Steht der Einmarsch der Türkei in den Irak bevor?
Seite 2: Was machen die USA und Europa im Falle eines Einmarsches in den Irak? Wie verhält sich Russland?
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Eine große Bedeutung kommt hier dem Militärstützpunkt Incirlik zu. Denn mit der Abwendung Erdogans vom Westen müsste sich die Bundesregierung schnellstens die Frage stellen: Müssen wir unsere Soldaten und Soldatinnen, die Tornados und Awacs abziehen und nach Jordanien oder Zypern verlegen? Was passiert, wenn die Türkei den Zugang zu Incirlik dichtmacht? Hat von der Leyen einen Plan B?
Diese berechtigte Frage stellte auch kürzlich ein aufmerksamer Leser im Telepolis-Forum: "Die Frage hat mich schon interessiert als deutschen Parlamentariern der Zugang zu unseren in der Türkei stationierten Soldaten verwehrt wurde. Können wir unsere Mädels und Jungs überhaupt noch ohne Anwendung militärischer Gewalt da raus holen oder sind das nicht längst schon Geiseln?"
Bundestagsabstimmung zu Incirlik nächste Woche
Kritische Stimmen zu einem weiteren Mandat der Bundeswehr in Incirlik mehren sich. Von den Linken bis zur CSU gibt es kritische Stellungnahmen. Allein die CDU und die SPD schweigen bislang. Wie auf Telepolis berichtet, hat die Bundesregierung ein Milliardenprogramm zur Erweiterung der Airbase in die Wege geleitet. Wie weit dies vertraglich so festgezurrt ist, dass Deutschland nicht mehr umkehren kann, entzieht sich unserer Kenntnis. In verschiedene Thinktanks in den USA wird schon länger über eine Verlagerung nachgedacht. Sie sehen die Gefahr, in der Nutzung von Incirlik von Erdogans Wohlwollen abhängig zu sein. Die USA hat dort Atomraketen stationiert, es gab bereits das Gerücht, diese seien bereits nach Rumänien verlegt worden (Gerüchteküche: Hat das Pentagon Atomwaffen aus Incirlik nach Rumänien verlegt?).
Charles F. Wald, pensionierter US Air Force General und ehemaliger stellvertretender Kommandant der EUCOM, meint, in Ankara gäbe es die Wahrnehmung, dass die USA ihren türkischen Verbündeten mehr als umgekehrt brauchen. Dies zeige sich darin, dass die türkische Regierung ihre geostrategische Rolle nutze, um die USA unter Druck zu setzen. Dies hätte sich gezeigt, als kurz nach dem Putschversuch die Airbase für eine Woche gesperrt wurde und damit der Kampf gegen den IS in Syrien unterbrochen war. Dies habe dem IS genutzt, was inakzeptabel sei.
Charles F. Wald präferiert eine Verlagerung in das irakische, kurdische Autonomiegebiet. Dies böte ähnliche geografische Vorteile für Operationen im Irak und in Syrien gegen den IS. Er rät dazu, sofort mit Bagdad und Erbil Gespräche zu beginnen. Es gebe als Alternative auch bestehende Stützpunkte in Jordanien und Zypern mit geeigneten Flugplätzen auf dem Territorium der alliierten Regierungen und in nicht allzu weiter Entfernung vom IS. Konkrete Aktivitäten in dieser Richtung könnten eventuell ein Hebel sein, Erdogan zur Raison zu bringen, so die Hoffnung des Ex-Generals.
Der türkische Plan in Syrien
Fraglich ist, ob die politischen Akteure angesichts der bevorstehenden Präsidentenwahl in den USA die Brisanz des aktuellen türkischen Panzeraufmarsches an der türkisch-irakischen Grenze erkennen. Aber nicht nur die Türken, auch die Kurden nutzen die Zeit der Präsidentschaftswahlen. Von den SDF (Syrian Democratic Forces), die von der kurdischen YPG angeführt werden, wurde Offensive auf die IS-Hochburg Rakka gestartet (Das angekündigte Ende des IS im Finale des US-Wahlkampfs).
Die Türkei sieht das nicht gerne, weil es ihre neoosmanischen Pläne behindert. Das Hofberichterstatter-Blatt Yeni Safak begleitet dieses Begehren mit nationalistischer Propaganda: "Imagine a group coming up from the Mediterranean and occupying the Northern Syria and Iraq up to the Iran border using the PKK and PYD, and them turning Turkey into an attack base in order to actualize the ’turning Turkey into Syria Project’. Conflict with Iran on one side and Russia on the other, being attacked from the South by the PKK/PYD (U.S.), and being divided within by Fetullah Gülen and his terrorists (FETÖ)... "
Die Türkei möchte ihre Söldnertruppen und Milizen von Aleppo bis Rakka an allen Operationen beteiligen. Dafür stellen sie die Bedingung, dass die Kurden mit ihren arabischen Verbündeten in der SDF ausgeschlossen werden. Dies würde bedeuten, dass die von der SDF befreiten Städte Manbij und demnächst Al Bab den islamistischen Milizen übergeben würden, um die türkischen Pläne einer Besetzung Nordsyriens von Aleppo bis Rakka zu realisieren. Der traumatisierten Bevölkerung wäre damit nicht geholfen, diese empfindet die Befreiung vom IS durch die türkischen Milizen westlich und südwestlich von Dscharablus bereits jetzt wie "vom Regen in die Traufe gekommen".
Politisch ist dieser Plan der Türkei brisant. Das syrische Militär hätte, wie das irakische Militär, nicht die Manpower, sich der türkischen Armee entgegen zustellen. Andererseits hat die syrische Regierung, wie auch die irakische, die türkische Armee nicht um Unterstützung gebeten und angekündigt, sich gegen territoriale Gebietsverletzungen zu wehren. Bislang war das nur Rhetorik. Aber was passiert, wenn in Nordsyrien oder im Nordirak tatsächlich türkische Flugzeuge von den Regierungstruppen abgeschossen würden, wie dies angekündigt wurde? Wie werden sich dann die USA, Europa und Russland zum (noch) NATO-Partner Türkei verhalten?