Ambitionen zu opfern. Die Verhandlungen mit den Gewerkschaften hatte er seit Wochenmitte zum Teil übernommen. Den Job von Amtsinhaber de Villepin möchte er jedoch nicht an dessen statt ausüben, da er Größeres vor hat und unbedingt im kommenden Jahr Präsident werden will.
Die Wahlchancen der konservativen UMP, deren Präsident Sarkozy ist, sind jedoch im Moment deutlich gesunken – manche ihrer Abgeordneten unken schon, das Kürzel CPE stehe für „Comment perdre les élections“ (Wie man die Wahlen verliert). Umgekehrt sind jene von Ségolène Royal, der wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialisten für das kommende Jahr, gestiegen. Royal, obwohl eher zum rechten Parteiflügel gehörend, konnte in der sozialen Krise punkten. Denn als Regionalpräsidentin in Poitiers hatte sie den Beschluss gefasst, dass Unternehmen, die „aktiv an der Prekarisierung ihrer Arbeitskräfte teilnehmen“, etwa durch den Abschluss von CPE-Verträgen, zukünftig keine Subventionen der Regionalregierung im Namen der Beschäftigungsförderung mehr erhalten sollen. In naher Zukunft könnte sie zur Herausfordererin des amtierenden Innenministers und ambitionierten Präsidentschaftskandidatin aufgebaut werden.
Nicolas Sarkozy baut auf Reservestimmen und erklärte am 29. März, er wolle „die Wähler des Front National“ gewinnen, und zwar „jeden einzeln“. Am selben Tag legte er zudem einen neuen Entwurf für ein verschärftes Ausländergesetz vor, mit dem er Popularität gewinnen möchte. Gegen ihn wollen nun auch viele der Demonstranten gegen den CPE politisch kämpfen, und in den Demos wurde vielfach die Verbindung von der „Prekarisierung der Jugend“ zur „Prekarisierung der Lebensbedingungen von Immigranten“ gezogen.
Der Chef des Front National, Jean-Marie Le Pen, sprach im Parisien vom Samstag allerdings nicht Sarkozy, wohl aber dem aktuellen Regierungschef seine – ungebetene – Unterstützung aus:
De Villepin ist der einzige, der sich in seiner Rolle würdig verhält. Der Einzige, der aufrecht bleibt. (...) Wenn ein Gesetz verabschiedet worden ist, ändert man nichts mehr unter dem Druck der Straße.
Der Trick mit dem „Kompromiss“ ging nicht auf
Dass das Gesetz dann doch abgeändert werden musste, dafür sorgte der immense soziale Druck. Zunächst hatte Präsident Jacques Chirac sich mit einer Fernsehansprache, die er am 31. März vor über zwanzig Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern hielt (bei einer Einschaltquote von stolzen 92,5 Prozent) an einer politischen Pirouette versucht: Er setzte das Gesetz über das CPE durch seine Unterschrift in Kraft und kündigte gleichzeitig ein zweites Gesetz an, das die Bestimmungen des erstgenannten später modifizieren würde.
Diese Änderungen sollten, fügte Chirac hinzu, zwei Knackpunkte betreffen. Erstens solle die vorgesehene kündigungsschutzlose Periode im Rahmen des CPE von ursprünglich 24 Monaten auf 12 Monate verkürzt werden. Dies unterstützte in der Öffentlichkeit auch Laurence Parisot, die Präsidentin des französischen Haupt-Arbeitgeberverbands MEDEF. Zweitens stellte Chirac in Aussicht, dass der Abbruch des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines ‘Contrat première embauche' (CPE) nunmehr doch unter Angabe von Gründen durch den Arbeitgeber erfolgen müsse. Die Unternehmen sollten also einem abhängig Beschäftigten im Rahmen des CPE nicht mehr völlig begründungslos kündigen künden. Doch dies hieß nicht, dass Chirac daran gedacht hätte, einen schriftlichen Begründungszwang wie beim „Normalarbeitsvertrag“ CDI nachträglich wieder einzuführen. Dieser allein ermöglicht eine gerichtliche Nachprüfung des Kündigungsgrunds und gegebenenfalls die Sanktionierung des Arbeitgebers im Falle nicht rechtwirksamer Gründe. Chirac sprach ausschließlich davon, dass ein „Gespräch“ des Arbeitgebers mit dem im Rahmen eines CPE beschäftigten jungen Menschen vor dessen Hinauswurf stattfinden solle.
