Strache-Skandal und die Rechten: Kein Grund zu Entwarnung
Der Schock aber sitzt tief; auch für Spitzenkandidat Weber und seine EVP steht viel auf dem Spiel
Fast zwei Jahre lang lagen die Ibiza-Videos von Heinz-Christian Strache in irgendeinem Giftschrank. Niemand wollte - oder durfte - sie veröffentlichen. Und nun, kurz vor der Europawahl, tauchen sie plötzlich auf - nicht etwa im österreichischen Standard oder im Falter, sondern im Spiegel und in der Süddeutschen. Das deutet darauf hin, dass da jemand maximale Wirkung erzielen wollte. Die Bombe wurde geschickt getimed - und wohl auch bewusst an die Medien mit der größten Reichweite geleakt.
Doch wird die gewünschte Wirkung auch erzielt? Sollte die FPÖ "abgeschossen" und die Rechte in der EU diskreditiert werden, um ihr eine Schlappe bei der Europawahl zu bereiten? Oder ging es um mehr? Auch vier Tage nach der ersten Enthüllung lassen sich diese Fragen nicht schlüssig beantworten. Klar scheint nur, dass die Erschütterungen weit über Strache und die FPÖ hinaus reichen. Der Skandal könnte auch Kanzler Sebastian Kurz sein Amt kosten und Österreich für Wochen, wenn nicht Monate, lähmen.
Viele haben sich auf Kurz und Strache verlassen
Dies würde auch die EU treffen. Schließlich hat sich Österreich unter Kurz und Strache zu einem zentralen Pfeiler der rechtskonservativen Europapolitik entwickelt. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel und die ihr eng verbundene Europäische Volkspartei hat sich auf die rechten "Ösis" gestützt. Auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat sich auf Kurz und Strache verlassen. Und natürlich zählt auch EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber den österreichischen Kanzler zu seinen wichtigsten Verbündeten.
Für Weber und seine EVP steht also viel auf dem Spiel. Wenn Kurz ausfällt, wäre dies für Weber ein schwerer Schlag. Eine EVP ohne Österreich - kaum vorstellbar. Selbst wenn sich Kurz an der Macht hält und mit einer Experten-Regierung weitermacht, könnte dies für Weber zum Problem werden. In Brüssel wird schon die Frage gestellt, ob Österreich beim EU-Sondergipfel am Dienstag nach der Europawahl überhaupt noch handlungsfähig sein wird. Das zeigt, wie tief der Schock sitzt.
Zunächst richten sich alle Blicke aber auf den Wahltag - und auf die Rechtspopulisten und Nationalisten. Werden sie unter dem Strache-Schock leiden? Auf den ersten Blick scheint die Antwort auf der Hand zu liegen. Die FPÖ war das wichtigste Pfund der nationalistischen Internationale, die Italiens Lega-Führer Matteo Salvini gründen will. Sie verschaffte den Rechten die "Glaubwürdigkeit", die Salvini selbst längst verspielt hat. Nun schmiert sie in den Umfragen ab - und erweist sich als unzuverlässig.
"Jetzt-erst-Recht"-Effekt nicht auszuschließen
Bei näherer Betrachtung ist die Antwort allerdings nicht ganz so einfach. Die FPÖ verfügt über einen harten Kern von Stammwählern, der sich durch den Strache-Skandal und seine merkwürdigen Begleitumstände wohl kaum abschrecken lassen werden. Die Rechten können sich nun als Opfer einer geheimen Verschwörung darstellen und Kurz attackieren. Das bringt sie nicht an die Macht zurück, könnte der FPÖ aber dennoch Stimmen bei der Europawahl sichern. Ein "Jetzt-erst-Recht"-Effekt ist nicht auszuschließen.
Und wie sieht es in Deutschland und Frankreich aus? AfD-Chef Jörg Meuthen hat sichtbar Mühe, den Strache-Skandal einzugrenzen und sich von der FPÖ zu distanzieren. Andererseits könnte es der AfD aber helfen, dass sich nun alle etablierten Parteien gegen ihn stellen. Und in Frankreich herrscht ohnehin eine völlig andere Dynamik vor. Nationalisten-Führerin Marine Le Pen versucht, die Europawahl zu einem Referendum über Staatschef Emmanuel Macron umzufunktionieren. Wien ist für sie sehr weit weg.
Es gibt deshalb keinen Grund zu Entwarnung. Wer gehofft hatte, die nationalistische Rechte in der EU sei durch den Strache-Skandal ins Mark getroffen, könnte am Wahltag eines Besseren bzw. Schlechteren belehrt werden. Auch die Auswirkungen auf die EU-Politik sind noch völlig unklar. Die Bombe trifft eben nicht nur die FPÖ, sondern auch die Kurz-Regierung und damit das rechtskonservative Lager in der EU. Das könnte auch Merkel und Weber schwächen - die Krise in Österreich kommt ihnen alles andere als gelegen.