Sterbende Städte
Das Projekt "Superumbau" thematisierte anhand der DDR-Retortenstadt Hoyerswerda das Phänomen der schrumpfende Städte
Ein passenderes Ambiente hätte sich FM-Einheit gar nicht aussuchen können. Der ehemalige Musiker der Band Einstürzende Neubauten spielte am vergangenen Samstag vor den Trümmern eines Wohnkomplexes in Hoyerswerda-Neustadt. Neubauten waren es nicht mehr, die dort in den letzten Wochen den Baggern zum Opfern fielen. Die Plattenbauten waren in den 60er Jahren errichtet worden. Damals boomte der Braunkohlebergbau und das Kraftwerk Schwarze Pumpe, dem die DDR-Retortenstadt Hoyerswerda ihre Entstehung verdankt.
Die Schriftstellerin Brigitte Reimann lebte dort einige Jahre und setzte der Stadt in ihrem DDR-Besteller Franziska Linkerhand ein literarisches Denkmal. Der Liedermacher Gerhard Gundermann schrieb eine Ode an die Stadt, die noch in den 90er Jahren die PDS-Basis zu Jubelstürmen hinriss. Die Partei stellte in der Stadt den ersten Oberbürgermeister.
Doch auch er konnte den Negativtrend nicht beenden, in dem die Stadt immer mehr geriet. Rassistische Pogrome brachten sie 1991 weltweit in die Schlagzeilen. Jetzt könnte sie abermals zu einem Modell im negativen Sinn werden. Hoyerswerda steht an der Spitze eines lange verdrängten Phänomens: der schrumpfenden Stadt. In der Neustadt, wo einst bis zu sechzigtausend Menschen wohnten, werden bald nur noch knapp fünfzehntausend Einwohner leben.
Wer unter 45 ist, zieht weg. Übrig bleibt die ältere Generation, die jetzt erleben muss, wie die Stadt, die sie mit aufbauten, noch vor ihnen stirbt.
Dorit Baumeister
Die in Hoyerswerda lebende Architektin Dorit Baumeister hat das Projekt Superumbau angestoßen und allen Widerständen zum Trotz durchgesetzt. Vom 15. August bis zum 27.September wurde der Abriss eines Plattenbaus künstlerisch begleitet. Mit FM-Einheit wurde das Projekt fulminant beendet.
Knapp 6 Wochen lang wurden Filme gezeigt, Theaterstücke aufgeführt, Kunstobjekte im Stadtgebiet aufgestellt und Diskussionsrunden initiiert. Wie ein roter Faden zog sich durch alle Veranstaltungen der Umgang mit dem Verschwinden einer Stadt. "Es ist viel leichter, dass Wachstum einer Stadt als deren Schrumpfung zu behandeln", meinte Baumeister. Es bleiben nicht nur Brachen im Straßenbild zurück. Auch das soziale Gefüge einer Stadt gerät ins Wanken. Soziale Einrichtungen müssen schließen und bei den Übriggebliebenen breitet sich ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Lethargie aus.
Kein Wunder, dass die Stadtpolitiker das Thema bisher verdrängen. Auch "Superumbau" wurde dort weitgehend ignoriert. Immerhin hat der Oberbürgermeister die Ausstellung gleich dreimal besucht. Auch drei Stadtverordnete haben sich über das Projekt informiert. Der Rest ignorierte es. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche hatte das Projekt gar als "Tummelplatz für selbsternannte Künstler" kritisiert und von einer Verschwendung von Steuergeldern gesprochen. Solche Töne stoßen auf Resonanz in einer Stadt, in der der Selbstmord eines Neonazis noch immer mit einem Kerzenmeer und Kränzen vor seiner letzten Wohnung betrauert wird.
Die Superumbau-Initiatoren ziehen insgesamt eine positive Bilanz ihres Projekts. Schließlich haben sie eine Debatte angestoßen, die über Hoyerswerda hinaus Bedeutung hat. In Halle-Neustadt, Leipzig und auch in manchen Berliner Ostbezirken sind die Schrumpfungsprozesse und der Abriss ganzer Straßenzüge ebenfalls zu beobachten.
In der Stadt der Zukunft ist die Arbeit verschwunden und mit der Arbeit die Zukunft. Mit der Zukunft verschwindet der Stadt.