Steckt der Teufel in der Kompostierung?
Pektin: Neuentdeckt als wichtige Quelle für das Gas, welches das Ozonloch vergrößert
Mit dem Verbot der Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) entstand vielfach der Eindruck, man habe das Menschenmögliche zum Schutz der Umwelt getan. Wer weiter nach den natürlichen Verursachern suchte, fand selten Schlagzeilen. John T.G.Hamilton und Mitarbeiter vom Department of Agriculture and Rural Development for Northern Ireland in Belfast stellen nunmehr einen bisher unverdächtigen Pflanzenbestandteil, nämlich Pektin, ins Rampenlicht.
Ihr Bericht in Science beweist, dass die Kompostierung von abgestorbenen Blättern und totem Holz bislang unbeachtete Mengen an Chlormethan freisetzt. Wird der organische Abfall gar verbrannt, steigt die Emission bis zum 100fachen an.
Pektin ist ein Polysaccharid, das vorwiegend aus (1-4)-verknüpfter alpha-D-Galacturonsäure (Homogalacturonan) sowie (1-2)-verknüpfter alpha-L-Rhamnose (Rhamnogalacturonan) aufgebaut ist, und bis zu 25 Prozent des Zellwandmaterials ausmacht. Wer Marmelade zubereitet, baut auf das Gelbildungsvermögen. In der chemischen Analyse kommt zu Tage, dass im Pektin jede zweite Karboxylgruppe methylverestert ist. Diese Besonderheit veranlasste die Wissenschaftler, Apfelpektin in Anwesenheit von freiem Chlor zu erhitzen. Der Vorgang lässt unzweifelhaft Chlormethan entstehen. Brom und Jod erzeugen CH3Br und Ch3I, und zyanhaltige Glykoside führen zu Azetonitril. Ob aerob oder anaerob (unter Stickstoff): Pektin ist reaktiv genug, um mehr als einen Schadstoff zu bilden.
"Laub, Holz und Pilze setzen abiotisch, beispielsweise beim Kompostieren, Chlormethan frei", erklären die Wissenschaftler. Unter kontrollierten Bedingungen entstehen je Gramm Kompost (Trockengewicht) bei 30 Grad Celsius täglich 30-60 ng Chlormethan. Bei 50 Grad Celsius nimmt die Konzentration um das 10fache zu. Und noch etwas wird deutlich: je trockener die abgestorbene Biomasse, um so mehr Chlormethan.
Chlormethan macht 16 Prozent des Chlors in der Troposphäre aus und greift in den natürlichen Ozonkreislauf ein, weil atomares Chlor den Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre beschleunigt. Anfänglich galten die Weltmeere als natürliche Produzenten. Diese Ansicht geriet 1996 ins Wanken, nachdem R.M.Moore und Mitarbeiter präzise Berechnungen vorlegten, sekundiert von anderen Arbeitsgruppen, die zunehmend auf die tropische Fauna fokussierten. Rasch wurde offensichtlich, dass Chlormethan auf verschiedene Weise entsteht: einerseits enzymatisch, andrerseits beim Verbrennen. Strittig blieb, ob Chlor als freies Radikal aus Zellulose gebildet wird, oder infolge der hitzebedingten Freisetzung von Methanol und HCl. Strittig blieb ferner, in welcher Größenordnung die jeweiligen Vorgänge wirksam werden, und inwieweit die menschliche Hand daran beteiligt ist.
Die Pektin-Hypothese kann mit vielen Beobachtungen in Einklang gebracht werden. Dazu gehört die Konzentration der Biosynthese auf den Gürtel zwischen 30 Grad nördlicher und 30 Grad südlicher Breite. Temperaturbedingte Unterschiede und sogar der Tag-Nacht-Rhythmus sind mit der abiotischen Reaktionsweise vereinbar und benötigen zur Erklärung keine enzymatische Chlormethan-Bildung, wobei die Vorgänge nebeneinander existieren können. Selbst für die auffallend hohen Chlormethanmengen, die aus den Dipterocarpaceae-Wäldern Südostasiens aufsteigen, bietet die Pektin-Hypothese eine einleuchtende Deutung: die Blätter enthalten relativ wenig Wasser.
"Unsere Untersuchungen sind nur ein Anfang", erklärt John T.G.Hamilton.
Ein weiterer Kandidat für die natürliche Chlormethanproduktion ist Lignin. Ferner ist uns aufgefallen, dass niedermolekulare Ester mit NaCl ebenfalls bisher unbeachtete C-Cl-Verbindungen eingehen. Das wirft die Frage auf, ob es Ökosysteme gibt, in denen Chlormethan und anderes nur momentan entsteht, weil es lokal wieder verstoffwechselt wird.
Waldbrände und Brandrodung puschen den Ausstoß von Chlormethan und anderen Schadstoffen durch die Hitzeentwicklung. Der häusliche Kamin, in dem Holz verbrannt wird, ist nicht weniger aktiv. In Kenntnis der neuen Ergebnisse muss man zudem fragen: ist die Kompostierung, die allerorten als umweltschonend empfohlen wird, eine Chimäre?