Stoppt den Dudel!
Kommt endlich das Ende der flockig-flachwitzigen Morningshow?
Vom Praktikanten an der Kaffeemaschine bis zum Hausmeister im Hubschrauber, von Britney bis Madonna: von Kanal zu Kanal und Tag zu Tag gibt es immer dieselben dummen Witze und abgenudelten Platten im Radio. Doch langsam kommt ein Umdenken.
Die besten Hits der 80er, 90er und das Beste von heute, der beste Mix, für jeden etwas, für niemand genug.
Erraten Sie, welche Station diesen Slogan benutzt? "Ja klar, das ist doch mein Stammsender", wird da fast jeder rufen - so austauschbar ist Radio geworden. Überall wird mit Formaten und Programmuhren aus möglichst wenig Titeln ein Programm gemixt und dann noch etwas Ketchupsoße mit Jingles und Claims darüber gekippt - diesen dummen Senderslogans, die den Sender kennzeichnen sollen und doch nur verwechselbar machen: Schon ist das Instant-McDonalds-Fertigradioprogramm komplett.
Die Formatiererei ist dabei - logisch - aus den USA importiert, wobei es dort aber -zig Musiksparten für jeden Geschmack gibt, während in Deutschland von Klassik und Schlager/Volksmusik abgesehen praktisch nur "Adult Contemporary" existiert - sowohl bei den auf Werbung angewiesenen Privatsendern als auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich mittlerweile schon extra mit nach Privatfunk klingenden Namen schmückt ("1live", "Berlin 88,8", "Antenne Brandenburg"), um nicht als altbacken zu gelten.
Die Moderatoren sitzen teils nicht einmal mehr im Studio: "Voice-Tracking" nennt sich das Verfahren, bei dem alle zuvor aufgenommenen Ansagen computergesteuert mit der ebenfalls auf Festplatte gespeicherten Musik zusammengespielt werden (Schönheitsfehler in der heilen Hörfunkwelt). So kann ein Moderator für eine Stunde Bezahlung vier Stunden Programm liefern - und bei "Klassik Radio" sogar das komplette Programm: Die Ansagen sind gleich mit den Musikstücken zusammen abgespeichert.
"Morningshow" und "Claims": Ein 20 Jahre altes Konzept
Die nervige "Morningshow", bei der dem noch verpennten Hörer unerträgliche Instant-Gute-Laune entgegenschallt, entstammt dagegen ursprünglich dem vor über 20 Jahren aus Südtirol nach Bayern strahlenden Chaotensender Radio Brenner, bei dem die Moderatoren von Natur aus so schräg waren. Sie wurde bei RTL Berlin in ein konstruiertes Morgenformat umgewandelt ("Arno und die Morgencrew"). Die Claims entstanden ebenfalls in dieser Zeit unter Beteiligung des heute bei Antenne Bayern als Programmchef arbeitenden Stefan Offierowski, der sich wundert, dass diese damals halbwegs originelle und heute längst ausgelutschte Konstruktion sich so hartnäckig hält: "Jeder weiß, dass die Morgenshows auf den Sack gehen, aber keiner tut was", so die Erkenntnis auf der Diskussion "Radiovordenker und Querköpfe" auf den Münchner Medientagen 2003, bei der vier Radioleute zu Wort kamen, die das Medium etwas anders angehen als ihre Kollegen.
Reto Wüthrich, Programmleiter des schweizerischen Privatsenders Radio Extra Bern, führte dazu Anfang 2002 eine Entschleunigung der Rotation ein, sprich: Statt der sonst üblichen 20 Hits werden nun wieder wesentlich mehr Titel gespielt. Textbeiträge sind nun teils über vier Minuten und statt alberner Amerikanismen ("Räidioh Sjuper Burn") wird wieder Mundart gesprochen. Der Erfolg: "Die Hörer rufen wieder an und schreiben Mails."
Max Spallek war ursprünglich erfolgloser Musiker und entwarf für Radio Fritz ein Konzept einer Sendung, für das er zunächst ausgelacht wurde. Später wurde die Sendung wider Erwarten doch realisiert: Die "Popagenten" spielen nur Musik von Nachwuchsbands aus Berlin und Brandenburg, wobei um die 1.500 Hörer pro Sendung über die gespielten Titel telefonisch abstimmen - eine Beteiligung, die es sonst nur noch beim Fernsehen gibt.
