Steinmeier zur Streumunition: Was interessiert ihn seine Moral von gestern?

Archivfoto (2014): Tobias Kleinschmidt / CC BY 3.0 DE

Er hat den Ruf einer moralischen Instanz, will aber beim Einsatz geächteter Waffen den USA nicht im Weg stehen. Er sei "befangen". Wo bleibt die Zivilcourage des Staatsoberhaupts?

Muss sich Deutschland dagegen sperren, wenn die USA Streumunition an die Ukraine liefern?, lautete die Frage, die im ZDF-Sommerinterview am vergangenen Sonntag an den Bundespräsidenten gestellt wurde (ab 12:30).

Er sei, was Streumunition angehe, "befangen", erklärte Frank-Walter Steinmeier, "müssen Sie verstehen". Schließlich habe er als Außenminister damals in Oslo die Konvention für die Ächtung der Streumunition unterschrieben.

Deshalb sei die deutsche Position, sich gegen diese Munition auszusprechen, nach wie vor richtig, "aber sie kann in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen".

Wer Täter und Opfer ist, sei selten so klar wie in diesem Konflikt: "Wir haben an der Seite der Opfer zu stehen." Und: "Wenn wir dafür sorgen, dass sie (die Ukrainer, Einf. d. A.) nicht mehr verteidigungsfähig sind, dann wird dies das Ende der Ukraine sein".

Der Einsatz einer verheerenden Waffe, die wegen des Risikos von grauenhaften und tödlichen Schäden an der Zivilbevölkerung geächtet ist, ist einmal aus Rücksicht auf die Strategie des großen Bündnispartners geboten und dann aus moralischen Gründen, weil Deutschland an der Seite der Opfer zu stehen hat?

Dazu hat sogar Andreas Hofreiter, der sich ansonsten sehr engagiert für mehr und bessere Waffen für die Ukraine einsetzt, eine andere Haltung ("Die Lieferung von Streumunition lehne ich ab. Sie ist zu Recht geächtet"). Wie auch die spanische Regierung. Es ginge auch also auch anders, ohne die Ukraine im Stich zu lassen.

Die moralische Instanz ...

Dass man ganz grundsätzlich in die Streumunition-Verbots-Richtung gehen sollte, erklärte Steinmeier schon Jahre, bevor er zur "moralischen Instanz" und zum "Mutmacher" wurde, "der Deutschland einfach guttut", der sich "weltweit unermüdlich für Solidarität, Demokratie, Gerechtigkeit und Menschenwürde einsetzt" (Ausschnitt eines Lobes zur Wiederwahl Steinmeiers zum Bundespräsidenten, Anfang 2022).

Im Dezember 2008 sprach der damalige Außenminister Steinmeier von einem "Meilenstein", als es um die Unterzeichnung der Konvention zur Ächtung der Streumunition in Oslo ging. Die Arbeit sei noch nicht zu Ende geführt, zitierte ihn damals die Tagesschau. Als Ziel gab er ein weltweites Verbot aus.

... nicht ganz ohne Einschränkungen

Allerdings gab es schon 2008 Berichte, die darauf hinwiesen, dass der deutsche Einsatz zum Verbot nicht ganz ohne Einschränkungen verlief.

Für die in Dublin erzielte Einigung auf ein Abkommen zum Streubombenverbot hat "Deutschland eine Vorreiterrolle" gespielt, ließ Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag erklären. Das ist wohl wahr.

Allerdings ganz anders, als er dieses Selbstlob gemeint hat. Deutschland war der Vorreiter bei der Durchsetzung von Ausnahmen, die auch künftig bestimmte Typen von Streumunition erlauben und gemeinsame Militäroperationen mit Nichtvertragsstaaten gestatten, selbst wenn diese dabei Streubombenmunition einsetzen. Fast hätte Deutschland auch noch für das Streubombensystem M-85, das 95 Prozent der aktuellen Bestände der Bundeswehr ausmacht, eine Ausnahme oder wenigstens einen Aufschub bewirkt.

Andreas Zumach, Kein Krieg ohne uns, taz, 30.05.2008

Aus Rücksicht auf deutsche Hersteller wie Rheinmetall oder Diehl hatte auch die Bundesregierung ein Abkommen lange hinausgezögert. Die Bundeswehr hatte riesige Bestände erworben, ohne sie jemals einzusetzen. Als die Rüstungsfirmen dann die zweite Generation sogenannter intelligenter Streumunition entwickelt hatten, warb die Bundesregierung dafür, diese "Smart"-Geschosse mit selbständiger Zielerkennung nicht mehr Streumunition, sondern "Punktzielmunition" zu nennen. Ganz im Sinne der Hersteller ist dieser Munitionstyp nun vom Verbot ausgenommen.

Parlamentarier machen Druck, Der Spiegel (Print), 08.12.2008

Die Bemühungen des SPD-Außenministers zur Abrüstung klangen manchmal sehr vollmundig (vgl. Steinmeier fordert Abzug von Atomwaffen), fanden dann aber, wenn es ernst wurde, eine Abbiegung. So etwa, als es 2017 um das Verbot von Atomwaffen ging.

Das Bild, wonach sich Deutschland konsequent für eine Welt ohne Atomwaffen einsetze, habe in Wirklichkeit "einen gravierenden Schönheitsfehler", berichtete Der Freitag am 14.06.2017. Die Bundesregierung boykottiere nämlich die aktuellen Gespräche über ein Verbot dieser Massenvernichtungswaffen bei den Vereinten Nationen in New York.

Alle Atommächte sowie die meisten ihrer Verbündeten blieben der ersten Verhandlungsrunde im März fern. Fast alle Nato-Mitglieder gehören dazu, auch Deutschland. Dabei hatten Vertreter des Auswärtigen Amtes noch an den inoffiziellen Vorgesprächen sowie der vorbereitenden UN-Arbeitsgruppe teilgenommen und dort eigene Vorstellungen eingebracht. Dann aber entschied sich der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gegen die Teilnahme an den offiziellen Verhandlungen, kurz darauf übernahm Sigmar Gabriel dessen Amt und diese Position in der Sache.

Der Freitag, 14.06.2017

Das vom Bundestag 2009 beschlossene Gesetz zum Übereinkommen vom 30. Mai 2008 über Streumunition verlangt ein pro-aktives Verhalten, nämlich "alle Staaten für dieses Übereinkommen zu gewinnen, sowie entschlossen, nach besten Kräften auf seine weltweite Geltung und seine umfassende Durchführung hinzuwirken".

Darauf angesprochen, machten Vertreter der Bundesregierung einen kläglichen Eindruck.