Staatskritisch, antiautoritär, nach rechts offen

Verstellter Blick auf die Corona-Proteste? Aufnahme vom 2. Oktober in Berlin. Bild: Kai Schwerdt, CC BY-NC 2.0

Erste Ergebnisse einer Studie über die politische Soziologie der Corona-Proteste bergen einige Überraschungen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Rechte, Verschwörungstheoretiker, "Schwurbler" und "Covidioten": Die Ablehnung der Corona-Proteste durch etablierte Parteien und das eher linksliberale Lager ist ungebrochen und beruht, wie nun erste Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung der Universität Basel zeigen, durchaus auf gegenseitiger Ablehnung. Ein Großteil der Teilnehmer an Protesten, die sich gegen die Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wenden, steht den etablierten Medien, der Regierung und der Europäischen Union kritisch gegenüber. Doch es gibt auch einige Überraschungen.

Die Forschungsgruppe des Instituts für Soziologie der Universität Basel legte am Donnerstag dieser Woche ihre 60-seitige Grundauswertung der Studie zur politischen Soziologie der Corona-Proteste vor. Dafür hatte das Team um den deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftler Oliver Nachtwey sowie die Soziologen Robert Schäfer und Nadine Frei zwischen dem 4. Oktober und dem 24. November zunächst klassische Befragungen bei den Protesten durchgeführt und die Umfragen später – auch aus Gründen des Infektionsschutzes – in Internetforen und Messengergruppen verlegt.

Die wichtigste Erkenntnis hatte Nachtwey bereits über die Frankfurter Allgemeine Zeitung lanciert: Es handele sich um eine Bewegung, die eher von links komme, aber stärker nach rechts gehe. Die Forscher haben dafür schlicht Wahlverhalten und -absichten erfragt. Heraus kam, dass bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland 18 Prozent die Partei Die Linke und 23 Prozent Bündnis90/Die Grünen gewählt haben. Der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) gaben 15 Prozent ihre Stimme.

Bei der nächsten Bundestagswahl würden allerdings rund 27 Prozent die AfD wählen, Die Linke kommt unter den Befragten auf fünf Prozent, die Grünen auf ein Prozent. Die Parteien der Regierungskoalition spielen politisch keine Rolle. Dafür erhalten Kleinparteien wie die in diesem Jahr aus dem Protesten hervorgegangene "Basisdemokratische Partei Deutschland" (Die Basis) 18 Prozent Zustimmungswerte.

Damit könnte die Bewegung der Corona-Maßnahmenkritiker die Umwälzung der deutschen Parteienlandschaft weiter befördern. Auffallend mehr übrigens als in der Schweiz, wo die in ihren Positionen der AfD nahestehende SVP bei den dortigen Protesten von Beginn an stark vertreten war.

Kritik an etablierten Kräften, teilweise antiautoritär

Die Analyse einer Entwicklung der Proteste nach rechts "würden Menschen, die sich als Querdenker:innen verstehen, vermutlich ablehnen", schreibt das Forschungsteam, "da mehr als die Hälfte von ihnen sich gegen ihre Einteilung in eine links/rechts-Schematik positioniert".

Tatsächlich sind die Eigeneinschätzung wie auch die Wahrnehmung der Proteste widersprüchlich, wie die Studie aufzeigt. So besteht auf der einen Seite eine erhebliche Ablehnung etablierter Parteien, staatlicher Strukturen und Massenmedien; ohne Zweifel ein Anknüpfungspunkt für Rechtsextreme, die ihre Präsenz und strukturelle Einflussnahme auf die Proteste seit Beginn der Bewegung massiv ausgeweitet haben.

Andererseits gaben die Befragten in einem überraschend hohen Maß Positionen wieder, die eher dem linken und linksliberalen Meinungsspektrum zuzurechnen sind.

  • Der Aussage "Studien, die einen Klimawandel belegen, sind meist gefälscht" stimmten nur wenige Prozent der Befragten zu;
  • Der Aussage "Es wird zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen" lehnt knapp die Hälfte der Befragten teils entschieden ab, ein weiteres knappes Viertel wählte die Antwortoption "teilweise, sowohl als auch";
  • Die Aussage "Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land" lehnten mehr als die Hälfte der Teilnehmenden teils entscheiden ab, weitere 20,57 Prozent wählten die Antwortoption "teilweise, sowohl als auch";
  • Fragen mit erkennbarem Bezug zu hitlerfaschistischem Gedankengut wie "Es gibt wertvolles und unwertes Leben" lehnten knapp 90 Prozent ab;
  • Die These, der "Einfluss von Juden auf die Politik" sei "zu groß" lehnen 65 Prozent "völlig" oder "überwiegend" ab, ein knappes Viertel stimmt "teils" oder "teils nicht" zu.

Insgesamt seien Zugehörige der "Querdenken"-Bewegung – ein Terminus, der von dem Forscherteam als Sammelbegriff für die verschiedenen Kritiker der Pandemie-Politik benutzt wird –, "weder ausgesprochen fremden- oder islamfeindlich, in einigen wenigen Bereichen sogar eher antiautoritär und der Anthroposophie zugeneigt", heißt es in dem Resümee der Grundauswertung.

Eine Mehrheit der Befragten sei zudem nicht der Auffassung, dass auf Minderheiten zu stark Rücksicht genommen werde. Dies ist häufig eine eher rechts verortete Haltung. "Vermutlich spielt bei der Beantwortung dieser Frage eine Rolle, dass viele Teilnehmer:innen sich selbst als diskriminierte Minderheit betrachtet", schreiben die Autoren.

Starkes Gefühl der Ohnmacht

Neben allen politischen Widersprüchen zeigt die Studie von Nachtwey, Schäfer und Frei auch die Entfremdung zwischen einem Teil der Bevölkerung und den etablierten politischen Kräften – und damit die politische Sprengkraft der Pandemie auf.

Kein deutliches Meinungsbild zeigt sich bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit der Teilnahme an Wahlen. Eher skeptisch sind die Teilnehmenden auch bei der Frage, ob mit dem eigenen politischen Engagement die Politik im Land beeinflusst werden kann. Auch das ist erstaunlich, denn knapp die Hälfte der Befragten hat nach eigenen Angaben zuvor noch nie an Demonstrationen teilgenommen.

Es handele sich, so die erste Einschätzung der Baseler Forschungsgruppe, um eine Bewegung, "die nach rechts offen ist und über ein beträchtliches immanentes Radikalisierungspotenzial verfügt". Eine Mehrheit bei den in Deutschland Befragten halte die AfD für eine normale Partei und empfinde die Aufregung um Reichskriegsflaggen auf den Demonstrationen für übertrieben. "Bewegungen sind nie statisch, sondern können – gerade wie im vorliegenden Fall affektueller Bewegungen – starke Dynamiken entwickeln, die auch eine Radikalisierung wahrscheinlicher machen", heißt es in dem Papier.

Das liegt freilich auch daran, wie der Staat und die etablierten politischen Parteien mit den Kritikern der Maßnahmen umgehen. Eine Frage, die, wie die Untersuchung zeigt, angesichts der nahenden Bundestagswahl an Bedeutung gewinnen wird.