Stefan Parrisius macht beim Privatsender Antenne Bayern eine Talkshow Samstag Mittag mit alltagstauglichen Themen wie dem "I love you"-Virus, aber auch unter dem Namen "Die Wahrheit" Montag Abends Talkradio zu ausgefalleneren Themen, bei dem bis zu 2.000 Hörer anrufen. Beim Thema "Bisexualität im Alltag" meldeten sich allerdings nur 28 Hörer. "Wir sind halt in Bayern", so Parrisius hierzu, der die Sendung allerdings ohnehin nicht zur Hörermaximierung, sondern als Imageprodukt des Senders macht: "Es gibt keine Lebensberatung - und nichts zu gewinnen."
Ein Ossi ohne Plan und Ziel schafft die Kultsendung
Jürgen "Kapitän" Kuttner schließlich ist ein absolutes Original, der auf einer Oststation im Umbruch ohne Namen begann: "Es handelte sich um eine völlig konzeptlose Sendung - ich hatte gerade nichts zu tun und als Ostler auch keine Ahnung vom modernen Radio", so die überhaupt nicht PR-konforme aber ehrliche Selbstdarstellung des heutigen Moderators von "Talk X" im hessischen Rundfunk. Was schon im Printbereich oft zu unerwarteten Erfolgen ostdeutscher Zeitschriften führt, wenn die Leser die gelackten, doch mitunter inhaltslosen Westblätter leid sind.
Ein Vorbild hatte die Redaktion beim Start der Sendung 1992 immerhin: "Talkradio", den Film von Oliver Stone. "Doch keiner der Kollegen wollte den Talk-Moderator machen, weil der ja im Film am Ende erschossen wird." Auch wollte 1992 niemand mehr ein "Ossi" sein, doch das ignorierte Kuttner und die Hörer fühlten sich sofort heimisch in seiner Show, in der auch einmal zwei Hörer über Minuten am Telefon miteinander reden oder Kuttner die ewige Diskussion "Zuviel Gequassel oder zuviel Gedudel" kurzerhand dadurch löste, dass er auf dem linken Kanal redete, auf dem rechten Platten auflegte und dazu aufrief, mit dem Balance-Regler die persönliche Wahl zu treffen - was bei Hörern mit Mono-Radios allerdings gar nicht gut ankam. Ebenso erinnert sich der Radiochaot: "In den ersten Sendungen gelang es mir nicht, die Telefonnummer anzusagen, weshalb prompt auch keiner anrief. Da drohte ich dann damit, Roy Black zu spielen". Da mangels Telefonnummer immer noch keiner anrief, landete Roy dann auch tatsächlich auf dem Plattenteller...
Interessantes, kreatives Radio kann also nur aus Freiräumen entstehen, während heute nur noch über Planbarkeit des Radioerfolgs nachgedacht wird.
Du musst alle regulären Bewerbungen wegschmeißen, sonst hast Du nur Kranke mit arroganten Superstar-Flausen im Radio.
Jürgen Kuttner
Manchmal kommt so ein außergewöhnliches Programm zustande (Von der Nordsee zu den Sternen). Doch oft bleiben hochfliegende Träume auch im Alltag auf der Strecke, wie beim Schweizer Radio Piz, das Telepolis im Anschluss an die Münchner Medientage besuchte.
Nicht mehr so alternativ wie einst: Radio Piz aus St. Moritz
Radio Piz Corvatsch - so der ursprüngliche Name - entstand in der Tradition der Schweizer Piratensender und Privatradios. Eröffnet wurde deren Reigen noch ohne Schweizer Sendelizenz mit dem ab Ende 1979 aus Italien vom 2.948 Meter hohen Piz Groppera in den Großraum Zürich sendenden "Radio 24" des Journalisten Roger Schawinski.
In der Schweiz hatte damals noch die staatliche Radiogesellschaft DRS das Monopol, der Erfolg von Radio 24 erzwang dann die Legalisierung der Privatradios. Doch während sich in den Ballungsräumen um Zürich, Basel und Bern bald die Radioaspiranten mit dem schweizerischen Bundesamt für Telekommunikation um die Sendelizenzen prügelten, interessierte sich niemand für die weniger dicht besiedelten Gebiete wie den größten Schweizer Kanton Graubünden.