In den Tagen nach den Mammut-Mobilisierungen vom 4. April drehten sich die Gespräche dann nicht mehr vorrangig um eine mögliche Modifizierung des CPE, sondern die Unterhändler der Regierungspartei UMP stellten seine Ersetzung durch eine Eingliederungshilfe für „auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbare“ Jugendliche in Aussicht. Dieses wird durch die Gewerkschaft grundsätzlich akzeptiert. Es handelt sich im Prinzip nur um eine Neuauflage eines bereits bekannten und schon öfter angewandten Prinzips. Die näheren Bestimmungen dazu, die bis spätestens morgen publiziert werden müssen, bleiben natürlich abzuwarten. Zu ihrem Inhalt erklärte Arbeits- und Sozialminister Jean-Louis Borloo am Montagmittag, es gehe darum, Unternehmen (etwa durch Nachlässe bei den Sozialabgaben) finanziell zu unterstützen, die jüngere Leute in unbefristeten Verträgen (CDI) einstellen.
Die Position des Arbeitgeberverbands MEDEF
Der Abschluss eines Abkommens mit den Gewerkschaften wurde zunächst noch dadurch verzögert, dass Premierminister de Villepin am Freitag sein Veto dagegen einlegte. Aber auch der Arbeitgeberverband MEDEF drängte nunmehr auf ein Einlenken durch Rücknahme des CPE. Seine Mitglieder fingen an, über die Bedrohung ihrer ökonomischen Interessen durch die Vekehrsblockaden von Studierenden und Gewerkschaften, durch Lieferverzögerungen und „die Schädigung des französischen Images in der Welt“ zu klagen. In diesem Sinne äußerte sich der Vorsitzende der französischen Vereinigung der Industrie- und Handelskammern, Jean-François Bernardin. Insofern hatten der Streik und die Blockadeaktionen einen durchschlagenden Erfolg, da sie dafür sorgten, dass nunmehr die Unternehmen ihrerseits Druck auf die Regierung ausübten.
Ferner fürchteten die Arbeitgeber aber auch, dass in ihren Betrieben die sozialen Spannungen noch anwachsen dürften. Denn zum ersten Mal seit längerem waren auch Unternehmen der Privatwirtschaft – in denen aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes streiken ungleich schwieriger ist als im öffentlichen Dienst - massiv in den Straßenprotesten vertreten. Die CGT-Branchengewerkschaft der Metallindustrie etwa gibt an, dass am 28 März in ganz Frankreich 740 Arbeitsniederlegungen in ihrer Branche stattgefunden hatten.
Im Übrigen fürchtete der MEDEF aber auch, dass eine sichtbare Niederlage beim CPE dann auch gleich für die kommenden Jahre Vorstöße zur Lockerung des Kündigungsschutzes verunmöglichen könnte. Daher wollte man sich geschmeidiger zeigen, um sich künftige Optionen nicht völlig zu verbauen. Der MEDEF möchte in Zukunft gern „über alle Formen von Flexibilität reden“. In der Sonntagszeitung ‘Journal du dimanche’ vom 2. April erklärte Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot:
Ich habe immer gesagt, dass ich gegenüber dem CPE reserviert eingestellt bin, da ich ihn zu diskriminierend gegenüber den jungen Leuten finde. Allgemein müssen wir zu mehr Flexibilität kommen, aber die Anstrengung muss in gerechter Weise auf alle verteilt werden und nicht nur den jungen Leuten zur Last gelegt werden.
Die nun erfolgte Rücknahme des CPE durch den Austausch des Artikels 8 im ‘Gesetz für Chancengleichheit’ ist aber nur ein wichtiger Etappen- oder Teilsieg für die Protestbewegung. Die übrigen Bestimmungen des Gesetzes, die ebenfalls abgelehnt wurden, bleiben bestehen, also etwa die Legalisierung der Berufstätigkeit („zu Lehrzwecken“) ab 14, der Nacht- und Wochenendarbeit ab 15 etc.
Ebenfalls bestehen bleibt damit auch der CNE (Contrat nouvelle embauche), der den Kündigungsschutz – nach demselben Muster wie der CPE – für die neu eingestellten Beschäftigten in kleinen und mittleren Betrieben für zwei Jahre aussetzt. In seinem Interview, das ursprünglich am vorigen Samstag in der konservativen Tageszeitung ‘Le Figaro’ hätte abgedruckt werden sollte (aber unter massivem Druck von Premierminister de Villepin verschoben werden musste und wohl am morgigen Dienstag erscheinen wird) äußerte Nicolas Sarkozy nach eigenen Angaben: „Wir müssen verhindern, dass es zu einem Ansteckungseffekt vom CPE auf den CNE kommt.“