Die Idee von Radio Piz wurde noch höher geboren, nämlich in 10.000 Meter Höhe auf einem Transatlatikflug, auf dem der St. Moritzer Dino Bornicato, der einst bei Radio Z begann, den Züricher Klaus Kappeler kennenlernte, einen ehemaliger Mitarbeiter der DRS. Die beiden Radiomacher beschlossen, die Marktlücke zu füllen und einen Sender für Südgraubünden auf die Beine zu stellen, genannt "Radio Piz Corvatsch" nach einem bekannten St. Moritzer Skiberg, der stolze 3.451 Meter hoch ist und somit noch höher als der einstige Radio-24-Gipfel. Allerdings liegt auch St. Moritz bereits auf 1.865 Metern - wegen der komplizierten Topografie und des nicht gerade kleinen Sendegebiets werden für den kleinen Privatsender stolze zehn Sender auf acht Frequenzen benötigt.
Am 1. Dezember 1990 ging der Sender erstmals auf Sendung - legal - und machte der staatlichen DRS in Südgraubünden sofort die Mehrzahl der im Vergleich zur versorgten Fläche jedoch geringen Hörerzahl streitig. Mit den Werbeeinahmen war man deshalb nicht sehr erfolgreich: 1994 stand der Konkurs kurz bevor, die Acla de Fans SA stieg ein, der Berg Corvatsch verschwindet aus dem Namen und die Gründer aus dem Unternehmen. 1999 wurde Radio Piz dann Radio Grischa (= "Radio Graubünden") der Südostschweizer Medien AG angegliedert und sendet seitdem nur noch vier Stunden am Tag von 7 bis 11 Uhr.
Die erste Stunde ist dabei das übliche Weckradio - doch ausdrücklich ohne "Morningshow"-Flachwitze -, danach folgen Lokalinformationen, von 9 bis 10 ein "Hausfrauenprogramm" mit Horoskopen und die letzte Stunde muss gar ganz ohne Moderator auskommen. Radio Piz hat nun noch drei festangestellte und drei freie Mitarbeiter und wurde in einem Druckereihaus der Muttergesellschaft im Industriegebiet untergebracht. Headsets für die Moderatoren stehen deshalb auf der Einkaufs-Wunschliste, denn die Druckmaschine schlägt bei normalen Mikrofonen in den Ansagen hörbar durch.
Keine Bemusterung? Na dann werden auch keine Abgaben gezahlt!
Musikalisch leistet Radio Piz sich keine großen Sprünge, da das Landpublikum in der Zwischensaison konservativ ist und die Plattenfirmen den Sender nicht mit neuen CDs bemustern. Mit der schweizerischen IFPI liegen nicht nur die Hobby-Webcaster (Schweiz: Musikindustrie contra Webradio), sondern auch die Profis ständig im Clinch - und Radio Piz ist "momentan mal wieder im vertragslosen Zustand", so Studioleiterin Susi Baillods, sprich: zahlt keine Abgaben an die IFPI, während man der SUISA (Äquivalent zur deutschen GEMA) ein bis zwei Rappen pro gespielten Titel zahlt.
Mit 4.000 Stücken im Musikcomputer fährt Radio Piz trotzdem kein sich jeden Tag wiederholendes Musikprogramm. In der Sommer- und Winter-Urlaubssaison steigen die Hörerzahlen jedoch um ein Vielfaches und Themen wie Wetter, Pistenbericht und die Frage, welche Sitzplätze im Frühstückssaal des Waldhaus am See die besten sind, nämlich die am Fenster, werden wichtig. Der auf der Website groß promotete Webcast bietet allerdings nur das Programm des Muttersenders Radio Grischa.
Etwas vom alten subversiven Flair leistet sich die Schweizer Privatradioszene immerhin noch anlässlich des 20-jährigen Jubiläums mit praktischer Hilfe zur Fortpflanzung in der optimistischen Annahme, dass der stetige Rückgang der Hörerzahlen lediglich biologische Ursachen hat ...